Klein nennt Anstieg antisemitischer Straftaten „äußerst alarmierend“ – Rechtsextreme verantwortlich?
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat sich schockiert über die Zunahme antisemitischer Straftaten im Jahr 2018 geäußert.
„Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Enthemmung und Verrohung des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland hatte ich mit einem Anstieg der antisemitisch motivierten Straftaten 2018 gerechnet“, sagte Klein der „Welt“.
Er fügte hinzu: „Dass der Anstieg derart hoch ausgefallen ist, halte ich jedoch für äußerst alarmierend. Wir müssen nun alle unsere politischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte mobilisieren, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.“
Laut der Fallzahlen für politisch motivierte Kriminalität (PMK), die Bundesinnenminister Horst Seehofer und BKA-Präsident Holger Münch am Dienstag in Berlin vorgestellt haben, wurden im Jahr 2018 insgesamt 1.799 antisemitischen Straftaten registriert.
Gegenüber 2017 bedeutet dies ein Anstieg um 19,6 Prozent. Dem Bericht zufolge sind fast neun von zehn dieser Straftaten dem Phänomenbereich „Rechts“ zuzuordnen. Mit anderen Worten: Die Polizei geht davon aus, dass Rechtsextremisten die mutmaßlichen Täter sind.
Vor diesem Hintergrund fordert der Antisemitismusbeauftragte Klein, „dass Täter rascher und konsequenter als bisher ermittelt und vor Gericht gestellt werden“.
Andererseits müssten Maßnahmen bei der Extremismusprävention, der Erinnerungskultur und im Schulunterricht erheblich verstärken werden, um Antisemitismus vorzubeugen.
Die geplante Einrichtung einer Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung des Antisemitismus bietet hierfür eine wichtige Voraussetzung“, sagte Klein der „Welt“.
Das Konzept für eine solche Kommission hatte Klein im Februar dieses Jahres gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg vorgestellt.
Polizei ordnet antisemitische Taten ohne Beweise Rechtsextremen zu
Ob all diese Taten aber tatsächlich von Rechtsextremisten ausgeübt wurden darf bezweifelt werden. Denn in der Polizeistatistik über antisemitische Straftaten in Berlin ist die Zuordnung zu Tätergruppen unscharf und wenig präzise. Das geht aus einer bisher nicht veröffentlichten Antwort des Senats auf eine Anfrage des FDP-Innenpolitikers Marcel Luthe hervor. Viele Fälle würden Rechtsextremisten zugeordnet, ohne dass es konkrete Anhaltspunkte dafür gebe.
Experten kritisieren schon länger, dass die Zuordnung der allermeisten Fälle zu rechtsextremen Tätern nicht stimmig sei und weitere Tätergruppen, etwa aus islamistischen und anderen muslimischen Kreisen, zu wenig beachtet würden.
In Berlin wurden von den 324 erfassten antisemitischen Taten im Jahr 2018 nur 111 aufgeklärt. Das sind lediglich 34 Prozent.
Die Zahlen der Polizei stellen sich nach der aktuellen Auskunft des Senats wie folgt dar: In ihrer Kriminalstatistik 2018 ordnete die Polizei 253 der 324 Fälle der Kategorie rechtsextreme Motivation zu. Weitere Motive waren ausländische Ideologie (49 Fälle), religiöse Ideologie (12 Fälle) und Linksextremismus (7 Fälle). Nur dreimal hieß es: nicht zuzuordnen.
Rechtsextreme Motive erkennt die Polizei nach einer bundesweiten Definition, „insbesondere …, wenn Bezüge zu völkischem Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich“ für die Tat waren.
Keine Motive bekannt – und trotzdem gilt die Kategorie „rechts“
In der aktuellen Anfrage ging es nun um die Zahl der antisemitischen Fälle ohne diese erkennbaren rechtsextremen Motive. Das waren laut Senat 191. So bleiben nur 133 Taten mit klaren rechtsextremen Motiven übrig – obwohl in der Kriminalstatistik 253 Fälle dazu stehen. Für die Differenz von 120 Taten sind keine Motive bekannt – trotzdem gilt die Kategorie „rechts“.
Auch im Jahr 2017 lagen die Zahlen bei den 306 erfassten Fällen, meist Sachbeschädigung, Volksverhetzung und Beleidigung, ähnlich. Die Differenz betrug dort 128 Fälle. Dazu kommt, dass es bei solchen Taten eine große Dunkelziffer gibt. Viele Menschen, die auf der Straße beleidigt oder in Mails beschimpft werden, gehen nicht zur Polizei.
In vergangenen Jahren hatte es bereits eine Debatte über die Zuordnung gegeben. Der „Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus“, der die Bundesregierung berät, monierte 2017 in einem Bericht:
Fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten werden grundsätzlich immer dann dem Phänomenbereich PMK-Rechts zugeordnet, wenn keine weiteren Spezifika erkennbar sind (zum Beispiel nur der Schriftzug ,Juden raus‘) und zu denen keine Tatverdächtigen bekannt geworden sind.“
Damit entstehe „möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild“ über die Täter. Ähnliche Kritik kam vom American Jewish Committee und dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung. (dts/dpa/so)
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