17 Milliarden Euro Defizit – Finanzreform erntet heftige Kritik
Eine Lücke von 17 Milliarden Euro klafft in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Um diese zu stopfen, hat der Bundestag am 20. Oktober eine Finanzreform auf den Weg gebracht – das sogenannte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Kritik dafür hagelte es nicht nur seitens der Opposition, sondern auch von den betroffenen Verbänden. Die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apotheker sprach von einem „schwarzen Tag für die Apotheken in Deutschland“.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht in dem neuen Gesetz eine gute Lösung, um das bestehende Milliarden-Defizit der GKV auszugleichen, das er auf die Vorgängerregierung zurückführt. Er kritisierte zudem die gesetzlichen Krankenkassen, die laut Schätzungen Rücklagen von 2,5 Milliarden Euro gebildet hätten. „Es ist jetzt nicht die Zeit, wo Krankenkassen sich prunkvolle neue Gebäude errichten oder Rückstellungen für solche Gebäude vornehmen sollten.“ Diese Reserven würden nun abgebaut.
Auf Kosten der Steuerzahler wird vom Bund an die GKV ein unverzinsliches Darlehen in Höhe von einer Milliarde Euro an den Gesundheitsfonds gewährt. Darüber hinaus wird der bestehende Bundeszuschuss zur GKV von 14,5 Milliarden Euro im kommenden Jahr um zwei Milliarden Euro erhöht.
In seiner Rede schilderte der Minister ein weiteres Problem, das „aufgrund des Drucks der Lobbygruppen über viele Jahre nie gelöst werden konnte“. In Deutschland sei es – wie in keinem anderen Land in Europa – möglich „mit Arzneimitteln auf den Markt zu kommen, die keinen gesicherten oder nur einen sehr geringen Zusatznutzen bringen im Vergleich zu bereits erhältlichen Arzneimitteln“. Diese liegen zudem 50 bis 100 Prozent höher. Aufgrund der neuen Regelungen werde dies in Zukunft unterbunden, so Lauterbach.
Die vor drei Jahren eingeführte Neupatientenregelung – eine Zusatzvergütung, die für den Mehraufwand bei der Aufnahme neuer Patienten in Arztpraxen entsteht – läuft aufgrund der Änderungen zum Jahresende aus. Ab Januar 2023 werden stattdessen neue Vergütungsanreize geschaffen, wenn eine schnelle Terminvermittlung zu Fachärzten erfolgt. Ein höheres Honorar gibt es sowohl für den Facharzt (prozentual nach Wartezeit gestaffelt) als auch für den überweisenden Hausarzt, der sodann statt zehn künftig 15 Euro enthält.
Opposition nennt Alternativen
Kritik für das Gesetz gab es aus der Opposition. In den Augen des CDU-Abgeordneten Tino Sorge handelt es sich um ein „Problem-Verschiebe-Gesetz“. Er warf Lauterbach vor, dass er in der letzten Legislatur als Fraktionsvize für den Gesundheitsbereich sämtliche Änderungen mitgetragen habe. „Sich hier hinzustellen und zu sagen, Sie hätten nichts damit zu tun, das ist scheinheilig, und das ist unehrlich“, so Sorge.
Für den CDU-Politiker ist schon jetzt klar, dass das Gesetz Beitragserhöhungen und Leistungskürzungen nach sich ziehen wird. Sorge verwies auf das eigentliche Problem: Zehn Milliarden Euro würden allein deshalb fehlen, weil die Krankenkassenbeiträge für ALG-II-Bezieher nicht aus Steuermitteln in das Gesundheitssystem eingezahlt würden. Er kritisierte Lauterbach dafür, dass er von vornherein Gespräche mit Finanzminister Christian Lindner in diese Richtung ausgeschlossen hatte, der das Problem hätte lösen können.
Martin Sichert (AfD) warf der Regierung vor, wie eine „Räuberbande, die das Land plündert und verwüstet“, zu handeln. „In kaum einem anderen Land müssen die Bürger so viel von ihrem hart erarbeiteten Geld an den Staat abdrücken, und mit diesem Gesetz wollen Sie den Menschen noch mehr abpressen, indem die Krankenkassenbeiträge auf Rekordniveau steigen.“ Nicht unerwähnt ließ Sichert dabei den „Prunkpalast“ des Kanzlers, der für 777 Millionen Euro gebaut wird, während die Bevölkerung aufgefordert werde, „zwei Pullover anzuziehen, sich nur mit Waschlappen zu waschen und in die Dusche zu pinkeln“, um Kosten zu sparen.
Kathrin Vogler (Die Linke) kritisierte SPD und Grüne dafür, ihr Versprechen aus dem Wahlkampf bezüglich einer gerechteren Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu sorgen, aufgegeben zu haben. Sie sprach von einem „GKV-Finanzierungs-Murksgesetz“, wonach zwangsweise ein Darlehen aus der Staatskasse gezahlt werde und niemand wisse, wann und wovon dies zurückgezahlt werden solle. Die Krankenkassen müssten ihre Defizite größtenteils selbst stopfen, indem sie die Rücklagen verbrauchen, so Vogler. Alternativ schlug sie vor, die Beiträge auf ein Niveau der Rentenversicherung anzuheben, um Mehreinnahmen zu generieren. Zudem käme eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel infrage, wodurch allein fünf Milliarden Euro eingespart werden könnten.
Verbände kritisieren Gesetz
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zeigte sich „frustriert und maßlos enttäuscht“, nachdem das Gesetz im Parlament verabschiedet wurde. Der KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel zweifelte daran, dass die Politik die ambulante ärztliche Versorgung als schützenswert erachtet. Der Bundestag sorge vielmehr dafür, dass diese weiter ausgehöhlt werde.
Der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen geht davon aus, dass die Ärzteschaft die bereits bestehenden Proteste gegen die Streichung der Neupatientenregelung fortsetzt. Er befürchtet, dass sich die Lage der ohnehin chronisch unterfinanzierten ambulanten Versorgung weiterhin verschlechtert.
Die AOK sieht in dem neuen Gesetz keine Lösungen für eine nachhaltige Finanzierung. Auch hier wurde die Forderung laut, dass der Bund kostendeckende Beiträge für die Gesundheitsversorgung für ALG-II-Beziehende zahlt. Ebenso gehöre die Mehrwertsteuerabsenkung auf Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent in das Gesetz. Allein durch diese Maßnahmen wäre eine Entlastung um 15 Milliarden Euro gegeben und die Basis für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der GKV geschaffen.
Stattdessen sehe das Gesetz vor, Beitragsreserven bei den Krankenkassen abzuschmelzen und Beitragsmittel aus dem Gesundheitsfonds abzuschöpfen. „Das ist ein Griff in die Taschen der Versicherten und beschneidet den Spielraum der Krankenkassen für zukunftsorientierte Investitionen“, so die AOK.
Auch bei den Apotheken gibt es durch das neue Gesetz Abstriche, mit denen 120 Millionen Euro eingespart werden sollen – Kosten, die zulasten der Apotheker gehen. Sie müssen für die nächsten zwei Jahre statt 1,77 Euro nun 2 Euro pro Packung für verschreibungspflichtige Medikamente an die Krankenkassen bezahlen.
Die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Regina Overwiening, sprach von einem „schwarzen Tag für die Apotheken in Deutschland“. Neben diesen 120 Millionen Euro Zusatzbelastungen müssen die Apotheken noch gestiegene Tarifgehälter, hohe Energiekosten und die Inflation tragen. Der Verband rechnet damit, dass in den kommenden Jahren weitere Apotheken schließen werden.
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