Heimatschmerz und der unerfüllte Einigungsvertrag von 1990

Nach beinahe 32 Jahren deutscher Wiedervereinigung sind bisher nur etwa zwei Drittel des Einigungsvertrages umgesetzt. Das führte bei vielen Bundesbürgern zu einem Vertrauensverlust und erschütterte den Glauben an die BRD als Rechtsstaat.
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Die Grenze teilte Dörfer und Familien, ja ein ganzes Land.Foto: iStock
Von 31. Mai 2022

Direkt nach dem 2. Weltkrieg gab es in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. später in der DDR mehrere Enteignungs- und Zwangsaussiedlungsaktionen. Laut dem Einigungsvertrag von 1990 sollten die davon Betroffenen einen Ausgleich erhalten. Dies ist in vielen Fällen bis heute nicht geschehen. Mit Fachleuten und Zeitzeugen geht die Dokumentation „Phantomschmerz Heimat“ der „Fördergemeinschaft Recht und Eigentum e. V.“ den Hintergründen nach.

Hier wird von der 1945 bis 1949 zunächst unter der harmlosen Bezeichnung „Bodenreform“ stattgefundenen entschädigungslosen Enteignung von Großgrundbesitzern mit Bodenbesitz über 100 Hektar berichtet.

Nach dem Erlass des damaligen Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, die innerdeutsche Grenze hermetisch abzuriegeln, führte die DDR dann im Mai 1952 die erste große Zwangsaussiedlung durch. Intern wurde die geheim gehaltene Maßnahme als „Aktion Grenze“ bezeichnet. Die Stasi nannte sie „Aktion Ungeziefer“.

Davon betroffen waren verschiedene als „politisch unzuverlässig“ eingestufte Personengruppen, insbesondere die, die der SED-Führung kritisch gegenüber standen. Sie wurden ohne jede Vorankündigung unter Anwendung von Zwang aus dem Grenzgebiet ausgesiedelt.

Nach offiziellen Angaben wurden damals innerhalb eines Monats 8.379 Menschen mit LKW und Bahn aus dem Sperrgebiet in das Innere der DDR wegtransportiert. Etwa 2.000 weitere Menschen entzogen sich der Zwangsaussiedlung durch Flucht in den Westen.

Gleichzeitig errichtete das SED-Regime entlang der innerdeutschen Demarkationslinie Wachtürme, mannshohe Zäune und einen 500 Meter breiten Schutzstreifen, der nur mit einem Sonderausweis betreten werden durfte. Zudem wurde in einer Breite von 5 Kilometern entlang der Demarkationslinie eine „Sperrzone“ eingeführt.

„Aktion Festigung“

1961, sechs Wochen nach dem Bau der Mauer, die vom DDR-Staatsapparat als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet wurde, folgte die zweite große Zwangsaussiedlungsaktion. Die höchst geheime Vorbereitung in SED und Stasi begann dafür noch im August. Bei dieser als „Aktion Festigung“ bezeichneten politischen Maßnahme wurden tausende Menschen aus der fünf Kilometer breiten Sperrzone zwangsausgesiedelt.

Intern hieß es, dass es dabei um die Aussiedlung von „feindlichen Elementen“ oder Personen mit „faschistischer Vergangenheit“ ging. Tatsächlich wollte man unliebsame Bürger aussiedeln „zur Erhöhung der Sicherheit der DDR“, wie man vorgab. Den Zwangsausgesiedelten sagte man, es geschehe zu ihrer eigenen Sicherheit.

Gegen die staatliche Zwangsumsiedlung, die gegen die damalige DDR-Verfassung verstieß, gab es keine rechtlichen Widerspruchsmöglichkeiten. Die Menschen verloren damals an einem Tag Haus, Hof, Geschäft, Grundstück – kurz ihre Heimat. Oftmals konnten die Betroffenen erst nach der Wiedervereinigung ihre ursprünglichen Wohnorte erneut besuchen.

DDR-Wachturm. Foto: iStock

Zwangsaussiedlung als Instrument zur Einschüchterung

Ernst-Otto Schönemann (80) hat die Zwangsaussiedlungswelle von 1961 als Betroffener persönlich erlebt. Er ist Sprecher der Interessengemeinschaft der Zwangsausgesiedelten Sachsen-Anhalt und im Vorstand der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG). In der Dokumentation Phantomschmerz Heimat ist er als Zeitzeuge zu sehen.

