Manfred Graf von Schwerin – Ein Leben für Freiheit und Eigentum
„Fortiter in re, suaviter in modo“ – „Hart in der Sache, umgänglich in der Art und Weise“, so sieht Manfred Graf von Schwerin sich selbst.
Das zeichne ihn aus, bestätigt mir seine Ehefrau mit französischem Akzent. Mit großer Ausdauer kämpfe er und fürchte dabei keine Widrigkeiten. „Hinzu kommt seine Vielseitigkeit, die Gabe, zuhören zu können und ein Blick für die manchmal auch verborgenen Großartigkeiten im Leben.“
Ich sitze ihm gegenüber auf einer Gartenterrasse vor dem Plänitzer Barock-Gutshaus. Hier lebt er seit 2012 mit seiner belgischen Ehefrau.
Das barocke Herrenhaus stellt eines der ältesten noch erhaltenen Fachwerk-Gutshäuser in Brandenburg dar. Erbaut um 1694 und später mit dem englischen Park verschönert, ziert es trotz seiner Baufälligkeit die Landschaft.
Mit wachem Blick schaut er mich an. Es ist sonnig, aber kühl an diesem herbstlichen Septembertag.
„Jetzt bin ich wieder im alten Haus der Familie“
Der gebürtige Stettiner entstammt einer alten pommerschen Landwirt-, Beamten- und Offiziersfamilie. Seine Vorfahren kamen mit Heinrich dem Löwen aus Lüneburg und siedelten sich zunächst um Schwerin herum an. Später zogen sie weiter in die Nähe von Anklam. Dort besaß die verzweigte Familie im sogenannten Grafenwinkel eine Reihe von Gütern.
Mit seinen vier Geschwistern lebte er bis zum März 1945 auf dem väterlichen Rittergut in einem Gutshaus in Ziethen (Vorpommern). Es befand sich – bis zur Flucht seiner Eltern in den Westen Deutschlands – seit drei Generationen in Familienbesitz und umfasste rund 800 Hektar. Der Vater war Volljurist, Landwirt und ein anerkannter Pianist. Die Familie musste 1945 vor der Roten Armee fliehen, um politischer Verfolgung zu entgehen.
Das vernachlässigte elterliche Gutshaus in Ziethen von 1818 wurde nach der Wiedervereinigung statt an Graf von Schwerin der Gemeinde übertragen, die zur Restaurierung keine Möglichkeit hatte.
Erst kürzlich konnte er im alten Elternhaus in Ziethen zumindest wieder eine Mietwohnung für seinen Förderverein einrichten. „Jetzt bin ich wieder im alten Haus der Familie“, erzählt er sichtlich bewegt. Lange hat er auch dafür gekämpft, dass der elterliche Senkgarten nach Karl Foerster vor dem Haus wieder aufgebaut wird.
„Durch mein gutes Verhältnis zur Gemeinde und mein Engagement für den Erhalt und Wiederaufbau des mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Gutshof-Ensembles war dies möglich“, erklärt Graf von Schwerin.
„Ich habe noch genau das Bild vom Hof, dem Garten, den ganzen Bäumen vor Augen, das sich mir als Kind einprägte.“ Dieses Bild dominiere über das jetzige Bild des Gutshofes. „Mit den alten Bildern im Kopf sind starke Heimatgefühle verbunden“, berichtet er berührt.
15 Jahre Sperrfrist
Ein Großteil der alten Ländereien seiner Familie wurde ihm jedoch nicht zurückgegeben. Nach der Wiedervereinigung konnte er zunächst nur 29 Hektar, später 63 Hektar vom alten Familienbesitz zurückkaufen.
Nach der Wiedervereinigung entschied die BRD-Regierung – und die Gerichte stellten sich dahinter –, dass die enteigneten Flächen der DDR von den Gebäuden, die auf ihnen stehen, getrennt werden.
„Die Flächen erhielten oftmals die sogenannten Roten Barone, die LPG-Chefs, und die Gebäude die Gemeinden, die aber damit meist nichts anfangen konnten – was bis heute ein großes Unrecht darstellt“, so Graf von Schwerin. LPG ist die Abkürzung für die durch Zwangskollektivierung entstandenen „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ in der DDR.
Aufgrund einer Nutzungssperrfrist von 15 Jahren auf den zurückgekauften Flächen war er gezwungen, diese Flächen zu verpachten. Kopfschüttelnd berichtet er davon.
Im letzten Jahr begannen schließlich auf seine Initiative hin auch die Arbeiten an der Fachwerkfassade und dem Dach des Plänitzer Gutshofes. „Es war ein harter Weg bis dahin, mit etlichen Anträgen, Gesprächen und Vorbereitungen“, berichtet er.
