Schuldenbremse ausgesetzt: Bundestag beschließt Nachtragshaushalt für 2023
Der Bundestag hat einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr verabschiedet. Das Parlament setzte dafür erneut die Schuldenbremse aus. Es stellt den Etat für 2023 nach dem Karlsruher Haushaltsurteil damit auf rechtlich sichere Füße. Die Neuverschuldung liegt nun bei 70,61 Milliarden Euro und damit 44,8 Milliarden Euro über der zulässigen Kreditaufnahme.
Ein Nachtragshaushalt ist eine nachträgliche Veränderung eines bereits vom Parlament beschlossenen Etats. Der Bundestag zieht damit die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Das höchste deutsche Gericht hatte entschieden, dass der Bund sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre auf Vorrat zurücklegen darf.
Genau das hat er im Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) für die Energiepreisbremsen und im Fonds zur Fluthilfe aber gemacht. In diesem Jahr wurden Kredite genutzt, die der Bund nach dem Urteil eigentlich nicht hätte aufnehmen dürfen. Mit dem Nachtragshaushalt macht die Ampel-Regierung Ausgaben von 43,2 Milliarden Euro aus dem WSF und 1,6 Milliarden Euro an Aufbauhilfen rechtlich sicher.
Voraussetzung für den Etatbeschluss war, dass der Bundestag eine außergewöhnliche Notlage erklärt und so zum vierten Mal in Folge die Schuldenbremse aussetzt. Diese Option sieht die Regelung im Grundgesetz für Notlagen ausdrücklich vor. In den vergangenen Jahren hatte das Parlament dies zuerst mit der Corona-Krise und dann mit den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die deutschen Staatsfinanzen begründet.
Nachträgliche Sicherheit für Energiepreisbremsen und Fluthilfe
Auch dieses Mal argumentierte die Bundesregierung damit, dass die tiefgreifenden humanitären, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen des Kriegs die staatliche Finanzlage beeinträchtigten. Zudem seien Schäden von der Flutkatastrophe aus dem Sommer 2021 noch nicht beseitigt. CSU-Generalsekretär Martin Huber warf der Ampel-Koalition vor, vorgeschobene Notlagen zu nutzen, um die Schuldenbremse auszusetzen.
Vorgesehen sind für das laufende Haushaltsjahr nun Ausgaben in Höhe von 461,21 Milliarden Euro. Mit dem Beschluss wurden zugleich weitere Veränderungen im Haushalt vorgenommen. Die Höhe der Steuereinnahmen und die Zinsausgaben wurden an die aktuellste Prognose angepasst.
Außerdem fällt ein Darlehen in Höhe von etwa zehn Milliarden Euro für die Aktienrente weg, weil die dafür nötige Stiftung noch nicht gegründet ist. Die Aktienrente soll längerfristig die Rentenversicherung entlasten. Aus öffentlichen Mitteln soll Stück für Stück ein Kapitalstock aufgebaut werden, aus dessen Erträgen die Rentenbeiträge und das Rentenniveau stabilisiert werden sollen. Mit dem Nachtragshaushalt wurde auch das Ende des Topfes für die Energiepreisbremsen besiegelt.
Auch für den Etat des nächsten Jahres hatte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Konsequenzen. Nach tagelangen Verhandlungen entschieden die Ampel-Spitzen erst am Mittwoch, wie sie ein Milliardenloch stopfen wollen: mit zahlreichen Sparmaßnahmen, aber vorerst ohne Aussetzen der Schuldenbremse.
Viel Kritik
Die Union äußerte zuvor verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf den Nachtragshaushalt der Ampel-Regierung für das laufende Jahr. In Teilen des Etats werde noch immer eine falsche Buchungssystematik angewendet, sagte Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) im Bundestag. „Und deswegen bleiben verfassungsrechtliche Bedenken auch an ihrem Nachtragshaushalt heute.“
Auch der Bundesrechnungshof hält ihn für verfassungswidrig. Dabei geht es um die Frage, zu welchem Zeitpunkt Kredite auf die Schuldenbremse angerechnet werden: Wenn sie genehmigt oder wenn sie tatsächlich aufgenommen werden.
CDU-Politiker Middelberg ließ ebenfalls kein gutes Haar an der Einigung der Ampel-Koalition für das Haushaltsjahr 2024. „Das ist kein guter Kompromiss für dieses Land. Es ist eher der Versuch, den Riss in ihrer Ampel zu kitten“, sagte er. Die Einigung sei ein Rettungspaket für die Ampel-Regierung. „Mehr ist es leider nicht.“
Hauptbestandteil seien „massive Steuer- und Abgabeerhöhungen“. Middelberg forderte unter anderem, das im Koalitionsvertrag festgehaltene Klimageld einzuführen. „Das wäre nämlich auch der entscheidende Schritt eines sozialen Ausgleichs gewesen“, sagte er. Die Ampel-Koalition hatte das Klimageld als Sozialausgleich für steigende Klimaschutz-Belastungen der Bürgerinnen und Bürger vorgesehen, noch ist es aber nicht umgesetzt.
Schuldenbremse: Reformkommission gefordert
Baden-Württembergs Finanzminister Daniel Bayaz (Grüne) und Berlins Finanzsenator Stefan Evers (CDU) machen sich indes für eine Reformkommission für die Schuldenbremse stark. Diese sollte mit Vertreterinnen und Vertretern aus Bund, Ländern und Wissenschaft besetzt sein, um die Schuldenbremse weiterzuentwickeln, schreiben die beiden Politiker in einem Gastbeitrag, der im „Tagesspiegel“ erschienen ist.
Die beiden Landespolitiker halten eine Investitionsregel im Rahmen der Schuldenbremse für einen denkbaren Teil einer möglichen Reform. „Damit wäre die Kreditfinanzierung zusätzlicher Investitionen beispielsweise mit Blick auf die Herausforderungen der Transformation möglich“, heißt es im Gastbeitrag. „Eine neue Ausnahme bei der Schuldenregel darf gerade nicht dazu führen, dass neuer Spielraum für konsumtive oder nicht zielgerichtete Ausgaben geschaffen wird, indem der Investitionsbegriff politisch aufgeladen wird.“
Die Länder bräuchten zudem mehr Verschuldungsspielraum. „Eine Verschuldung der Länder von beispielsweise 0,15 Prozent ihres BIP würde Spielräume eröffnen, die etwa für das wichtigste landespolitische Thema Bildung genutzt werden könnten“, schreiben die beiden Politiker. Notlagenkredite sollten nach ihrer Vorstellung auch über das Jahr des Notlagenbeginns hinaus verwendet werden können.
Die Schuldenbremse steht nach dem Haushaltschaos beim Bund in der Kritik. Unter den Ländern wird darüber gesprochen, eine Reforminitiative im Bundesrat zu starten, wie Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im RBB-Inforadio sagte. (dpa)
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