Nach dem Paukenschlag von Sonneberg: Was kann ein Landrat der AfD bewirken?

Zum ersten Mal wird die AfD im thüringischen Sonneberg einen Landrat stellen. Dessen Befugnisse sind jedoch eingeschränkt. Viele Gesetze muss er verpflichtend umsetzen.
Robert Sesselmann (AfD) ist der Wahlsieger in Sonneberg.
Foto: Martin Schutt/dpa
Von 26. Juni 2023

Der Paukenschlag von Sonneberg vom Sonntagabend, 25. Juni, sorgt weiterhin republikweit für Gesprächsstoff. Zum ersten Mal seit der Gründung der AfD hat eine Allparteienkoalition nicht mehr ausgereicht, um die Wahl eines ihrer Politiker in ein oberstes Verwaltungsamt zu verhindern.

Mit 52,8 Prozent haben die Bürger des Landkreises Sonneberg den Juristen Robert Sesselmann zu ihrem neuen Landrat gewählt. Dabei lag der AfD-Kandidat in acht der neun dortigen Gemeinden voran – nur in Lauscha behielt CDU-Kandidat Jürgen Köpper knapp die Oberhand. Mit Ausnahme der 23.000-Einwohner-Stadt Sonneberg selbst hat keine Gemeinde in dem ländlichen Landkreis mehr als 10.000 Einwohner.

Özoğuz weist auf „NSU-Spur nach Sonneberg“ hin

Während Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen bedauert, dass Köpper gescheitert sei, weil er als CDU-Kandidat angetreten wäre, fährt man von links schwerere Geschütze auf. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach spricht auf Twitter vom „Tiefpunkt unserer Politik seit dem Fall der Mauer“.

Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Aydan Özoğuz, fühlt sich sogar genötigt, an den Terrorismus des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) zu erinnern. Dessen Wurzeln lagen in Thüringen und dessen Spur „führte auch nach Sonneberg“, so die Politikerin.

Viele Wähler nahmen bundespolitische Themen zum Anlass für Wahl der AfD

Unterdessen ist es Medien und politischen Beobachtern bislang kaum gelungen, Sesselmann nennenswerte extreme Äußerungen in seiner Vergangenheit nachzuweisen. Im Thüringer Landtag, dem er seit 2019 angehört und aus dem er demnächst ausscheiden will, ist er eher durch ruhige Sacharbeit aufgefallen.

Auch auf seinem Facebook-Account geht es vor allem um die tägliche politische Arbeit – aggressive Agitation ist zumindest auf den ersten Blick nicht zu bemerken. In der Stichwahl ist die Wahlbeteiligung von 49,1 auf 59,6 Prozent gestiegen. Offenbar sind einige Bürger des Landkreises Sonneberg, die im ersten Durchgang zu Hause geblieben waren, gezielt zur Stichwahl gegangen, um Sesselmann zu ermöglichen.

Zu den Hauptmotiven, den AfD-Kandidaten zu wählen, zählten für viele offenbar die wesentlichen Punkte, die Sesselmann im Wahlkampf ansprach. Neben der Flüchtlingspolitik waren dies das Ende der Waffenlieferungen in die Ukraine, die Aufhebung der Russlandsanktionen, das geplante Heizungsgesetz, die Inflation und die Energiepolitik.

Landrat hat etwa 80 Bereiche im übertragenen Wirkungsbereich zu erledigen

Zu den Herausforderungen für Sesselmann wird es gehören, einen mehrere Hundert Personen umfassenden Verwaltungsapparat zu führen – und dabei in vielen Bereichen selbst wenig verändern zu können. Dies gilt nicht nur für bundespolitische Angelegenheiten wie die Außenpolitik.

Als Landrat muss Sesselmann Aufgaben der Landes- wie auch der Bundesverwaltung im „übertragenen Wirkungskreis“ ausführen. Er muss in diesen Bereichen Gesetze und Verordnungen umsetzen, auch wenn er diese selbst für wenig sinnhaft hält. Dass es einen gewissen Spielraum gibt, haben einige Landräte in der Corona-Zeit aufgezeigt. Vor allem konnten sie Bedenken bezüglich der Umsetzbarkeit von Vorgaben artikulieren, die von den höheren Ebenen gekommen waren.