Gegenüber Epoch Times erklärt er: „Die Grenze sollte 1961 noch stärker abgesichert werden. Da waren Menschen, die im Grenzgebiet wohnen und dem System nicht passten, ein wichtiger Punkt: ‚Wir zwingen einige da raus und die anderen kriegen Angst und sind dann vorsichtiger und trauen sich nicht zu flüchten oder aufzumucken.‘ Also Einschüchterung der Mehrheit und Loswerden von Leuten, die man nicht mehr haben will. Das ist ja eine typische Methode jeder Diktatur.“

Er berichtet, dass es bis heute nirgends so viel Hass untereinander gibt, wie im ehemaligen Grenzgebiet. „Sie können hinhören, wo sie wollen. Mit allen, mit denen ich spreche, die mal im ehemaligen Grenzgebiet gewohnt haben, die sagen: ‚Nirgends ist diese durch die SED verursachte Trennung bis heute so stark zu spüren, wie dort.‘ Weil sich ja die linientreuen, neu zugewanderten Nachbarn, das Eigentum der Zwangsausgesiedelten – Geschäfte, Land, Ernteerträge oder Gerätschaften – unter den Nagel rissen.“

Die Grenzanlage der DDR, wie sie einst zwischen Ost- und Westdeutschland existierte. Foto: Jens Schlüter/Getty Images

„Meine Eltern führten im Ort Lenzen (Elbe) erfolgreich ein großes, vielseitiges Geschäft – auch zu DDR-Zeiten.“ Durch enge langjährige Beziehungen zu anderen Unternehmern – noch aus Vorkriegszeiten – habe man ein reichhaltiges Warenangebot anbieten können. „Was zu DDR Zeiten ja nicht so einfach war.“

Und man habe enge Beziehungen zu vielen Bauern im Ort und in den umliegenden Dörfern gepflegt. „Diese Kunden, Freunde und Bekannte kamen, um von ihren Sorgen und ihrem Leid durch die LPG-Zwangskollektivierungsaktion von 1959 zu berichten. Bei meinen Eltern konnten sie offen über ihre Situation sprechen. Meine Eltern waren sozusagen ein Anlaufpunkt für diese Menschen und das haben die SED-Genossen und die Stasi nicht übersehen.“

Aber dass man sie auf die Liste gesetzt hat, damit hätten sie nicht gerechnet. „Wir sind also morgens am 3. Oktober 1961 von dem Klingeln an der Haustür aufgewacht. Dort standen 6-8 Menschen vor uns, ein uniformierter Polizist und dann Vertreter von Stasi und Partei.“

Es hieß dann: „Sie haben zu ihrer eigenen Sicherheit innerhalb von vier Stunden das Grenzgebiet zu verlassen. Ihre sämtlichen Lager, also das Elektro- und Klempnereilager, die Werkstätten und die gesamten Geschäfte mit allen Waren sind bereits konfisziert. Sie dürfen nur ihre privaten Sachen aus der Wohnung mitnehmen.“ Schönemann war zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre alt, seine Eltern in den Sechzigern.

„Meine Mutter war in der ersten Stunde völlig unfähig, etwas zu tun. Sie musste sich erst einmal sammeln. Jedoch wohnte die Schwester meines Vaters mit im Haus. Und unsere Verkäuferin hatte sich durch den Hintereingang reingeschlichen. Beide haben dann mitgeholfen, sonst hätten wir das gar nicht geschafft.“

Enteignungsaktion stand unter höchster Stasi-Geheimhaltung

Die gesamte Vorbereitung dieser Enteignungsaktion habe unter höchster Geheimhaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (kurz: Stasi) stattgefunden, berichtet der Wahlberliner weiter. „Nicht einmal der Bürgermeister war darüber informiert.“ Vor dem Haus hätten LKWs und Einsatzkräfte der Kampfgruppe bereitgestanden. „Sie beluden die LKW und transportierten den Hausrat. Alles mitgekriegt haben wir trotzdem nicht.“

Das Wohn- und Geschäftshaus der Familie Schönemann in Lenzen (Elbe), um 1959/60. Vor dem Geschäft stehen der Vater (an der Tür) und der Sohn Ernst-Otto Schönemann (mit Fahrrad). Foto: privat

Das ehemalige Wohn- und Geschäftshaus der Familie Schönemann in Lenzen (Elbe), um 2020. Foto: privat

„Wir wurden dann rund 80 Kilometer weit in einen Ort nahe Schwerin mit ungefähr zehn Bauernhäusern gebracht. Und es hieß: ‚Da kommen sie rein.’“ Dann habe man alles von den LKWs abgeladen und vors Haus gestellt.