„Zu uns kamen viele Künstler“
Musik, Poesie und die Natur spielen für den Juristen, der in Heidelberg, Paris und Hamburg studierte, eine wichtige Rolle im Leben. Insbesondere die deutsche und französische Literatur hat es ihm angetan wie Rilke, Apollinaire und Rimbaud. Wo kommt dieses Interesse her?, frage ich ihn. „Vielleicht liegt es am Elternhaus, aber vielleicht liegt es auch an den Genen“, antwortet er leicht schmunzelnd.
Gerade vor 14 Tagen habe er in dem ehemaligen elterlichen Gutshaus in Ziethen im Musiksaal einen klassischen Musik- und Lyrikabend veranstaltet. „Mit einem ehemaligen Oberspielleiter.“ Er zitierte dabei Werke von Rainer Maria Rilke.
Solche Hauskonzerte seien von seinen Eltern häufiger in Ziethen veranstaltet worden. „Zu uns kamen viele Künstler.“
Das war auch auf anderen Gutshöfen üblich, erklärt Graf von Schwerin. „Doch nicht jeder hatte so hochkarätige weltberühmte Pianisten wie Wilhelm Kempff, Edwin Fischer oder Eduard Erdmann bei sich zu Gast.“
Das unsinnige Propagandabild von damals sei einfach ein falsches Bild von den Gutsbesitzern, nämlich dass sie nur mit Stulpenstiefeln übers Feld gelaufen oder nur zur Jagd gegangen seien. Im Gegenteil: „Damals waren die meisten Gutshöfe noch eng mit den umgebenden Dörfern verbunden und stellten eigenständige, gut funktionierende landwirtschaftliche Betriebe dar“, schildert Herr von Schwerin.
„Wir haben noch 1944 entschieden, den ersten Mähdrescher anzuschaffen. Das war damals ‚was ganz Neues.“ Die ganzen Maschinen seien dann von den Russen weggeschleppt und das Vieh abtransportiert worden. „Die Menschen mussten ihre Flächen daher mit dem Spaten umgraben.“ Das hätte die Region sehr zurückgeworfen.
Gutsherr musste für seine Mitarbeiter sorgen
Die landwirtschaftlich genutzte Fläche der Familie Schwerin betrug zwischen 400 und 800 Hektar. Heute umfassen die großen landwirtschaftlichen Betriebe zum Teil 3.000 Hektar. „Sie werden nur von einer Handvoll Angestellten bewirtschaftet und können ohne Subventionen aus Brüssel nicht überleben.“
Früher war es ganz anders. Von den 120 Dorfbewohnern des Ortes Ziethen hätten damals rund 30 für den Gutshof gearbeitet. Innerhalb des Gutshofs hätte es verschiedene Betriebe – eine Schreinerei, die Gärtnerei, den Elektriker, die Mühle, die Schmiede gegeben. „Sie waren eigenständig und mussten ihre Wirtschaftlichkeit nachweisen. Das wurde sehr modern gehandhabt.“
Der Gutshof war somit nicht nur eine kulturelle Bereicherung, sondern er sorgte für die Bewirtschaftung der Ländereien, versorgte die Menschen mit Nahrung und schuf Arbeitsplätze für die Landbevölkerung.
„Wenn es mal keinen ausreichenden Lohn gab, sorgte das Gut dafür, dass jeder von den Landarbeitern seine Kuh, seine Schweine und Kartoffeln hatte. Das war Teil des Deputats [aus Naturalien bestehender Anteil des Lohns]“, berichtet Graf von Schwerin.
Diese in sich geschlossene Gemeinschaft wurde 1945 durch die Kriegswirren und später durch die sozialistische „Bodenreform“ in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) – „die eine Enteignung und Vertreibung war“ – zerstört. „Anders als jetzt teilweise dargestellt, waren die meisten mit diesem Leben zufrieden. Dieses Zusammenleben ist jetzt fast ganz verschwunden, das gibt es so nicht mehr“, erklärt er.
Nach Wiedervereinigung ging Zerstörung von Kulturgütern weiter
Entsprechend den Anweisungen der sowjetischen Militäradministration seien viele Gutshäuser und schöne Schlösser nach Kriegsende in der SBZ einfach gesprengt oder abgerissen worden, berichtet Graf von Schwerin. „Mit dem Baumaterial sollten bis Ende 1948 37.000 Neubauernhäuser für Heimatvertriebene aus den deutschen Ostgebieten gebaut werden. Sie sollten sich auf den enteigneten Flächen neu ansiedeln.“
„Einige Schlösser und Gutshäuser sind nur erhalten geblieben, weil Kriegsflüchtlinge, nachdem die eigentlichen Besitzer bereits geflohen oder vertrieben waren, dort wohnten.“ Man wollte gezielt das Erscheinungsbild der ländlichen Gegenden verändern.