Etwa 80 Bereiche fallen in diesen Wirkungskreis – vom Baurecht über soziale Sicherheit, Kfz-Zulassung oder Umweltrecht bis hin zur Flüchtlingsversorgung. Bund und Länder müssen dem Landkreis die Kosten für die Erledigung übertragener Aufgaben erstatten. Insbesondere in der Flüchtlingspolitik hat dies jedoch oft zu Unwägbarkeiten geführt, wie die Flüchtlingsgipfel der vergangenen Monate zeigten.

Bei der Flüchtlingsbetreuung hat der Landrat Ermessen in Randbereichen

Sonneberg muss der Quotenverteilung zufolge 2,6 Prozent aller Flüchtlinge in Thüringen aufnehmen und versorgen. Daran kann der Landrat nichts verändern. Er hat allerdings Spielraum bezüglich der Art der Unterbringung. Derzeit gibt es eine Gemeinschaftsunterkunft in Sonneberg selbst. Weitere Schutzsuchende sind in Wohnungen untergebracht.

Der Landrat kann nun beispielsweise anordnen, dass mehr Flüchtlinge in dazu bereiten Privatunterkünften, Turnhallen oder Zelten Obdach finden. Auch gibt es einen Spielraum, wenn es darum geht, Leistungen als Geld- oder Sachleistungen auszubezahlen.

Die AfD hatte wiederholt gefordert, nur noch das gesetzlich vorgesehene Mindestmaß an Geldleistungen an Flüchtlinge auszubezahlen und stattdessen auf Sachleistungen zu setzen. Allerdings sind Gesetze, Verordnungen und Gerichte diesbezüglich restriktiv.

Als Geldleistungen sind vorrangig unter anderem Ausgaben für Hygiene, Ernährung, Kleidung, aber auch öffentliche Verkehrsmittel oder Telefon und Freizeit auszubezahlen. Der Handel ist damit auch zufriedener. Im Jahr 2015 entschied sich der Landkreis Weimarer Land dazu, vom Sachleistungssystem abzugehen. Der bürokratische Aufwand sei zu groß gewesen, die Läden hätten die Lebensmittelgutscheine ungern akzeptiert.

Über Windräder in Sonneberg entscheiden Planungsgemeinschaften

Auf Abschiebungen hat ein Landrat keinen Einfluss. Zudem gibt es für einen Aufnahmestopp, wie ihn einige Kommunen verkündet hatten, keine gesetzliche Grundlage. Es würde sich entsprechend um Symbolpolitik handeln, einen solchen zu verkünden.

Auch bezüglich des Baus von Windkraftanlagen ist der Entscheidungsspielraum des Landrates eingeschränkt. Hier gibt es vier Planungsgemeinschaften, in denen neben den Landräten auch Oberbürgermeister und Bürgermeister der mittelgroßen Städte vertreten sind. Zudem entsenden die Kreistage weitere Mitglieder. In den Planungsgemeinschaften entscheiden Zweidrittelmehrheiten, dazu kommen die Vorgaben des Bundes bezüglich der Vorranggebiete.

Im eigenen Wirkungskreis entscheidet der Landkreis über Angelegenheiten wie die Verwaltung der lokalen Kliniken, das Schulnetz, Radwege, die Sanierung von Kreisstraßen oder Investitionen. Der Kreistag verabschiedet dazu Satzungen und Beschlüsse – der Landrat hat diese umzusetzen. Die AfD ist mit 24 Prozent im Kreistag zweitstärkste Fraktion hinter der CDU.

Zu forsches Auftreten für einen Landrat wenig produktiv

Der Landrat selbst leitet die Sitzungen des Kreistages und hat damit einen Einfluss auf die Themenauswahl. Er hat eine gewisse Personalhoheit und ein eigenes Budget zur Leitung seiner Behörde.
Zudem kann ein Landrat durch Klagen versuchen, bestimmte gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen zu verzögern oder zu verhindern. Verweigert er sich jedoch der Erledigung gesetzmäßig vorgeschriebener Handlungen, sind notfalls Zwangs- oder Strafmaßnahmen möglich. Diese reichen von einem Verweis oder einer Geldbuße bis zu einer Kürzung der Bezüge oder Entlassung. Unter bestimmten Umständen ist auch die Anordnung einer Zwangsverwaltung möglich.

Real kommt dem Landrat die Aufgabe zu, mit Investoren und Vertretern anderer Landkreise Gespräche zu führen und Sonneberg beispielsweise im Landkreistag zu vertreten. Die Erfahrung spricht dafür, dass zu radikales Vorgehen dabei eher kontraproduktiv sein kann.



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