Die Familie erfuhr anschließend, dass in dem Haus mehrere Jahre Getreide gelagert worden war. „Es gab dort kein Wasser, keine Toiletten. Dafür war das Haus voller Ratten. Wohnen war unmöglich.“

Die Eltern bauten sich mühsam eine neue Existenz auf. Sie bekamen ein halbes Jahr nach der Zwangsaussiedlung nur für das enteignete Inventar der Lager und Werkstätten eine staatliche Entschädigung. Diese machte jedoch nur die Hälfte des tatsächlichen Wertes aus. In der Regel wurde man nach der Zwangsaussiedlung noch zwei, drei Jahre von der Stasi überwacht.

Die Aussiedlung von Familie Schönemann war nur eine von vielen. Zahlreiche Menschen stellten nach der Wiedervereinigung 1989/90 einen Antrag auf Rückführung oder Wiedergutmachung oder klagten. Aber nur in einem Bruchteil der Fälle wurde der ursprüngliche Besitz den Alteigentümern zurückgegeben. Der großen Mehrheit dieser Menschen – gerade denen die in den Westen flüchteten – fehlt bis heute ein Stück ihrer Heimat.

„Großer Profiteur der DDR-Enteignungen war die BRD“

Für den Potsdamer Rechtsanwalt Dr. Thorsten Purps ist die im Einigungsvertrag formulierte Wiedergutmachung nicht gelungen. Er setzt sich seit vielen Jahren mit dem Wiedervereinigungsrecht auseinander und vertrat erfolgreich Mandanten bei der Geltendmachung von Rückübertragungs- und Entschädigungsansprüchen bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

„Der große Profiteur von Enteignungen durch DDR-Organe war nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 der Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland“, resümiert der Jurist gegenüber Epoch Times.

„Zunächst einmal stand der Grundsatz Rückübertragung vor Entschädigung auf Grundlage der Gemeinsamen Erklärung von DDR und BRD vom 15.6.1990 im Raum. Dieser Grundsatz wurde damals ins Vermögensgesetz vom 29.9.1990, einem DDR-Gesetz, aufgenommen. Dieses Gesetz regelte jedoch so viele Ausnahmetatbestände oder Ausschlusstatbestände, dass der größte Teil des enteigneten Vermögens zwischen 1945 und 1989 nicht rückübertragen wurde.“ Purps kommt in der Dokumentation Phantomschmerz Heimat als Jurist zu Wort.

„Es gibt eine Statistik des damaligen Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen.“ Sie besagt, dass circa 1,2 Millionen Anträge auf Rückführung und Wiedergutmachung nach der Wiederverinigung gestellt wurden. Davon hätten gerade einmal circa 26 Prozent dieser Anträge tatsächlich zu einer Rückübertragung geführt, so Purps.

Das habe mit dem Vermögensgesetz aber vor allem mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu tun, erklärt Purps. „Dieses Gericht hat eigentlich immer wieder mit bestimmten Entscheidungen dafür gesorgt, dass dem Anliegen auf Wiedergutmachung durch Rückübertragung ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde.“

„Normativer Entschädigungsbegriff“

Dazu gehöre beispielsweise auch die berühmte Rechtsprechung dieses Gerichtes von 1993 zum sogenannten „normativen Entschädigungsbegriff“, so der Rechtsgelehrte weiter. „Das Gesetz sah ursprünglich vor, dass eine Enteignung ohne Entschädigung zur Rückführung des damaligen Eigentums führen muss und nicht durch irgendeine andere geringfügige Entschädigung ersetzt werden kann.“ Das sei nach allen Vorstellungen – auch des ordre public – „in unserem Rechtssystem eine allgemeingültige Auffassung“, erklärt Purps.

