Umfrage: AfD in NRW bei 18 Prozent

Trotz interner Querelen könnte die AfD auch im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW mittlerweile mit einem Ergebnis von 18 Prozent rechnen. Analysten rechnen jedoch damit, dass die Partei nicht mehr weiter zulegen wird.
Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender, und Alice Weidel, AfD-Bundesvorsitzende, während einer Pressekonferenz auf dem Bundesparteitag der AfD.
Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender, und Alice Weidel, AfD-Bundesvorsitzende, während einer Pressekonferenz auf dem Bundesparteitag der AfD.Foto: Sebastian Kahnert/dpa
Von 5. September 2023

Nicht nur in ihren traditionellen ostdeutschen Hochburgen liegt die AfD derzeit in Umfragen bei Rekordwerten. Auch im bislang für die äußerste politische Rechte als unzugänglich geltenden westdeutschen Flächenstaat erreicht sie ihre bislang höchsten Umfrageergebnisse. So sieht das Institut Wahlkreisprognose die Partei derzeit in NRW bei 18 Prozent. Und das, obwohl der Landesverband als notorisch zerstritten bekannt ist.

Bislang konnte keine Partei rechts der Union im bevölkerungsreichsten Bundesland bei überregionalen Wahlen ein zweistelliges Ergebnis erzielen. Weder die Deutsche Reichspartei noch NPD, Republikaner und Pro NRW schafften bei Landtagswahlen mehr als zwei Prozent. Lediglich der katholischen Zentrumspartei gelang 1949 ein Landtagseinzug mit 9,8 Prozent der Stimmen. Drei Jahre später kam sie auf 7,5 Prozent – ehe es der CDU gelang, das katholische Milieu aufzusaugen.

Die starke Milieubildung war auch einer der Gründe, warum die SPD lange Zeit die Arbeiterschaft halten konnte. Mittlerweile halten Meinungsforscher jedoch gerade in früheren SPD-Hochburgen wie Duisburg oder Gelsenkirchen Direktmandate für die AfD für möglich.

Hat die AfD schon 90 Prozent ihres Potenzials ausgeschöpft?

Auch andernorts befindet sich die Partei auf Rekordkurs. In Sachsen sieht INSA die AfD bei 35 Prozent und damit sechs Punkte vor der CDU. Auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt sehen sie Meinungsforscher bei deutlich über 30 Prozent. Bundesweit spricht der ARD-„Deutschlandtrend“ von 22 Prozent der deklarierten Wähler, die der Partei ihre Stimme geben wollen.

Mit Blick auf das Wahljahr 2024 hat Politikredakteur Marcel Görmann von der Funke-Mediengruppe jedoch eine düstere Prognose für die AfD. Dieser sagt in „Der Westen“ eine „Bruchlandung“ voraus und gibt dafür drei Gründe an.

Der erste davon ist das von Infratest dimap ausgewiesene maximale Wählerpotenzial. Dieses liege bundesweit bei nur 24 Prozent. So viele könnten sich demnach vorstellen, sicher oder vielleicht die AfD zu wählen. Darüber hinaus würden Wähler jedoch unerreichbar bleiben – und die Partei habe jetzt schon 90 Prozent ihrer potenziellen Wähler mobilisiert.

Was Görmann möglicherweise unterschätzt, ist zum einen, dass auch Potenziale wandlungsfähig sind. INSA zufolge hatte das maximale Potenzial der AfD im Oktober 2022 noch bei 20 Prozent gelegen. Im Juni 2023 habe es sich bereits auf 30 Prozent erhöht. Zum anderen ist auch der Anteil derjenigen, die auf keinen Fall AfD wählen würden, von deutlich über 60 auf 55 Prozent gesunken. Dies könnte der Partei beispielsweise die Mobilisierung von Nichtwählern erleichtern.

Ist Deutschland heute noch das Land des „Sommermärchens“

Ein zweiter Faktor, den Görmann nennt, ist, dass die allgemeine Stimmung 2023 einen Tiefstwert erreicht habe, diese allerdings perspektivisch besser würde. Es werde gute Tarifabschlüsse, ein höheres Bürgergeld, eine deutliche Rentenerhöhung und sogar ein leichtes Wirtschaftswachstum geben. Sogar die Inflation liege „nur noch“ bei 6,1 Prozent und würde in den kommenden Monaten „voraussichtlich erträglicher“ werden. Auch die Konjunktur werde sich erholen.

Führende Wirtschaftsverbände wie der DIHK oder der Bundesverband mittelständischer Wirtschaft teilen diesen Optimismus nicht. Ökonomen wie Daniel Stelter sehen Deutschland sogar „auf dem Weg zum Armenhaus“. Sie alle beklagen eine ideologische Politik von oben, die Fragen nach ihrer Umsetzbarkeit ignoriere – und sehen bei den Verantwortlichen wenig Bereitschaft, diese zu hinterfragen.

