Das Potenzial linksextremer Grundhaltungen in der Bevölkerung bleibt nebulös
Vor bald zehn Jahren sorgte eine Studie für Aufsehen, die herausgefunden haben wollte, dass ein Sechstel der Gesamtbevölkerung (Westdeutschland: 14 Prozent; Ostdeutschland: 28 Prozent) eine linksradikale oder sogar linksextreme Grundhaltung hat.
Dabei sollen vier Prozent ein „nahezu geschlossenes linksextremes Welt- und Gesellschaftsbild“ aufweisen. 13 Prozent der Befragten stimmten überwiegend den jeweiligen Facetten eines linksextremen Einstellungsmusters zu.
Bis heute werden aus dieser älteren Studie Zahlen generiert. Einschlägige Websites identifizieren mit Blick auf die Befragung „500.000 gewaltbereite Linksextremisten in Deutschland“.
Nimmt man die 28 Prozent der Bevölkerung mit linksradikaler oder linksextremer Grundhaltung in den neuen Bundesländern für bare Münze und rechnet eine für weite Teile der Ostdeutschen behauptete rechtsextreme innere Haltung noch dazu, bliebe in der Mitte wenig Raum.
Besagte Studie von 2015 wurde gleich nach Erscheinen in den Medien kritisch besprochen. Eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ bat die Bundesregierung Mitte 2016 um nähere Details zur Förderung solcher Studien durch das Programm „Demokratie leben!“, welche den Linksextremismus zum Thema haben. In der Fragestellung hieß es damals:
„Dieses Projekt wurde von der wissenschaftlichen Begleitung durchweg negativ bewertet. So heißt es beispielsweise: „Durch die offenbar weitreichend einseitige Materialauswahl und die suggestive Verbindung von Kontinuitäten zwischen einem totalitären Kommunismus und aktuellen Erscheinungsformen des ‚Linksextremismus‘ entsteht aus Sicht der Wissenschaftlichen Begleitung in der Projektpraxis die Problematik normativer Parteilichkeit.“
Vierzig Jahre DDR-Diktatur
Die Studie selbst wurde damals vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin beauftragt. Dieser Forschungsverbund wurde 1992 gegründet, mit dem Ziel, die Geschichte der DDR zu untersuchen, aufzuarbeiten und zu dokumentieren. In einer Selbstdarstellung heißt es, der Verbund untersuche „die äußeren und inneren Voraussetzungen der vierzigjährigen Existenz einer zweiten deutschen Diktatur“.
Unabhängig von seiner Richtigkeit dokumentiert der Wikipedia-Eintrag der Forschungseinrichtung auch, mit welchen Angriffen von unterschiedlichen Seiten aus gegen die Einrichtung unter dem Dach der FU Berlin vorgegangen wurde.
Eine Nachfolgestudie zur weiteren Entwicklung des Linksextremismus wurde nicht beauftragt. Seit Oktober 2023 befindet sich der Forschungsverbund SED-Staat in Abwicklung. Die letzte Ausgabe einer Zeitschrift des Forschungsverbundes (Nr. 52) erschien im Februar dieses Jahres.
Der Verbund war lange nicht die einzige Institution, die sich mit Linksextremismus beschäftigte. Der Linksextremismus selbst wurde hier explizit in den Kontext der DDR-Diktatur gestellt. Diese Lesart einer linksextremistischen DDR hat sich indes nicht als Narrativ durchgesetzt und bleibt bis heute umstrittenes Politikum.
Mit der Auflösung des Forschungsverbundes SED-Staat ist die Debatte um Linksextremismus in Deutschland nicht aus der Welt. Sie wurde allerdings in den Jahren der Ampelkoalition erschwert von einem Brennglas auf dem Rechtsextremismus als „größte Gefahr für die demokratische Grundordnung“.
Was sagt der aktuelle Verfassungsschutzbericht, was veröffentlichte die Behörde bisher dazu?
Da heißt es zunächst, die Zahl linksextremistischer Straftaten sei 2023 um 10,4 Prozent auf 4.248 Straftaten angestiegen. Hier habe Gewalt gegen Polizeibeamte deutlich zugenommen.
Eine Radikalisierung innerhalb der Gruppe
Kann man hier ableiten, dass auch linksradikale und linksextreme Grundhaltungen angestiegen sind? Dafür reichen die Parameter nicht aus. Denn hier kann auch eine qualitative Verschiebung versus einer quantitativen ursächlich sein, wenn etwa die Gewaltbereitschaft innerhalb dieser Gruppe gewachsen ist.
Der Verfassungsschutz berichtet weiter, dass es insbesondere zwei Stoßrichtungen linksextremer Gewalttaten gebe: Sie richte sich zum einen gegen Polizisten. Aber auch gegen „tatsächliche oder als solche ausgemachte Rechtsextremisten im In- und Ausland“.
Der Verfassungsschutz gibt regelmäßig Zahlen zum linksextremistischen Personenpotenzial bekannt: Dieses sei im Jahr 2023 um 500 Personen auf nunmehr 37.000 Personen angewachsen, darunter seien 11.200 (2022: 10.800) gewaltorientierte Linksextremisten.