„In der DDR gab es laut einer statistischen Erhebung über 150.000 bis 200.000 Fälle, in denen eine Entschädigung durch DDR-Gesetze formal vorgesehen war. Aber diese Entschädigung ist sehr oft nicht gezahlt worden.“ Daraus habe das Gericht den „normativen Entschädigungsbegriff“ entwickelt. „Er besagt: ‚Es kommt nicht darauf an, dass die Entschädigung nicht geleistet wurde, sondern es kommt nur darauf an, dass eine Entschädigung von Gesetzeswegen her vorgesehen war’“, führt der Jurist aus. Die DDR-Entschädigungen waren extrem gering und sind oft noch nicht einmal tatsächlich geflossen.

Gleichwohl habe das Gericht angenommen, dass dies somit keine entschädigungslosen Enteignungen waren. „Es erklärte dann: ‚Das waren letztlich Enteignungen mit gesetzlich vorgesehener Entschädigung und damit ist das erst mal alles rechtens’“, berichtet der Potsdamer.

Das habe dazu geführt, dass in all diesen Fällen die Anträge auf Rückübertragung wegen entschädigungsloser Enteignung abgelehnt wurden, so Purps. „Das war eine unglaubliche Vielzahl von Fällen. Und von dieser Entscheidung ist dieses Gericht nie abgerückt.“

87,20 Euro Entschädigung

2004 habe man dann ein Entschädigungserfüllungsgesetz verabschiedet, das die nicht geflossenen minimalen DDR-Entschädigungssummen nachholte. Dafür setzte man eine sehr knappe Frist von sechs Monaten.

„Meiner Kenntnis nach, ist eine Vielzahl von Anträgen schon aufgrund der Befristung der Anträge entfallen. Darüber hinaus war es ein Schildbürgerstreich. Ich hatte damals einige Bescheide einsehen können, da ich Betroffene juristisch vertrat. Da wurden 87,20 Euro, also teilweise nur zweistellige Beträge an Entschädigung nachgezahlt.“

Währenddessen sei beispielsweise der größte Teil der enteigneten Mauergrundstücke in den Bundeshaushalt eingeflossen, berichtet der Rechtsgelehrte. „Das sind zum Teil die Filetstücke mitten durch Berlin. Also da reden wir über Vermögenswerte in Millionenhöhe.“ Bei den Bodenreformgrundstücken hingegen seien im Wesentlichen die Länder die ganz großen Nutznießer gewesen. Die Länder hätten diese Grundstücke größtenteils übernommen und konnten sich als Eigentümer dieser Grundstücke gerieren – sie verpachten oder verkaufen.

Aufnahme vom 29. April 1984 von der Berliner Mauer und dem enteigneten „Niemandsland“, das die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin markiert. Foto: JOEL ROBINE/AFP via Getty Images

Bei vielen Eigenheimkonstellationen, wo Grundstücke zu DDR-Zeiten nach dem Aufbau- oder Baulandgesetz enteignet und später anderen zum Bauen überlassen wurden, seien die Grundstücke nicht zurückübertragen worden, so Purps weiter.

„In diesen Fällen hat die Gemeinde das Eigentum zugewiesen bekommen und ist Eigentümerin geblieben. Hier waren die Gemeinden die Gewinner.“ Das habe bei vielen Alteigentümern einen Vertrauensverlust hervorgerufen.

„Zumal es bei den Mauergrundstücken eine Regelung im DDR-Verteidigungsgesetz aus den späten 50ern gab. Sie sah vor, dass ein Grundstück, das für den Mauerbau in Anspruch genommen wurde und nicht mehr dafür benötigt wird, wieder zurückzugeben ist“, erklärt der Jurist. „Unsere Rechtsprechung und die späteren Gesetze haben diese Mauergrundstücke jedoch komplett aus dem Wiedergutmachungsprozess herausgenommen.“

Das Bundesverwaltungsgericht begründete dies 1993 damit, dass der Zugriff auf die Grundstücke zum Zwecke der Errichtung der Mauer zwar sinnbildlich Ausdruck von Unrecht oder Ungerechtigkeit sei. Aber es sei eben eine geübte DDR-Staatspraxis und gelebte Rechtswirklichkeit gewesen. Daher hätte dies nicht einen solchen Grad des Willkürunrechts dargestellt und man müsse dies einfach hinnehmen, führt der Jurist aus.

