Jusos distanzieren sich von Kanzler: Scholz und Faeser haben bei Asylpolitik „rote Linien überschritten“

Vor ihrem Bundeskongress in Braunschweig wollen sich die Jusos als „lauter, linker und kritischer“ präsentieren. Unmut äußern sie vor allem über Kanzler Scholz und Ministerin Faeser. Außerdem fordern sie ein „Grunderbe“ von 60.000 Euro für jeden.
Jessica Rosenthal, Vorsitzende der Jusos, empfängt Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, beim Juso-Bundeskongress.
Jessica Rosenthal, Vorsitzende der Jusos, empfängt Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, beim Juso-Bundeskongress 2022.Foto: Roberto Pfeil/dpa
Von 16. November 2023

Am Wochenende werden die Jungsozialisten in der SPD, besser bekannt als Jusos, in Braunschweig ihren Kongress abhalten. Dabei wollen sie eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für die scheidende Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal wählen. SPD-Chefin Saskia Esken, Generalsekretär Kevin Kühnert und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil werden dem Kongress ihre Aufwartung machen. Nicht dabei sein wird – „aus terminlichen Gründen“ – jedoch Bundeskanzler Olaf Scholz.

Jusos wollen „heftige Opposition“ gegen Beteiligung an „rassistischer Hetze“ üben

Dieser hätte, glaubt man den Kandidaten für den Vorsitz, ohnehin nicht mit einem freundlichen Empfang rechnen können. Beide Bewerber, Sarah Mohamed und Philip Türmer, wollen „lauter, linker und kritischer“ sein und „die SPD und den Kanzler vorantreiben“. Dies äußerten sie übereinstimmend gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Vor allem die Migrationspolitik der SPD in der Ampel hat den Unmut der Jusos erregt. Mohamed zufolge haben der Kanzler und Bundesinnenministerin Nancy Faeser in der Asylfrage „rote Linien überschritten“. Die SPD dürfe sich „nicht an rassistischer Hetze gegenüber Migrantinnen und Migranten sowie Schutzsuchenden beteiligen“. Dagegen werde es „heftige Opposition“ vonseiten der Jusos geben.

Ihr Gegenkandidat Türmer sieht das ebenso. Als Sozialdemokraten solle man „mit unserer Politik nie nach unten treten, auf die Schwächsten“, äußert er in seiner Vorstellung. Dies sei ein Verrat an sozialdemokratischen Werten – und dafür sei auch der Kanzler verantwortlich, der die Richtlinienkompetenz in der Bundesregierung habe.

„Grunderbe“ als sozialpolitischer Schwerpunkt

Inhaltlich wollen die Jusos vor allem die Sozialpolitik in den Mittelpunkt ihres Kongresses stellen. Mit ihrer Ankündigung, „mutiger wieder die Verteilungsfrage stellen“ zu wollen, will man offenbar der Wagenknecht-Partei den Kampf ansagen. Türmer fordert eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro und ein staatliches Grunderbe.

Mit einem jährlichen Aufwand von 45 Milliarden Euro soll jedem volljährigen Einwohner des Landes ein „Erbe“ in Höhe von 60.000 Euro zur freien Verfügung ausgezahlt werden. Gegenfinanzieren wollen die Jusos das über eine höhere Erbschaftssteuer – vor allem auf große Vermögen.

Türmer ist sich darüber im Klaren, dass eine solche Position innerhalb der Ampel keine Chance auf Durchsetzung habe. Es könne „aber auch nicht sein, dass die SPD und der Kanzler der FDP diese Blockade durchgehen lassen“, betont der Vorsitzkandidat.

DIW: Zu große Ungleichheit kann eine Volkswirtschaft lähmen

Auch manche Wirtschaftsexperten sind gegenüber dem Vorschlag nicht abgeneigt – auch wenn sie die angedachte Höhe für illusorisch halten. Steuerexperte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) spricht von einem „interessanten Modell“.

Der sogenannte Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft misst, sei EU-weit nur in Österreich noch höher als in Deutschland. Es seien 25 bis 30 Prozent einer Generation, die Beträge über 100.000 Euro erbten. Auf 50 Prozent der Bevölkerung entfielen hingegen nur 1,3 des privaten Vermögens – hier gebe es regelmäßig kaum etwas zu erben.

