Klimaneutralität-Volksentscheid gescheitert – Berlin sagte „Nein zu falschen Versprechen“ (CDU)
Der Berliner Volksentscheid über ehrgeizigere Klimaziele ist gescheitert. Laut Wahlleitung stimmte mit rund 442.000 Wählern eine knappe Mehrheit dafür (rund 51 Prozent). Etwa 423.000 Wähler votierten dagegen.
Damit wurde jedoch nur eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Volksentscheid erfüllt. Die zweite Voraussetzung, eine Zustimmungsquote (Quorum) von mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten, wurde verfehlt. Das wären etwa 608.000 Ja-Stimmen gewesen. Die Beteiligung am Volksentscheid betrug laut Wahlleitung um die 30 Prozent.
Erzwungen hatte das Bündnis „Klimaneustart“ die Abstimmung mit einer viermonatigen Unterschriftensammlung im Vorjahr. Im Falle eines Erfolgs wäre das geänderte Gesetz beschlossen gewesen und in Kraft getreten. Dass sich die Zahl der Ja- und Nein-Stimmen am Ende etwa die Waage hielt, kam für viele überraschend. Vor dem Volksentscheid hatten eigentlich nur Befürworter in der Stadt stark mobilisiert und für ihr Anliegen geworben. Eine Gegenkampagne gab es nicht.
„Berlin sagt Ja zum Klimaschutz – aber Nein zu falschen Versprechen“
Die Initiatoren des Abstimmung äußerten sich enttäuscht über den Ausgang. „Es ist nicht nur ein Projekt einer Initiative gescheitert, sondern das betrifft alle Menschen in Berlin. Es ist schade für alle Menschen in Berlin, sagte Jessamine Davis von „Klimaneustart“. „Wir haben eine Mehrheit, das ist immerhin richtig cool. Es sind sehr viele Leute in Berlin, die zeigen, dass die Politik nicht schnell genug handelt.“
Berlins Regierende Bürgermeister Franziska Giffey (SPD) betonte nach dem Scheitern des Volksentscheids die Wichtigkeit des Kampfes gegen den Klimawandel. Dies sei eine „unserer zentralen politischen Aufgaben“, erklärte sie. „Wir wissen um die Dringlichkeit, auch wenn der Volksentscheid nicht die notwendige Zustimmung erfahren hat.“
Auch die CDU, die die Berliner Wiederholungswahl am 12. Februar gewonnen hatte und mit der SPD momentan Koalitionsverhandlungen führt, sieht den Klimaschutz als eines der wichtigsten Themen. „Berlin sagt Ja zum Klimaschutz – aber Nein zu falschen Versprechen“, sagte Generalsekretär Stefan Evers.
Das Bündnis „Klimaneustart“ wollte mit der Aktion erreichen, dass Berlin schon bis 2030 und nicht wie bislang vorgesehen bis 2045 klimaneutral sein soll. Klimaneutralität bedeutet, keine sogenannten Treibhausgase zu emittieren, die über jene hinausgehen, die etwa die Natur aufnimmt. Dafür müsse man laut dem Bündnis und der Politik die Emissionen etwa von Verbrennerautos, Flugzeugen, Heizungen, Kraftwerken oder Industriebetrieben um etwa 95 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Tempo 30 für die gesamte Stadt ist in der Debatte.
Nach Angaben der Landeswahlleitung vom Samstag stellten die Wahlämter vorab rund 458.000 Abstimmungsscheine aus – für 18,8 Prozent der Menschen, die zur Teilnahme berechtigt sind. Die Scheine sind die Voraussetzung für eine Abstimmung per Brief. Bei ausreichend Ja-Stimmen soll tedas Energiewendegesetz des Landes entsprechend geändert werden.
USA als großer Sponsor
Den Volksentscheid hatte das Bündnis mit einer viermonatigen Unterschriftensammlung erzwungen, bei der im Vorjahr rund 260.000 Menschen für das Ansinnen unterschrieben hatten. Für den Volksentscheid und das vorangegangene Volksbegehren sind insgesamt 1,2 Millionen Euro an Spenden zusammengekommen.
Davon stammten 475.000 Euro, also gut ein Drittel aus den USA. Den Betrag überwies das deutsch-amerikanische Investoren-Ehepaar Albert Wenger und Susan Danziger über ihre Familienstiftung „Eutopia“. Wenger ist geschäftsführender Partner der Risikokapitalgesellschaft Union Square Ventures, die groß in Klima-Start-ups investiert.
Unterstützer des Volksentscheids versammelten sich am Samstag, 25. März, vor dem Brandenburger Tor in Berlin zu einer Kundgebung mit verschiedenen Konzerteinlagen. Das musikalische Programm reichte von der deutschen Band Element of Crime über die Musikerin Annett Louisan, der Alternative-Rock-Band Beatsteaks bis hin zu Pianist Igor Levit.
