CDU zu neuem Asyl- und Aufenthaltsgesetz: „Erst Identitätsklärung, dann Chance“

Nach einer kontroversen Debatte im Bundestag hat die Ampelkoalition ein neues Asyl- und Aufenthaltsgesetz durchgesetzt. Gleichzeitig warnt der EVP-Vorsitzende Manfred Weber vor einer neuen Flüchtlingswelle im Winter.
Dozentin Paulina Kedziora leitet am 11. November 2015 in Potsdam, Deutschland, einen Deutsch-Mittelstufenkurs für Migranten und Flüchtlinge aus Ländern wie Eritrea, Afghanistan, Iran, Tschetschenien und Somalia, die in Deutschland Asyl suchen. Foto: Sean Gallup/Getty Images
Dozentin Paulina Kedziora leitet am 11. November 2015 in Potsdam, Deutschland, einen Deutsch-Mittelstufenkurs für Migranten und Flüchtlinge aus Ländern wie Eritrea, Afghanistan, Iran, Tschetschenien und Somalia, die in Deutschland Asyl suchen.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 5. Dezember 2022

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Während im EU-Parlament mit einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen in diesem Winter gerechnet wird, beschließt der Bundestag ein neues liberales Asyl- und Aufenthaltsgesetz.

Mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP hat der Bundestag am Freitag das sogenannte „Chancen-Aufenthaltsgesetz“ beschlossen. Die AfD und die Union stimmten gegen das Gesetz. Die Linke enthielt sich, ihr geht das Gesetz nicht weit genug.

Geduldete Ausländer sollen Chance auf Bleiberecht erhalten

Mit der Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts (20/3717) will die Ampelkoalition langjährig geduldete Ausländer künftig mehr Chancen zum Erhalt eines Bleiberechts in Deutschland geben.

Das 18-monatige Chancen-Aufenthaltsrecht sollen Menschen erhalten, die zum Stichtag 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland gelebt haben. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, die Voraussetzungen für ein Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. Dazu zählen insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts, Kenntnisse der deutschen Sprache und der Identitätsnachweis.

Gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen beschloss das Parlament zudem ein von den Koalitionsfraktionen vorgelegtes Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren (20/4327) in geänderter Fassung.

Deutschland „schlafwandelt in eine neue Migrationskrise“

Unterdessen erklärte der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, dass er wegen der russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine mit vielen weiteren Flüchtlingen in diesem Winter rechne. Die Bundesrepublik sei darauf nicht vorbereitet.

„Ich fürchte, wir werden einen dramatischen Fluchtwinter erleben.“ Deutschland sei auf diese Situation nicht vorbereitet und „schlafwandelt gerade in eine neue Migrationskrise“.

CDU-Politikerin: „Erst Identitätsklärung, dann Chance“

Die Union warf der Koalition vor, mit ihrem geplanten Aufenthaltsrecht abgelehnte Asylbewerber zu belohnen, die über Jahre nicht zu einer Klärung ihrer Identität beigetragen hätten. Andrea Lindholz, stellvertretende CSU-Fraktionsvorsitzende, sagte, es wäre besser, sich „auf die wirklich Schutzberechtigten“ zu fokussieren.

Die Ampelkoalition gebe ausreisepflichtigen Menschen auch dann ein Aufenthaltsrecht, wenn sie über ihre Identität getäuscht oder die Mitwirkung an der Identitätsklärung verweigert haben: „Erst Identitätsklärung, dann Chance und nicht umgekehrt.“

Dr. Silke Launert (CDU/CSU) sprach im Zusammenhang mit dem neuen Aufenthaltsgesetz der Ampelkoalition von einem Amnestiegesetz. Für gut integrierte langjährig Geduldete gebe es heute schon genügend Ausnahmen und pragmatische Lösungen.

Sie zitiert das Bundesverfassungsgericht: „Eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, darf nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen. Sie schafft sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiert rechtstreues Verhalten und untergräbt damit die Voraussetzung ihrer eigenen Wirksamkeit.“

Launert kritisiert die negative Signalwirkung dieses Gesetzes. Gerade in der aktuellen Zeit, in der die Bürgermeister und Landräte nicht wüssten, wo sie die Menschen unterbringen sollen.

Wir wollen den helfen, die wirklich Hilfe brauchen, aber wir können nicht die ganze Welt einladen.“

Dr. Bernd Baumann (AfD) hielt der Koalition vor, sie wolle ausreisepflichtige Migranten, deren Asylanträge endgültig abgelehnt worden seien, endgültig im Land behalten. „Aus Illegalen sollen Legale werden.“ Dies sei eine „Verhöhnung des Rechtsstaates“. Die Ampelregierung öffne damit weiter „die Schleusen – gegen den Willen der Deutschen“.