Durch Enteignung und Vertreibung sei nach dem Krieg die ganze landwirtschaftliche Produktion zum Erliegen gekommen. Die Güter vom Landadel, vom bürgerlichen Mittelstand oder den Großbauern seien in kleine, fünf Hektar große Flächen zerschlagen und an die Vertriebenen verteilt worden.
„Das hatte massive Auswirkungen bis hin zu den Fluchtwellen und dann auch der Hungersnot.“ Hinter der Umverteilung von Grund und Boden habe das Ziel gesteckt, die ursprüngliche ländliche Struktur zu zerschlagen und die Gutsdörfer ihres historischen und kulturellen Charakters zu entkleiden. „Danach kam die Zwangskollektivierung mit ihren großen Produktionsgenossenschaften“, berichtet Graf von Schwerin.
Bauern flüchteten wegen politischer Verfolgung
„Die Bauern flüchteten nicht, weil sie im Westen das große Geld verdienen wollten, sondern aufgrund der Drangsalierungen, den Zwangsabgaben und der politischen Verfolgung.“
Nach der Wiedervereinigung ging die Zerstörung von Kulturgütern im Osten weiter. „Weil die BRD-Regierung unrechtmäßig das geraubte Eigentum aus DDR-Zeiten jedoch nicht an die Alteigentümer zurückgab, sind mehrere besonders schöne Gutshäuser und Schlösser erst nach der Wiedervereinigung zerfallen.“
Er fragt sich, warum man nicht zu den Alteigentümern gesagt habe: „Hier, du musst dir das wieder aufbauen. Du bekommst von den ursprünglich 1.000 Hektarn deines Familienbesitzes, der sich im DDR-Beutebesitz befand, 400 Hektar. Dafür baust du hier wieder alles auf und errichtest einen Betrieb und restaurierst das Haus. Du bekommst auch ein paar Fördermittel.“
Viele Alteigentümer kenne er, die das herzlich gerne gemacht hätten. Durch die rechtliche Situation und den Widerstand der Roten Barone vor Ort zogen sich viele Alteigentümer wieder zurück. „Das hat die wirtschaftliche Entwicklung im Osten maßgeblich negativ beeinflusst.“
Gründung der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum
Die eigenen Erfahrungen samt den rechtsstaatlich fragwürdigen politischen und judikativen Entscheidungen nach der deutschen Wiedervereinigung ließen ihn zusammen mit Mitstreitern 1995 die Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum e. V. (ARE) gründen. Sie bündelt die Opfer- und Geschädigtenverbände, Gruppen und Einzelpersonen der SBZ-/SED-/DDR-Diktatur im In- und Ausland.
Mit Stolz berichtet er von Gesetzesänderungen, die die Aktionsgemeinschaft initiierte, um die durch die BRD-Regierung entstandenen Schäden bei dem Aufbauprogramm für die neuen Bundesländer (Aufbau Ost) zu begrenzen.
Gleichzeitig setzt er sich mit der Aktionsgemeinschaft zusammen mit Landwirten dafür ein, eine moderne, nachhaltige Agrarstruktur im ländlichen Raum wiederzubeleben.
In seinem Gutshaus, in dem er seine Kindheit verbrachte, möchte er zukünftig wieder verstärkt Wurzeln schlagen. Das Haus soll als Klassik-Musikforum mit dem Namen des deutschen Pianisten, Organisten und Komponisten „Wilhelm Kempff“ dem musikalischen Nachwuchs zur Verfügung stehen.
Der Senkgarten vor dem Gutshaus in Ziethen nimmt immer mehr Gestalt an. Und da die Sperrfrist für sein zurückgekauftes Gut von mittlerweile 63 Hektar in vier Jahren abläuft, wird bereits fleißig geplant, wie’s weitergehen soll.
„Ich weiß, dass es noch viel zu tun gibt und die Defizite hier im Osten groß sind“, resümiert er. Die neue Bundesopferbeauftragte habe treffend festgestellt: „Es gibt noch einiges zu tun, um den Einigungsvertrag zu erfüllen und den bereits entstandenen Schaden zu begrenzen.“
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 68, vom 29. Oktober 2022.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion