Nach spektakulärer Entführung in Berlin: Vietnamese zu fünf Jahren Haft verurteilt
Am heutigen Montag verurteilte der Staatsschutzsenat des Berliner Kammergerichts den 32-jährigen Vietnamesen Anh Tu L. zu fünf Jahren Haft. Ihm werden Beihilfe zur Freiheitsberaubung und geheimdienstliche Agententätigkeit zur Last gelegt. Da der Angeklagte noch in Revision gehen kann, bleibt er zunächst in Untersuchungshaft.
Der Fall schlug damals hohe Wellen: Am 23. Juli 2017 entführte der vietnamesische Geheimdienst den vietnamesischen Ex-Politiker Trinh Xuan Thanh am helllichten Tag aus dem Berliner Tiergarten.
Anschließend wurde der ehemalige Parteifunktionär der Kommunistischen Partei Vietnams und Vorstandsvorsitzende eines vietnamesischen Bauunternehmens über Tschechien in die Slowakei verschleppt. In Bratislava nutzten die Entführer ein bilaterales Treffen, um das Opfer in eine vietnamesische Delegation einzuschmuggeln. Mit einem gefälschten Ausweis ging es in einem slowakischen Regierungsflieger nach Vietnam, wo man ihn bis heute in Gefangenschaft hält.
Entführung in Berlin
Der Vorsitzende Richter Ralf Fischer präsentierte einen detaillierten Ablauf der Tat und der Tatvorbereitungen. Die Entführer machten sich die Kenntnis einer Liebschaft des verheirateten Opfers zunutze. Als die Geliebte Mitte Juli 2017 in einem Berliner Hotel abstieg und sich mit dem Opfer traf, witterten die Entführer ihre Chance. Zahlreiche Beteiligte spähten die beiden aus und planten die Tat – darunter auch der Verurteilte.
Als der Abreisetag der Geliebten nahte, schlugen die Entführer zu. Bei einem Spaziergang am Tiergarten passten sie die beiden ab und zerrten sie in einen Van. Beide leisteten heftigen Widerstand und wurden verletzt.
Die Tat selbst war von einem Passanten beobachtet worden, der zunächst mit seinem Pkw die Verfolgung aufnahm, aber wegen seines kleinen Sohnes abbrechen musste. Er informierte die Polizei.
Das Gericht war sich sicher, dass Anh Tu L. an den Tatvorbereitungen und als Fahrer des Tatfahrzeugs in Berlin beteiligt war. Und das, obwohl der Vorbestrafte weder beim Geheimdienst noch bei der Botschaft arbeitete. Offensichtlich wurde er als Externer ausgewählt, damit keine Verbindung nach Vietnam hergestellt werden konnte, so das Gericht.
Darüber hinaus soll er selbst das Fahrzeug geführt haben, mit dem das Entführungsopfer von mehreren Entführern in die slowakische Hauptstadt Bratislava gebracht wurde.
Beweise
Als Beweismittel dienten das Foto einer Autobahnüberwachung als auch DNA-Material, das 2017 auf dem Fahrersitz des Entführungsfahrzeuges gefunden wurde. Darüber hinaus konnten zahlreiche Mobilfunkdaten mit den handelnden Personen in Zusammenhang gebracht werden, darunter mit dem Verurteilten.
Verschiedene in Tschechien geliehene Mietfahrzeuge konnten die Täter ebenfalls überführen. Dabei wiegten sich die Täter in Sicherheit, weil sie die Fahrzeuge ohne formellen Mietvertrag erhalten hatten. Jedoch waren diese vom Autovermieter grundsätzlich mit Sendern ausgestattet worden und lieferten den Ermittlern wertvolle Hinweise über Routen, Datum und Uhrzeit der Fahrten.
Der Verurteilte hat laut Staatsanwaltschaft bis zur Entführung in Prag gelebt und sich danach nach Vietnam abgesetzt und damit der deutschen Strafverfolgung entzogen. Im Frühjahr 2022 wurde er in Prag verhaftet. Seit November 2022 stand er wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Beihilfe zur Freiheitsberaubung vor dem Berliner Kammergericht. Bereits 2018 wurde ein erster Entführungshelfer zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Scholz setzt sich für Entführungsopfer ein
Das Entführungsopfer Trinh Xuan Thanh soll 2016 zu seiner Ehefrau nach Deutschland geflohen sein, weil ihm in Vietnam Hausarrest drohte und verschiedene Wirtschaftsstraftaten zur Last gelegt wurden. Nach den Feststellungen des Senats soll es sich hierbei um politisch motivierte Verfahren gehandelt haben.
In Berlin lebte er im Verborgenen, richtete jedoch am 4. September 2016 einen offenen Brief an die Regierung in Hanoi, in dem er auch seinen Austritt aus der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) erklärte.
2018 wurde er wegen mehrerer Wirtschaftsvergehen in einem nicht rechtsstaatlichen Verfahren zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt. Er war jahrelang in Einzelhaft, bevor er 2021 in eine Zelle mit 25 Männern verlegt wurde. Wie es den beiden Opfern jetzt geht, wurde nicht bekannt.
Die Bundesregierung fordert die Freilassung und Ausreise von Trinh Xuan Thanh nach Deutschland. Bei seinem Vietnambesuch im November 2022 soll Bundeskanzler Scholz (SPD) die Situation des Entführungsopfers angesprochen haben. Thanh hatte vor seiner Entführung in Deutschland Asyl beantragt und auch erhalten.
Seit dem Fall gilt das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Vietnam als getrübt.
Mit dem slowakischen Regierungsflugzeug nach Vietnam
Was den Fall zusätzlich brisant macht, hatte der leitende Berliner Kriminalbeamte Andreas Voges vor Gericht ausgesagt: Demzufolge wurde Trinh Xuan Thanh mit dem slowakischen Regierungsflugzeug aus dem Schengenraum gebracht.
Dazu hatte Vietnams Innenminister To Lam nach aktuellen Erkenntnissen ein Treffen mit seinem damaligen slowakischen Amtskollegen Robert Kalinak anberaumt, das nur 40 Minuten dauerte. Das Treffen soll als Vorwand gedient haben, damit Kalinak den Vietnamesen den Regierungsflieger leihen konnte, um das Entführungsopfer mit einem von vietnamesischen Diplomaten gefälschten Pass aus dem Schengenraum zu bringen, berichtete Voges. Im Flieger soll dann der vietnamesische Innenminister zusammen mit dem Entführungsopfer in dem slowakischen Regierungsflieger von Bratislava nach Hanoi geflogen sein.
Auch in der Slowakai hat laut „taz“ die Entführung hohe Wellen geschlagen. Nachdem wegen der Entführung in der Slowakei bereits zweimal strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet und durch die dortige Staatsanwaltschaft wieder eingestellt wurden, soll seit Dezember die nationale Kriminalbehörde NAKA wegen mutmaßlicher Bestechung ermitteln.
Die Behörde geht davon aus, dass für die Ausleihe des Regierungsflugzeugs Bestechungsgeld von Vietnam an nicht namentlich benannte Personen in der Slowakei geflossen ist.
Der damalige slowakische Innenminister Robert Kalinak bestreitet, dass das Entführungsopfer im slowakischen Regierungsflugzeug gesessen hat. Dem widerspricht aber der damalige parteilose Präsident Andrej Kiska, berichtet die „taz“.
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