Nach Polizeiangaben nahmen 1.200 Menschen an der Kundgebung teil, die Veranstalter zählten 7.000 bis 8.000 Teilnehmer. Laut der „Morgenpost“ rechnete die Polizei im Vorfeld mit rund 35.000 Menschen.
Initiative: Lösungen soll die Politik liefern
Die Antwort auf die Frage, wie genau die von der Initiative angestrebten Klimaziele zu erreichen sind, überließ die Initiative bewusst der Politik. Diese ist bereits dabei, kurzfristige Änderungen in die Wege zu leiten: energetische Sanierung von Gebäuden, fossilfreie Energie- und Wärmeerzeugung, Ausbau des ÖPNV und emissionsfreie Autos vor allem mit E-Antrieb. Nötig wären dafür allein in Berlin Investitionen in zwei- oder dreistelliger Milliardenhöhe – unabhängig vom Jahresziel der Klimaneutralität.
Zum Vergleich: Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Die EU will bis 2050 so weit sein. Entsprechend viel Skepsis herrscht bei der Frage vor, ob Berlin das bereits bis 2030 schaffen kann. Die Initiatoren des Volksentscheids und ihre Unterstützer bei Umweltorganisationen, dem Mieterverein, Initiativen und in der Kulturszene, aber zuletzt auch bei Grünen und Linken bejahen das.
Die Reaktionen auf die Verschärfung der Klimapolitik sind unterschiedlich. Neben vielen Befürwortern gibt es auch viele Kritiker. Auf Twitter kann man seit Sonntagmorgen an einer Umfrage des Kanals Politik-Umfragen den Trend erkennen, dass die Mehrheit der Initiative eher skeptisch gegenübersteht.
In #Berlin gibt es heute einen #Volksentscheid, damit die Stadt bis 2030 #klimaneutral wird. Was sagen Sie dazu? #Berlin2030 #berlin2030klimaneutral #Klimakatastrophe #Klimaschutz #umfrage
— Politik-Umfragen (@PUmfragen) March 26, 2023
Senat und Kanzler: Umsetzung bis 2030 unrealistisch
Der nach der Wiederholungswahl noch amtierende rot-grün-rote Berliner Senat stufte das in einer Stellungnahme indes als unrealistisch ein. Berlin habe bereits eines der ehrgeizigsten Klimaschutzgesetze Deutschlands und gehöre etwa mit dem 2017 vollzogenen Ausstieg aus der Braunkohle zu den „klimapolitischen Vorreitern“. Von den Bundes- und EU-Zielen beim Klimaschutz könne sich Berlin aber nicht so weit entkoppeln, dass es im Alleingang 15 oder 20 Jahre früher klimaneutral werde.
Auch die Industrie- und Handelskammer erklärte, Klimaneutralität in Berlin sei angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen „nicht realistisch umsetzbar“. Ähnlich sehen das auch diverse Klima- und Umweltwissenschaftler.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht die Ziele der Initiatoren des Volksentscheids genauso skeptisch. „Ich bin fest davon überzeugt, dass das, was die Bundesregierung sich vorgenommen hat, genau der richtige Weg ist, nämlich dafür zu sorgen, dass wir unser Land technologisch modernisieren“, sagte Scholz am Samstag, 25. März. „Da helfen fiktive Daten, die man nicht einhalten kann, nichts. […] Das geht nur, indem man tatsächlich dafür Sorge trägt, dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden, sodass wir 2045 klimaneutral wirtschaften können und trotzdem ein wirtschaftlich starkes Land sind.“
Dutzende Städte wollen 2035 „klimaneutral“ sein
Strengere Klimaziele werden nicht nur in Berlin diskutiert. Nach Angaben des Vereins German Zero visieren in Deutschland etwa 70 Städte das Ziel an, bis spätestens 2035 klimaneutral zu werden. Auf europäischer Ebene unterstützt die EU-Kommission 100 Kommunen, die bis 2030 an der „EU-Mission für klimaneutrale und intelligente Städte“ teilnehmen.
Die Abstimmung findet gerade mal sechs Wochen nach der Wiederholung der Berliner Abgeordnetenhauswahl statt. Dabei fällt sie mitten in die Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD, beide Parteien wollen eine schwarz-rote Landesregierung bilden. Sie kündigten bereits an, in den kommenden Jahren mindestens fünf Milliarden Euro für mehr Klimaschutz in der Stadt ausgeben zu wollen. Und das unabhängig von dem Ergebnis des Volksentscheides.
In Berlin gab es laut Wahlleitung bisher sieben Volksentscheide, denen nicht immer wie am Sonntag ein konkreter Gesetzentwurf zugrunde lag. Die letzten Abstimmungen 2021 über die Enteignung großer Wohnungskonzerne (ohne Gesetzentwurf), 2017 zum Weiterbetrieb des Flughafens Tegel (ohne Gesetzentwurf) und 2014 zum Erhalt des Tempelhofer Feldes (mit Gesetzentwurf) waren erfolgreich. Tegel wurde dennoch geschlossen.
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)
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