Ungleichheit sei grundsätzlich kein Problem, wenn sie als Anreiz für sozialen Aufstieg diene, erklärte Bach gegenüber „web.de“. Werde sie jedoch zu groß, könne dies die wirtschaftliche Entwicklung dämpfen. Menschen mit geringem Einkommen stützten zwar den Konsum, weil sie das Wenige, was sie zur Verfügung hätten, schnell ausgäben. Allerdings blieben ihnen kaum Mittel, um zu sparen – beispielsweise für die Ausbildung der Kinder. Dies schade der Volkswirtschaft, weil kein Humankapital entstehe.

ifo: „Abwanderung vieler Wohlhabender aus Deutschland“ zu befürchten

Ohne den Anstieg der Ungleichheit in Deutschland zwischen 1990 und 2010 hätte, so heißt es in einer OECD-Schätzung, das deutsche BIP um sechs Prozent höher gelegen. Die Corona-Pandemie habe die Entwicklung noch weiter verschärft.

Das DIW selbst hatte 2021 ein Grunderbe von 20.000 Euro vorgeschlagen. Bach sieht jedoch den Vorschlag der Jusos als kontraproduktiv. Die angedachte Höhe sei „nicht realistisch durch Steuererhöhungen bei sehr wohlhabenden Menschen“ finanzierbar. Große wirtschaftliche Schäden und erheblicher politischer Widerstand seien zu befürchten.

Auch ifo-Chef Clemens Fuest rechnet im Fall einer Umsetzung der Idee der Jusos mit einer „Abwanderung vieler Wohlhabender aus Deutschland“. Bei den Verbleibenden würde wiederum „die Bereitschaft sinken, in Deutschland etwas aufzubauen, beispielsweise ein Unternehmen zu gründen“.

SPD will auf ihrem Bundesparteitag ebenfalls Umverteilung zum Thema machen

Die SPD selbst wird ihren Bundesparteitag im Dezember abhalten. In einem Leitantrag ist dort die Rede von einer „Reform der Schuldenbremse“. Zudem will man über eine „temporäre Krisenabgabe“ nachdenken und die Erbschafts- und Schenkungssteuer „reformieren“. Ziel sei es, zu erreichen, dass „Multimillionäre und Milliardäre mehr zum Gemeinwohl beitragen“, heißt es in dem Papier.

Vergleichsweise kleinere Brötchen backen wollen derweil die Jusos in Krefeld. Sie fordern angesichts der Rückkehr zur 19-Prozent-Mehrwertsteuer und der anhaltenden Inflation eine lokale „Bierpreisbremse“. Damit wolle man die Gastroszene als einen der „intakten öffentlichen Aufenthaltsorte“ erhalten.

Erreichen will man dies durch die Verlängerung der bis Jahresende ausgesetzten Terrassengebühr. Allerdings solle der Schritt, so heißt es in der dazugehörigen Mitteilung, „zunächst unter Vorbehalt der Haushaltsberatungen geprüft werden“.

Jusos gelten in der SPD heute eher als Karrieresprungbrett

Die Bedeutung der Jusos innerhalb der SPD ist seit den 1970er-Jahren kontinuierlich gesunken. Inhaltliche Impulse oder auch nur strategische Entscheidungen für die Mutterpartei gehen von ihnen nur selten aus. Anfang des Jahres hatten sie beispielsweise in Berlin versucht, eine Koalition mit der CDU zu verhindern – und hatten damit keinen Erfolg.

In ähnlicher Weise versandeten skurrile programmatische Vorstöße auf kommunaler Ebene wie der geforderte „männerfreie Tag“ auf dem Jahrmarkt in Bremen.

Eine Bedeutung haben die Jusos jedoch nach wie vor als Karrieresprungbrett innerhalb der Partei – auch wenn Gerhard Schröder der einzige frühere Juso-Vorsitzende war, der später auch Kanzler wurde. Olaf Scholz war von 1982 bis 1988 stellvertretender Vorsitzender der Jugendorganisation.

Schneller machte Kevin Kühnert Karriere, der von 2017 bis 2021 Juso-Chef war und wenige Monate später zum SPD-Generalsekretär avancierte. Laut und kritisch zeigte er sich in dieser Funktion kaum noch. Stattdessen zog er sich 2022 sogar nach Kritik vonseiten des früheren ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk von X, damals noch Twitter, zurück. Derzeit gehören immerhin 49 von 207 Bundestagsabgeordneten der Partei auch den Jusos an.



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