„Man hatte nicht genügend in der Kasse“

„In anderen Fällen, wo es um Entschädigungsleistungen für Enteignungen ging, berief sich das Bundesverwaltungsgericht darauf – und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dies oftmals bestätigt –, dass ja die Enteignungen von Organen vorgenommen wurden, die selbst nicht den Bindungen des Grundgesetzes der BRD unterworfen waren.“ Das seien also Maßnahmen einer anderen, höheren Gewalt gewesen. Das müsse man berücksichtigen. Daher sei es nicht als verfassungswidrig zu beanstanden, wenn man die Entschädigungen laut dem Entschädigungslastenausgleichgesetz (EALG) nur im Bereich von 12, 13, vielleicht 14 Prozent des aktuellen Verkehrswertes des Grundstückes festlege, erklärte damals das BVerwG.

Beim Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) seien zudem mehrere Gesetze – die sogenannten „Heilungsregelungen“ –, also § 2 Absatz (2) Artikel 233 EGBGB, das Regelwerk zu Artikel 237 und der §8, Artikel 231 niemals in einem rechtsstaatlichen Verfahren zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Sachverständigen vorgelegt worden, so Purps. „Das war nicht in Ordnung.“

Ein ehemaliger DDR-Jurist im Bundesfinanzministerium erklärte dazu 1998, dass diese Regelungen auf einen Schlag 220.000 Fälle „geheilt“ hätten und damit den Betroffenen die Möglichkeit genommen wurde, ihr Eigentum zurückzubekommen. Das erschütterte bei vielen Bundesbürgern den Glauben an die BRD als Rechtsstaat.

Purps sieht dahinter eine haushaltsrechtliche Motivation. „Man hatte nicht genügend in der Kasse, um diese Entschädigungen dann auch auszuführen.“ Karlsruhe hat diese Regelung in seiner Entscheidung vom 20.11.2000 abgesegnet.

Kein Vorbehalt von sowjetischer Seite

Umstritten ist auch das Karlsruher Urteil vom 23.04.1991. Dies betraf die Enteignungen während der sogenannten „Bodenreform“ des besatzungshoheitlichen Regimes zwischen Kriegsende ’45 und der DDR-Gründung am 7.10.1949. Diese Entscheidung fiel damals noch unter den Vorsitz des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Roman Herzog, dem späteren Bundespräsidenten.

Karlsruhe hat sich dabei auf den Standpunkt gestellt, es hätte angeblich einen Vorbehalt zur Wiedervereinigung seitens der Sowjetunion gegeben. Angeblich hätte die Sowjetunion für ihre Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung zur Bedingung gemacht, dass die Vermögenswerte, die in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 bis 1949 enteignet worden seien, nicht an die Enteigneten zurückgegeben werden dürften.

„Aufgrund der berühmten Dissertation von Constanze Paffrath wissen wir heute, dass man es besser wusste. Sie legte darin hervorragend dar, dass es eine vorsätzliche Aufrechterhaltung einer Fehleinschätzung durch die BRD gewesen ist. Fehleinschätzung in dem Sinne, dass die BRD davon ausging, dass es diese Bedingung von sowjetischer Seite gäbe, ohne dass sie geäußert wurde.“

Tatsächlich habe es niemals diesen Vorbehalt von sowjetischer Seite gegeben. „Gorbatschow hat das mehrfach ganz klar gesagt. Jedoch wurde dies mehrfach durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und anderen Bundespolitikern, wie Wolfgang Schäuble (CDU), dem damaligen Innenminister und BRD-Delegationsführer bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag 1990, behauptet“, erklärt Purps.

„Schutz des Eigentums einer Minderheit für Mehrheit der Abgeordneten nicht relevant“

In der Dokumentation Phantomschmerz Heimat äußert sich auch Dr. Günther Krause, ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär beim Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, dazu. Er war ab dem 6. Juli 1990 auf der ostdeutschen Seite Verhandlungsführer bei den Gesprächen über den deutsch-deutschen Einigungsvertrag und unterschrieb diesen am 31. August 1990 zusammen mit Schäuble.

