Deutsche Sparer lösen ihre Rücklagen auf
Unbeeindruckt von steigenden Guthabenzinsen legen die Deutschen immer weniger Geld auf die hohe Kante. Grund dafür ist die Inflation, berichtet die „Die Welt“. Auch Anlagen aus der Altersvorsorge lösen viele aus, weil sie das Geld für andere Zwecke brauchen.
Derzeit seien zwei Entwicklungen zu beobachten, sagt Eva Wunsch-Weber, Chefin der Frankfurter Volksbank Rhein/Main. Bei einem Teil ihrer 650.000 Kunden sei die Konsumfreunde „durchaus ausgeprägt“. Sie finanzierten vor allem Urlaubsreisen von den Rücklagen. Ein anderer Teil agiere wegen der Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung vorsichtiger und lege Geld zurück. Dabei bevorzugten die Sparer Anlagen mit fester Verzinsung und Laufzeit. Das müssten sie sich aber auch leisten können, doch könne das längst nicht jeder. Die hohe Inflation sei schuld daran, dass viele Menschen trotz steigender Guthabenzinsen weniger Geld zurücklegten. Durch das Aufkündigen von Altersvorsorgen trübten sich unsichere finanzielle Aussichten weiter ein.
Bis zu 60 Prozent künftig nicht mehr „sparfähig“
Die Sparkassen hatten vor einem Jahr sehr massiv vor der schrumpfenden Bildung von Reserven gewarnt. Bis zu 60 Prozent der Menschen in Deutschland könnten perspektivisch „nicht mehr sparfähig sein“, sagte seinerzeit Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes.
Dass dieses Szenario bislang „glücklicherweise“ nicht eingetreten ist, erklärt der Verband laut „Welt“ mit dem „vergleichsweise milden Winter“ und der „Unterstützung durch staatliche Hilfsprogramme“. Deshalb gebe es bislang auch „keinerlei Auffälligkeiten“ bei der Nutzung des Dispositionsrahmens. Derzeit hätten lediglich zehn bis 15 Prozent der rund 50 Millionen Sparkassen-Kunden ihre Konten überzogen. Dennoch habe die Teuerung deutliche Spuren hinterlassen: Erstmals seit vielen Jahren seien Konten und Sparbücher der aktuell 354 Geldinstitute insgesamt weniger gefüllt als noch vor einem Jahr.
Den Rückgang um knapp zwei Prozent erklären die Sparkassen nur zum Teil damit, dass ihnen Wettbewerber mit höheren Zinsen für Guthaben die Kunden abziehen. Der Verband registriert einen fortgesetzten Trend zum „Entsparen“. Dieses Auflösen von Ersparnissen sei bedenklich.
Verband rechnet mit sechs Prozent Inflationsrate
Dazu passt auch, dass die Bundesbank zuletzt einen Rückgang der Einlagen bei den Banken registriert hat. Auf Tagesgeldkonten lagen im Juni 2023 etwa 50 Milliarden Euro weniger als noch vor einem Jahr. Nur bei längeren Laufzeiten habe es leichte Zuwächse gegeben. Von einer „merklichen Verschiebung“ hin zu „wieder höher verzinsten Anlageformen mit längerem Anlagehorizont“ spricht daher Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbands der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR). Im ersten Halbjahr 2023 wuchsen die Einlagen bei den Genossenschaftsbanken noch einmal um 0,9 Prozent. Doch die weiter steigenden Preise dürften diesen Trend wohl verhindern.
Der Verband rechnet für dieses Jahr mit einer Inflationsrate von sechs Prozent. Im kommenden Jahr erwartet er etwa 3,5 Prozent. „Das ist nach wie vor weit entfernt von Preisniveaustabilität. Entsprechend wird den Verbrauchern weiterhin Kaufkraft entzogen, worunter auch die Sparfähigkeit leidet“, sagt Kolak. Die Sparquote, so lautet ihre Prognose, dürfte deshalb 2023 von 11,3 Prozent auf 10,6 Prozent zurückgehen.
Wenn die Deutschen von 100 Euro durchschnittlich 10,60 Euro zurücklegen, wäre das im historischen Vergleich immer noch ein guter Durchschnittswert. Nur während der Corona-Pandemie war die Quote zeitweise auf mehr als 16 Prozent gestiegen. Laut einer Untersuchung der Bundesbank horteten die Kunden vor allem auf den Girokonten Geld: Mit 12.700 Euro war das durchschnittliche Guthaben im Jahr 2021 hier 80 Prozent höher als 2017. Lediglich elf Prozent der Haushalte gaben bei der Befragung an, nichts sparen zu können. Im Jahr 2014 waren es fast doppelt so viele gewesen.
Während der Pandemie teils unfreiwillig mehr gespart
Besonders deutlich sank der Anteil bei den vermögensärmsten 20 Prozent der Haushalte: Er ging von 48 Prozent auf 33 Prozent zurück. „Während der Corona-Pandemie mussten einige auf ihre Rücklagen zurückgreifen. Die meisten aber haben – teils unfreiwillig wegen eingeschränkter Konsummöglichkeiten – mehr gespart“, sagt Tabea Bucher-Koenen, Leiterin des Bereichs „Altersvorsorge und nachhaltige Finanzmärkte“ am Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW in Mannheim.
Durch die hohe Inflation habe sich das Verhalten jedoch grundlegend geändert. In einer ZEW-Studie gaben fast 40 Prozent der Befragten an, dass sie im vergangenen Jahr auf Rücklagen zurückgegriffen haben, um Alltagsausgaben zu decken. Das waren fast doppelt so viele, wie in den Jahren zuvor. Etwa neun Prozent lösten für die Altersvorsorge bestimmte Anlagen auf. Parallel dazu gaben mit gut 31 Prozent viel mehr Menschen an, weniger für die Zeit nach dem Erwerbsleben gespart zu haben als in den Vorjahren. Bei Personen mit einem monatlichen Einkommen von unter 2.000 Euro lag dieser Anteil mit 43 Prozent besonders hoch.
Diese Resultate hält Bucher-Koenen für besorgniserregend: „Viele waren mit dem Ergebnis der bestehenden Angebote für die Altersvorsorge ohnehin unzufrieden und haben nun auch noch Vermögen abgebaut.“ So sparten die Deutschen im internationalen Vergleich zwar viel, hätten aber gleichzeitig auch in der Niedrigzinsphase noch wenig rentable Anlagen wie Tagesgeldkonten und Lebensversicherungen bevorzugt. Für die Professorin ist das auch eine Folge ungünstiger politischer Rahmenbedingungen. „Wir brauchen bessere Möglichkeiten für attraktivere Produkte zur privaten Altersvorsorge“, forderte sie.
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