Nach der Aussetzung der Impfungen von AstraZeneca wegen schweren Nebenwirkungen müssen sich Hausärzte mit der Aufklärung über die Risiken beschäftigen. Obwohl
am vergangenen Freitag der Impfstopp wieder aufgehoben wurde, lösen sich die Bedenken bezüglich Thrombosen und Herzinfarkte nicht so schnell auf.
Der
„Ärzte Zeitung“ zufolge fragen sich Ärzte, wie sie über die Risiken aufklären sollen, besonders hinsichtlich der Thrombosefälle, die in unterschiedlichen Ländern der Welt aufgetreten sind.
Aufklärung auch bei seltenen Fällen
In Deutschland gab es neun bekannte Fälle – von insgesamt 1,6 Millionen Impfungen. Das Blatt stellt klar, auch wenn die Nebenwirkungen in nur geringem Maße aufgetreten sind, „dürfen sie bei der Aufklärung nicht vom Tisch gewischt werden“.
„Nach ständiger Rechtsprechung hat der Arzt auch über seltene Risiken aufzuklären“, sagte Professor Christian Katzenmeier, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinrecht der Universität Köln, gegenüber der „Ärzte Zeitung“.
Der Bundesgerichtshof hat bisher kein Verhältnis zwischen der Dichte der Nebenwirkungen und der Aufklärungspflicht in Zahlen festgelegt, sagt Katzenmeier. Deswegen gebe es keine Untergrenze für die Aufklärungspflicht über die Risiken.
Im Klartext heißt es, Ärzte müssen auch bei „extrem seltenen Risiken eines Eingriffs“ oder bei einer Risikodichte, die sich nur im Promillebereich bewegt, über die Risiken der Impfung aufklären und Patienten auf die Ereignisse mit AstraZeneca hinweisen – dies schließt die Prüfergebnisse der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und des Paul-Ehrlich-Instituts mit ein.
„Nach allgemeinen medizinrechtlichen Grundsätzen muss ein Patient, dem eine medizinische Maßnahme angeboten wird, sowohl über den möglichen Nutzen informiert sein als auch über die möglichen Risiken“, sagte Professor Jochen Taupitz in einem
„Welt“-Interview vor wenigen Tagen. Taupitz ist Direktor des Instituts für Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim.
Die Risiken dürfen ein medizinisch vertretbares Maß nicht übersteigen, so Professor Taupitz. Das sei aber „angesichts der geringen Häufigkeit der Zwischenfälle bei AstraZeneca nicht anzunehmen“.
Ärzte müssen aufklären
Gemäß Paragraf 630e im Bürgerlichen Gesetzbuch sind Ärzte verpflichtet, „den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären“. Außerdem sollen sie auch auf „Alternativen zur Maßnahme“ hinweisen, „wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können“, so das Gesetzbuch.
Nach der Aufklärung können sich die Patienten entscheiden, ob sie sich impfen lassen wollen. „Und wenn dann die Betroffenen über das geringe Risiko dieser schweren Nebenwirkung angemessen informiert worden sind, dann ist es ihre eigene Entscheidung, ob sie die Maßnahme bei sich durchführen lassen“, so Taupitz im Interview.
Diese Regel gelte besonders, so Taupitz, da es keine Impfpflicht gibt, „sondern sich auf der Basis einer ausreichenden Aufklärung jeder selbst entscheiden kann, ob er wegen des erhofften Vorteils der Impfung das fragliche Risiko eingehen möchte oder nicht“.
Patient muss eigenständig entscheiden
Professor Katzenmeier weist ebenfalls darauf hin, dass „die Wahl des Impfstoffs nicht Sache des Arztes, sondern des Patienten“ sei. „Von Rechts wegen ist daher über die verschiedenen Impfstoffe aufzuklären, auch wenn nicht alle angeboten werden können.“
Derzeit besteht keine freie Wahl über den Impfstoff. Die Bundesregierung
erklärt dazu: „Wegen der Impfstoffknappheit beinhaltet der Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus weiterhin nicht das Recht, den Impfstoff eines bestimmten Herstellers zu wählen“.
Der Patient könne „aber eine Impfung mit AstraZeneca ablehnen, ohne dass dadurch sein Anspruch auf Impfung zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen wird“, so Christian Katzenmeier.
Katzenmeier rät Ärzten dazu, die Aufklärung über die Impfrisiken mit AstraZeneca besonders zu dokumentieren, denn sie müssten die Haftung übernehmen. Bei „unvollständiger Dokumentation drohen Ärzten bei möglichen späteren Haftungsprozessen beweisrechtliche Nachteile“, so der Professor.
Taupitz sagte im Interview mit der „Welt“: Wenn Hausärzte die Impfung übernehmen würden, gebe es nicht mehr die Amtshaftung, „sondern der einzelne Hausarzt – bei einem fehlerhaften Verhalten! – würde haften, wie bei jeder normalen medizinischen Maßnahme auch“.