In der Doku erklärt er: „Mir ist eine Vorbedingung nicht bekannt. Obwohl ich Staatssekretär beim Ministerpräsidenten der DDR war und alle Verhandlungen geführt habe, außer zwei plus vier. Auch die Verhandlungen Anlage 3 über diese Eigentumsproblematiken führte ich.“

„Am 3. Oktober 1990 waren nur etwa 20 Prozent der Böden der DDR rechtlich anders vergeben [z. B. privatrechtlich]. 80 Prozent der Bodenfläche war Volkseigentum der DDR, sodass man diese Fläche statt in den Bundeshaushalt der Bundesrepublik Deutschland zu übernehmen, einfach zum Aufbau von Ausgleichsleistungen hätte nutzen können. (…) Es muss möglich sein, dass Leute über Klagen einen Ausgleich des persönlich entstandenen Schadens bekommen. Der Einigungsvertrag hat das geregelt“, so Krause.

„Das deutsche Parlament hat die Passagen der Anlage 3 in einer Form verfälscht, die so nicht beabsichtigt war“, kritisiert er im Film. „Der Ausgleich mit den Betroffenen sollte geschaffen werden in Form von Naturalrestitution, in Form von Entschädigung, in Form von Ausgleichszertifikaten. Und das konnte nicht im Einigungsvertrag vereinbart werden, sondern man konnte nur den Auftrag aus dem Einigungsvertrag dafür geben. Und der Auftrag [an das deutsche Parlament] ist im Einigungsvertrag ganz klar formuliert. (…) Die Mehrheit im Deutschen Bundestag hat nichts am Hut, den Alteigentümern irgendetwas zurückzugeben. Weil der Schutz des Eigentums von einer Minderheit in der parlamentarischen Arbeit für die Mehrheit der Abgeordneten keine Rolle spielt.“

Neben den moralischen Konsequenzen und einem Vertrauensverlust in den Rechtsstaat hatte die politische und juristische „Aufweichung“ von den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland unter besonderem Schutz stehenden Eigentumsrechten im Zuge der Wiedervereinigung auch wirtschaftlich und kulturell weitreichende Folgen. Sie lähmte den Aufbau Ost besonders im Bereich des Mittelstandes und die regionale Entwicklung in den neuen Bundesländern.

Ein altes Haus in Ostdeutschland. Foto: iStock

Denn den geschäftlich erfolgreichen Alteigentümern aus dem Westen und auch dem Landadel, der sich immer noch mit den Gebieten in Ostdeutschland verbunden fühlte und sich gerne wieder um die ehemaligen Ländereien und Gutshäuser kümmern würde, wurde oftmals eine Rückführung verwehrt.

Die während der DDR-Zeit zerfallenen Gutshäuser verfielen weiter. Westliche Firmensitze verblieben weiter im Westen, was das ungleiche Steueraufkommen manifestierte. Investitionen gingen verloren und damit Arbeitsplätze. Das führte zu einer massiven Abwanderung von Arbeitskräften und dem Nachwuchs, was die ostdeutschen Gemeinden seit Jahren bitter zu spüren bekommen.

Gleichzeitig führten die tiefgreifenden Einschnitte in die rechtsstaatliche Ordnung durch das Bundesverwaltungs- und das Bundesverfassungsgericht zu unterschiedlichen Rechtsstandards zwischen den „alten“ und den „neuen“ Bundesländern. Das bremste das Zusammenwachsen beider deutschen Landesteile und den Heilungsprozess der durch Flucht, Trennung und Enteignung entstand.

„Was ist das für eine Politik?“

Für Schönemann ist es beschämend, wie man nach der Wiedervereinigung mit der DDR-Aufarbeitung der Zwangsaussiedlungen umgegangen ist. „Die DDR-Bürger wurden nicht entschädigt. Aber die SED-Genossen bekommen hohe Renten.“

„Wenn ein Staat [DDR] sein eigenes Grundgesetz an den eigenen Menschen bricht und der demokratische Staat, der ihn später übernimmt, nichts für die Betroffenen – so gut wie nichts – für sie tut. Was ist das für eine Politik?“

Es gehe ihm darum, dass die Bundesrepublik die enteigneten Bürger der DDR und die Verbrechen an ihnen anerkennt und in irgendeiner Weise entschädigt – um nichts weiter.



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