Ukraine-Flüchtlinge im Verdacht des „Sozialtourismus“: Lindner und Wagenknecht auf Merz-Kurs

Bereits vor einem Jahr hatte CDU-Chef Merz eine Debatte über möglichen „Sozialtourismus“ von Flüchtlingen aus der Ukraine angestoßen. Nun greifen auch FDP-Chef Lindner und Sahra Wagenknecht das Thema auf.
Aus der Ukraine vertriebene Menschen stehen mit ihrem Gepäck vor einem Flüchtlingsheim in Köln.
Aus der Ukraine vertriebene Menschen stehen mit ihrem Gepäck vor einem Flüchtlingsheim in Köln.Foto: Henning Kaiser/dpa
Von 12. November 2023

Der Krieg im Nahen Osten hat jenen in der Ukraine weitgehend aus den Schlagzeilen verdrängt. Die viel beschworene „Rückeroberungsoffensive“ der ukrainischen Armee gegen russisch kontrollierte Gebiete kommt kaum voran. Und mittlerweile scheint auch die Bereitschaft zur Solidarität mit den mehr als 1,1 Millionen Ukraine-Flüchtlingen an Grenzen zu stoßen. Darauf deuten jüngste Aussagen von Bundesfinanzminister Christian Lindner und BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht hin.

Flixbus bietet regelmäßig Fahrten in mehrere ukrainische Städte an

Im September des Vorjahres war CDU-Chef Friedrich Merz noch auf schroffe Zurückweisung vonseiten der Ampel gestoßen, als er möglichen Sozialmissbrauch durch Ukraine-Flüchtlinge anprangerte. Damals hatte er gegenüber „Bild“ geäußert:

Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge – nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“

Merz hatte damals geäußert, dieses Phänomen sei bei einer „größeren Zahl“ an Flüchtlingen aus der Ukraine zu beobachten. Um seine These zu untermauern, hatte er auf Angebote des Busunternehmens Flixbus hingewiesen. Dieses biete täglich mehrere Reisen in die Hauptstadt Kiew an.

Bereits wenige Monate nach Beginn der russischen Offensive im Februar 2022 hatte Flixbus auch regelmäßig andere Destinationen in der Ukraine angesteuert. Allerdings befanden sich diese außerhalb des hauptsächlichen Kriegsgebietes im Osten des Landes.

Lindner will mehr Ukraine-Flüchtlinge in Arbeit bringen

In Anbetracht der zunehmenden Belastung von Kommunen mit der Versorgung und Integration von Schutzsuchenden hat nun jedoch auch Bundesfinanzminister Christian Lindner das Wort ergriffen. Gegenüber dem TV-Sender RTL äußerte er:

Das sind hunderttausende Menschen, die im Prinzip dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, aber gegenwärtig nicht arbeiten, sondern soziale Leistungen beziehen.“

Neben Asylsuchenden, gegenüber welchen die Ampel künftig eine rigidere Linie fahren möchte, soll es künftig auch strengere Maßstäbe bezüglich der Ukraine-Flüchtlinge geben. Lindner wolle „die ganze Palette an Maßnahmen einsetzen“, um die Betreffenden in Arbeit zu bringen. Dafür brachte er eine Beseitigung von Qualifikationsmängeln ebenso ins Spiel wie die Vermittlung von Jobangeboten.

Von Merz ausgelöste Debatte erreicht die Ampel

Sollten sich die Adressaten jedoch verweigern, müssten im schlimmsten Fall „auch Leistungen gekürzt“ werden, so der Minister. Die sei „auch ein Gebot der Solidarität“. Wer Sozialleistungen beziehe, so Lindner, müsse sich bemühen, dies „nur so lange und weit wie nötig zu tun“.

Ukraine-Flüchtlinge sind nicht verpflichtet, einen Asylantrag zu stellen, wenn sie in die EU kommen. Es gelten für sie auch nicht die Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes, das bald verschärft werden soll. Stattdessen sind Ukraine-Flüchtlinge unmittelbar berechtigt, Bürgergeld zu beantragen.

Derzeit leben in Deutschland mehr als 1,1 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine. Das ist die größte Anzahl unter allen EU-Mitgliedstaaten vor Polen (knapp 960.000) und Tschechien (rund 366.000). Als CDU-Chef Merz das Thema des „Sozialtourismus“ aus der Ukraine ansprach, war aus der SPD noch von einer „unterirdischen Wortwahl“ gegenüber „Opfern eines Angriffskrieges“ die Rede. Mit Lindners Aussagen hat die Debatte nun auch die Ampel erreicht.

Wagenknecht: Manche Ukraine-Flüchtlinge kommen nur für Leistungen nach Deutschland

Noch konkreter wurde BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht am Freitag, 10. November, gegenüber RTL und ntv. Sie hatte erklärt, es stünden „da große Fragezeichen“, wenn Ukrainer de facto in der Ukraine lebten und nur zur Entgegennahme von Leistungen nach Deutschland kämen. Auf die Frage, ob ihr konkrete Fälle bekannt seien, antwortete Wagenknecht:

Ich kenne konkrete Fälle. In meiner Heimatstadt wurden ganze Häuser angemietet für ukrainische Flüchtlinge und die Nachbarn haben sich gewundert, dass da niemand ist.“

Sie wolle aber „nicht pauschalisieren“, erklärte Wagenknecht. Gleichzeitig forderte die Politikerin die Bundesregierung dazu auf, ihre Energiepartnerschaft mit Russland wieder aufzunehmen. Moskau erfülle seine vertraglichen Pflichten und beliefere immer noch eine Pipeline, die durch die Ukraine verlaufe.

Außerdem habe der Kreml angeboten, den noch funktionsfähigen Strang von Nord Stream zu beliefern. Wagenknecht habe zwar persönlich „kein Vertrauen zu Wladimir Putin“. Allerdings sehe sie „kurzfristig keine andere Lösung, um die Energiepreise zu senken“.

„Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Kriegsflüchtlinge in Deutschland niedriger“

Auf Anfrage von „ZDF heute“ hatten das Bundesarbeitsministerium und die Bundesagentur für Arbeit im Vorjahr die Aussagen von Friedrich Merz nicht bestätigen können. Im August 2022 seien etwa 546.000 ukrainische Leistungsberechtigte bei den zuständigen Stellen gemeldet gewesen. Von diesen galten etwa 355.000 als erwerbsfähig.

Um Grundsicherung vom Jobcenter zu bekommen, müsse sich der jeweilige Bezieher „im zeit- und ortsnahen Bereich des zuständigen Jobcenters“ aufhalten. Zudem müsse er per Post erreichbar sein. Es gebe lediglich Anspruch auf Ortsabwesenheit im Umfang von 21 Tagen pro Jahr, die jedoch antragspflichtig seien. Verstöße gegen diese Bestimmungen beseitigten den Leistungsanspruch.

Kürzlich zeigte sich jedoch der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, skeptisch bezüglich der Einhaltung dieser Vorgaben durch Ukraine-Flüchtlinge. Es werfe Fragen auf, dass

die Zahl der Kriegsflüchtlinge, die hierzulande einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen, so viel niedriger ist als in den anderen europäischen Ländern.“

(Mit Material von dts und dpa)



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