Schaut man in dem Zusammenhang zurück auf die Studie des mittlerweile inaktiven Forschungsverbundes SED-Staat an der TU Berlin von 2015, und hier insbesondere darauf, dass ein Sechstel der Gesamtbevölkerung eine linksradikale/linksextreme Grundhaltung haben soll, dann lohnt es sich, noch einmal genauer hinzuschauen, wer da eigentlich was genau meint.
Wenn der Verfassungsschutz von „Personenpotenzial“ schreibt, dann ist das eben nicht deckungsgleich mit der in besagter Studie festgestellten linksextremistischen Grundhaltung. Denn der Verfassungsschutz führt keine repräsentativen Studien durch, sondern er ordnet seine Beobachtungen vom Personenpotenzial mutmaßlicher Verfassungsfeinde ein.
Ergo sind mit den 37.000 Personen des linksextremistischen Personenkreises solche Extremisten gemeint, die sich über eine in der Studie abgefragte linksradikale oder -extremistische Haltung hinaus bereits linksextrem betätigt haben oder mindestens eindeutig in Tat und/oder Bekenntnis zuzuordnen sind.
Wie viele linksextreme Schläfer gibt es?
Welche Schlüsse kann man daraus ziehen? Zunächst einmal besagt es, dass das Rekrutierungsfeld für Linksextremisten noch nicht ausgeschöpft ist.
Vergleichend dazu gab es schon in den 1970er-Jahren eine Umfrage mit Bezügen zum RAF-Terrorismus, die ergeben haben soll, dass damals jeder vierte Deutsche bereit gewesen sei, gesuchten Terroristen vorübergehend Unterschlupf zu gewähren. Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentierte das jüngst mit der Schlagzeile: „Die linke Öffentlichkeit hat sich von der Selbstinszenierung der RAF einlullen lassen.“
Aber kann man tatsächlich sagen, dass damals ein Viertel der Bevölkerung eine linksradikale/linksextreme Grundhaltung hatte? Dafür hätte man die Motivation expliziter abfragen müssen, um hier ein abschließendes Urteil zu fällen.
Die Sicherheitsbehörden erfassen alle Straftaten. Explizit auch solche aus dem Deliktfeld politisch motivierter Gewalttaten. Mitte dieses Jahres veröffentlichte Bundesinnenministerin Nancy Faeser in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Chef des Bundeskriminalamts Statistiken unter der Überschrift „Politisch motivierte Kriminalität in Deutschland erreicht neuen Höchststand“.
Für das Jahr 2023 wurden so 60.028 Delikte gezählt, was einen Höchststand seit Beginn der Zählung im Jahr 2001 bedeutet. Für eine abschließende Bewertung sei aber daran erinnert, dass Straftaten etwa aus dem Umfeld der Corona-Maßnahmen- und Impfkritik vielfach dem Rechtsextremismus zugeordnet wurden.
Auch Großereignisse wie der G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 können die Statistiken im Vergleich zu solchen Jahren ohne Großereignisse in eine bestimmte Extremismus-Richtung verschieben.
Gewaltdelikte ins Verhältnis zu Straftaten setzen
Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, informierte auf besagter Pressekonferenz darüber, dass sich politisch motivierte Kriminalität innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt habe.
In präzisen Zahlen aus dem Bundesinnenministerium für 2023 klingt das so:
„Die meisten politisch motivierten Straftaten im Jahr 2023 wurden im Phänomenbereich PMK -rechts- begangen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Straftaten um ca. 23 Prozent auf 28.945 Straftaten. 1.270 dieser Straftaten waren Gewaltdelikte, das entspricht einer Steigerung um 8,6 Prozent gegenüber 2022.“
Der Blick auf die deutlich geringere Zahl der Gewaltdelikte im Verhältnis zu den Straftaten insgesamt hängt teilweise auch damit zusammen, dass eine große Zahl rechtsextremer Straftaten dem Deliktfeld „verfassungsfeindliche Symbole“ zuzuordnen sind.
Demgegenüber stiegen laut Bundesinnenministerium die registrierten Straftaten aus dem linksextremen Spektrum um gut 11 Prozent auf 7.777 Straftaten insgesamt. Die Zahl der Gewaltdelikte lag hier bei 916 Straftaten.
Epoch Times schrieb dazu schon im Mai 2024: „Auch wenn der größte Teil der rechtsextremistisch motivierten Straftaten selbst nicht gewalttätig war, warnen Betroffene vor einer Verharmlosung.“
Widerhall in der Bevölkerung
Bezogen auf das Untersuchungsjahr 2022 attestierte der Verfassungsschutz dem gewaltorientierten Linksextremismus ein „hohes Radikalisierungsniveau“.
Die Gewaltbereitschaft sei bei einigen Szeneangehörigen derart ausgeprägt, „dass sie sich vom Rest des gewaltorientierten Spektrums abgrenzen und in kleinen Gruppen eigene, akribisch geplante und häufig äußerst brutale Taten begehen“, so BKA-Präsident Holger Münch damals gegenüber der Deutschen Welle.
Ein Fazit kann jetzt lauten, dass der Rechtsextremismus gegenüber dem Linksextremismus zu den deutlich besser untersuchten Phänomenen gehört. Zwar ist man sich auch der Gefahr aus dem linksextremen Spektrum bewusst.
Aber inwieweit dieser Linksextremismus Widerhall in der Bevölkerung findet, wurde zuletzt 2015 von einem Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin untersucht, der besonders oft kritisiert wurde und mittlerweile inaktiv ist.
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