Görmann nennt auch noch die Fußball-EM in Deutschland 2024 als Faktor, der die Stimmung verbessern werde. Er verweist auf das „Sommermärchen“ 2006. Dabei geht er offenbar davon aus, dass sich das Land als solches seither nicht verändert habe. Kritiker weisen hingegen darauf hin, dass „Sommermärchen“-Vater Franz Beckenbauer im öffentlichen Diskurs ebenso zum Paria mutiert ist wie Gerhard Schröder, in dessen Regierungszeit die WM-Vergabe fiel.

Zudem habe bereits die vergangene EM mit der belehrenden„Regenbogen“-Kampagne gegen Ungarn gezeigt, dass die Welt in Deutschland nicht mehr unbedingt „zu Gast bei Freunden“ sei. Sogar in Deutschland selbst hatte die zunehmende Politisierung des Fußballsports eine Entfremdung bewirkt. Die Verhältnisse dürften insofern mit jenen von 2006 nicht mehr viel gemein haben.

Noch vor zwei Jahren waren elf Prozent für die AfD eine „gläserne Decke“

Im Übrigen ist es nicht das erste Mal, dass der Rechtsaußenpartei attestiert wird, ihren Zenit überschritten zu haben. In der „Sächsischen Zeitung“ hatte Oliver Reinhardt nach durchwachsenen Kommunalwahlergebnissen in Sachsen 2022 dieses vermutet. Ein Jahr zuvor sprach der Chemnitzer Politikwissenschaftler Eric Linhart von einem „ausgeschöpften Potenzial“ der Partei von bundesweit elf Prozent. Das war ein Tag nach der Bundestagswahl.

Der frühere Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier meinte sogar nach deren bis dahin höchsten Landtagsergebnissen im Jahr 2019, für die AfD gehe es nicht mehr weiter nach oben. Sogar der frühere Parteichef Jörg Meuthen hatte 2021 von einer „gläsernen Decke“ von etwa elf Prozent gesprochen, an der die AfD lange angestoßen sei. Er sah darin eine Frage der Strategie.

Nur zwei Jahre später haben sich die Umfragewerte der Partei bundesweit verdoppelt – und mittlerweile nimmt sie sogar in einigen westdeutschen Bundesländern Kurs auf 20 Prozent. Das Ganze, ohne dass personell oder inhaltlich eine erkennbare Mäßigung stattgefunden hätte.

„Faktor Reaktanz“

Marcel Görmann im „Westen“ ist davon überzeugt, dass die Bereitschaft, AfD zu wählen, mit mehr Geld am Ende des Monats und ein wenig Fußball-Patriotismus sinkt. Ulf Poschardt in der „Welt“ sieht hingegen tiefere Ursachen für die Entwicklung.

Er sieht die zunehmende Wahrnehmung eines „Die gegen uns“, wenn es um das tonangebende linksliberale Milieu in Politik, Medien und öffentlichem Leben geht. In seiner Analyse zum Fall Aiwanger äußert er:

Der moralisch hohe Ton, mit der die andere Seite seit 2015 ihre eigenen hammerharten politischen, in Teilen super radikalen Anliegen verklärt, nutzt sich ab. Mit jeder Kampagne. Mit jeder Sendung von Restle-Böhmermann-Reschke-usw-usf. Hunderte von rot-grünen Tagesthemen-Kommentaren haben die Republik nicht umerzogen, im Gegenteil. Die Reaktanz wächst – und auf eine dramatische Art wachsen auch die Fliehkräfte an den Rändern.“

„Freie Wähler“ und Wagenknecht-Partei als mögliche AfD-Bremsen

Einem offenbar stark anwachsenden Teil der Wählerschaft scheint es völlig egal zu sein, wie der Verfassungsschutz die AfD einstuft oder wie radikal ihre Abgeordneten agieren. Sie erkennen in der Partei auf vielen Ebenen das adäquate Ventil, um ihre Distanz zu der Art und Weise zum Ausdruck zu bringen, wie deutsche Politik funktioniert. Überall dort, wo dies der Fall ist, machen entfremdete Wähler davon Gebrauch.

Dies erklärt auch, dass die AfD auf kommunaler Ebene, wo Parteizugehörigkeiten oder Listen regelmäßig keine Rolle spielen, verhältnismäßig schlecht abschneidet. Auch dort, wo andere politische Kräfte als taugliches Gegengewicht zu den etablierten Parteien gelten, ist sie weniger stark. Ein Beispiel dafür ist Bayern, wo die Kampagne gegen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger Reaktanz zugunsten der „Freien Wähler“ entfalten könnte.

Insofern könnte Görmanns Prognose zumindest bezüglich ihres dritten Faktors Bedeutung entfalten. Er rechnet damit, dass eine neue Wagenknecht-Partei der AfD gefährlich werden könnte, weil diese einen Teil ihres Wählerpotenzials ansprechen könnte. Beide würden um „Ostdeutsche, Gegner der Woken und der Asylpolitik“ buhlen. Noch steht diese jedoch erst im Gründungsprozess.

Unterm Strich spricht jedoch vieles dafür, dass weder die AfD noch Wagenknecht noch Aiwanger die treibenden Kräfte für den Unmut im Land sind – sondern etablierte Politik und Medien selbst.



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