Deutsche Bauern sollen EU-Regeln ausbaden

Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist für viele Landwirte das A und O. In Zukunft will die EU hier einen Riegel vorschieben. Bis 2030 soll der Einsatz von Pestiziden halbiert werden.
Titelbild
Ob im Weinanbau oder beim Ackerbau, die geplanten EU-Richtlinien haben weitreichende Folgen.Foto: iStock
Von 27. Februar 2023

Eine neue EU-Richtlinie soll demnächst den Einsatz von Pestiziden in sensiblen Gebieten verbieten. Dadurch soll das Risiko von Umweltschäden in empfindlichen Ökosystem gesenkt und gleichzeitig die biologische Vielfalt erhalten werden.

Zu den von dem Verbot erfassten Arealen gehören auch landwirtschaftlich genutzte Flächen in Wasserschutzgebieten, Natur-, Vogel-, Flora-Fauna-Habitat- und Landschaftsschutzgebieten sowie Nationalparks, die besonders schützenswerte Lebensräume und Arten beherbergen. Für deutsche Bauern könnte das zum Problem werden.

EU-Karte zeigt Ausmaß der Verordnung

Wer einen Blick auf die von der Europäischen Umweltagentur erstellten Karte wirft, stellt schnell fest: Die Pflanzenschutzverbote gehen vor allem zulasten der Bauern in Deutschland. Das ganze Land ist mal mehr, mal weniger mit lilafarbenen Flächen überzogen. Schaut man hingegen in die Nachbarländer, gibt es nur vereinzelte Gebiete.

Übersicht der ausgewiesenen Schutzgebiete in Europa, in Lila: Landschaft- und Wasserschutzgebiete. Foto: Screenshot vom 27.2.2023, Quelle: https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/explore-interactive-maps/european-protected-areas-

Konkrete Zahlen, wie viel Fläche in Deutschland betroffen ist, gab es bislang nicht. Lisa Eichler, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibnitz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) und der Ökotoxikologe Dr. Carsten Brühl von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau haben sich diese Aufgabe zu eigen gemacht. Ihre Ergebnisse wurden am 20. Februar veröffentlicht.

Berücksichtigt man alle Flächen, welche die geplante Verordnung aktuell als ökologisch sensible Gebiete definiert, würde das Pestizidverbot nach den Berechnungen der beiden Forscher insgesamt 38.018 km² Ackerfläche und 696 km² Obst- und Weinbauflächen betreffen. Das entspräche 31 Prozent der Gesamtackerfläche und 36 Prozent der gesamten Obst- und Weinbauchflächen Deutschlands.

NRW vor Brandenburg und Sachsen

Der Großteil – nämlich 19 Prozent Acker- und 25 Prozent Obst- und Weinbaugebiete – liegen in Landschaftsschutzgebieten. Spitzenreiter ist Nordrhein-Westfalen mit 39 Prozent der Ackerflächen, gefolgt von Brandenburg (28 Prozent) und Sachsen (26 Prozent). In Rheinland-Pfalz trifft dies auf 29 Prozent der Obst- und Weinbaufläche zu.

„In den bisherigen Diskussionen wurde häufig infrage gestellt, ob das Pestizidverbot wirklich für alle Schutzgebietskategorien gleichermaßen gelten soll. Es gab zum Beispiel Überlegungen, die Landschaftsschutzgebiete von den strengen Regelungen auszunehmen. Wir haben auch dieses Szenario berechnet“, so Eichler.

Klammert man die Flächen, die ausschließlich in Landschaftsschutzgebieten liegen, bei der Berechnung aus, dann beläuft sich der Anteil von Agrarflächen in ökologisch sensiblen Gebieten auf deutschlandweit rund 21.146 km². Davon sind 20.845 km² Ackerfläche und 301 km² Obst- und Weinbauflächen. Damit wären in Deutschland immerhin noch 17 Prozent der Ackerfläche und 16 Prozent der Obst- und Weinbauflächen von einer Pestizidbeschränkung betroffen.

In einigen Bundesländern lägen auch in diesem Szenario noch überdurchschnittlich hohe Anteile von Agrarflächen in Gebieten mit Pestizidverbot. Bei den Ackerflächen wären es 45 Prozent in Hessen, 37 Prozent in Baden-Württemberg und 34 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern, bei den Obst- und Weinbauflächen 28 Prozent in Baden-Württemberg.

Mit ihren Berechnungen solle eine konstruktive Debatte zur geplanten EU-Verordnung angeregt werden, so Dr. Brühl, der sich seit 20 Jahren mit der Auswirkung von Pestiziden auf die Umwelt beschäftigt.

Bauern droht Berufsverbot

In der Vergangenheit hatte es massive Proteste von Weinbauern und Landwirten gegeben, die bis zur EU-Kommission vorgedrungen sind. „Die EU-Kommission rudert bereits zurück, weil sie festgestellt hat, dass sie mit einem pauschalen Verbot nicht durchkommen wird“, sagte der aus Münsingen auf der Schwäbischen Alb stammende liberale Europaabgeordnete Andreas Glück. Laut „Stuttgarter Nachrichten“ bezeichnete er den von der EU-Kommission vorgelegten Entwurf als „absolute Oberkatastrophe“.

Nach seiner Ansicht ist auch die von der EU-Kommission angestrebte Halbierung der in den Weinanbaugebieten ausgebrachten Pflanzenschutzmittel „nicht mal im Ansatz tragbar“. Dabei wies er darauf hin, dass sich in der Vergangenheit gezeigt habe, dass Deutschland ganz besonders auf die Umsetzung der EU-Normen bedacht sei. Während in anderen EU-Ländern die Regelungen ausgesessen oder in abgeschwächter Form realisiert werden, setze man in Deutschland oft verschärfte Regelung obendrauf. Das habe man etwa bei der Datenschutzverordnung gesehen.

Der Vorstandschef der Fellbacher Weingärtner aus Baden-Württemberg, Thomas Seibold, fasste das EU-Vorhaben in drastische Worte: „Auf einem großen Teil der bisher genutzten Fläche wäre kein Weinbau mehr möglich, der Rest keine Grundlage für einen auskömmlichen Betrieb. Im Grunde wäre das für die Wengerter [Weingärtner] ein Verbot, ihren Beruf weiter auszuüben.“

Die Auswirkungen würden dann auch Getränkeindustrie, Gastronomie und Tourismusbranche zu spüren bekommen. Gegen Pilzkrankheiten brauche es nun einmal Pflanzenschutzmittel. Für Seibold waren die EU-Pläne ein „schlechter Witz“. Zuerst habe die EU-Kommission erklärt, dass die von Weinbau und Obsterzeugung geprägte Kulturlandschaft erhalten bleiben sollen, dann aber gefährde sie mit einer neuen Pflanzenschutzmittelverordnung genau diese Schutzgüter.

Wo der ökologische Mehrwert liegen soll, erschließt sich dem Weinbauern nicht, wenn zu deutlich geringen Standards in Übersee Wein und Obst produziert und in über tausende Kilometer entfernte deutsche Supermärkte gekarrt würden. „Diese Verordnung zeigt deutlich, wie viel Ignoranz herrscht, wenn es um Lebensmittel geht“, so Seibold.



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