FDP-Politiker: „Arbeitswilligen keine Steine in den Weg legen“

Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen) wertete die beiden Gesetze als „Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik“. Damit würden zentrale flüchtlingspolitische Vorhaben umgesetzt, für die ihre Partei lange gekämpft habe. Nun werde die Konsequenz aus dem Umstand gezogen, dass die bisherigen Bleiberechtsregelungen „ins Leere gelaufen sind“.

SPD-Innenpolitiker Helge Lindh sagte, dass sich viele Menschen in Deutschland niederlassen und integrieren wollten, sei „ein Kompliment für dieses Land“. Mit dem neuen „Gesetz der Vernunft“ werde mit dem „unwürdigen Zustand“ gebrochen, dass Menschen perspektivlos mit sogenannten Kettenduldungen leben müssen. Dies betreffe allein am Stichtag 31. Oktober 2022 mehr als 137.000 Menschen.

Es sei Zeit, mit der „verkrampften Einwanderungs- und Asylpolitik“ aufzuhören, ergänzte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann.

Stephan Thomae (FDP) äußerte, dass die 130.000 Betroffene keinen Aufenthaltstitel hätten, aber nicht abgeschoben werden könnten und im Sozialsystem festhingen, statt in die Arbeitswelt integriert zu werden. Man könne nicht über einen Arbeitskräftemangel klagen und zugleich den Arbeitswilligen Steine in den Weg legen.

Clara Bünger (Linke) sah in den beiden Gesetzen eine „Riesenenttäuschung“. Das Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht beinhalte viel zu hohe Hürden, um Kettenduldungen wirklich wirksam zu beenden. Sogar nach den Berechnungen der Regierungskoalition würden nur rund 34.000 von 240.000 Geduldeten die Anforderungen erfüllen.

Fraktionsloser MdB: „Sie schaffen sich ein neues Staatsvolk“

Laut Robert Farle (fraktionslos, vorher AfD) seien in westdeutschen Großstädten junge Deutsche bereits in der Minderheit. Ein kontinuierlicher Multikulti-Bevölkerungsaustausch sei Tatsache und kein Zufall. Er sei die praktische Umsetzung des Migrationspaktes der Agenda 2030, die von allen Regierungsparteien konsequent umgesetzt werde: „Ziel dieser Agenda ist ein globaler Arbeitsmarkt.“

Dazu sollen traditionelle Gesellschaftsstrukturen in unserem Land beseitigt werden, so der Rechtsanwalt. Man müsse den Selbstbetrug beenden und damit Schluss machen, den Wählern den Bevölkerungsaustausch mit Begriffen wie Bereicherung, Integration oder Fachkräftezuwanderung schmackhaft zu machen.

Mehrheiten können nicht in Minderheiten integriert werden.“

Es drohe statt einer Bereicherung eine Verarmung, da der Großteil „der zu uns strömenden Geringqualifizierten dauerhaft in der sozialen Hängematte verbleibt“.

Hingegen würden hochqualifizierte Fachkräfte um unser Land einen großen Bogen machen und jährlich immer mehr gut ausgebildete Deutsche auswandern. Und das aufgrund der „dümmsten Energie- und Einwanderungspolitik der Welt“ und einer „Ausplünderung über hohe Steuern und Sozialabgaben“.

Für ihn sind die neuen Vorhaben verfassungswidrig:

Sie schaffen sich ein neues Staatsvolk nur, um ein paar mehr Wählerstimmen zu gewinnen, weil sie fürchten, abgewählt zu werden, was die logische Konsequenz ihrer Politik ist.“

Straftäter sollen ausgeschlossen bleiben

Vom neuen Aufenthaltsgesetz sollen nur Ausländer profitieren, die sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen. Straftäter sollen vom Chancen-Aufenthaltsrecht grundsätzlich ausgeschlossen bleiben, ebenso Personen, die ihre Abschiebung aufgrund von wiederholten, vorsätzlichen und eigenen Falschangaben oder aktiver Identitätstäuschung verhindern.

Eine „einfache“ Verschleierung der wahren Identität oder Herkunft – eine illegale Einreise ohne Papiere nach Deutschland – ist davon nicht betroffen.

Wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der 18-monatigen Aufenthaltsdauer nicht erfüllt sind, fallen die Betroffenen in den Status der Duldung zurück.

Teil des neuen Aufenthaltsgesetzes ist zudem, dass „gut integrierte“ Jugendliche und junge Volljährige nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland sowie bis zum 27. Lebensjahr die Möglichkeit für ein Bleiberecht bekommen.

Einbürgerungszeit um zwei Jahre reduziert

Besondere Integrationsleistungen will die Ampelkoalition von Geduldeten würdigen, indem ihnen jetzt nach sechs Jahren beziehungsweise nach vier Jahren beim Zusammenleben mit minderjährigen Kindern ein Bleiberecht eröffnet wird. Die ursprünglichen Voraufenthaltszeiten sind damit um jeweils zwei Jahre reduziert.

Zudem wurden Regelungen aus dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz entfristet. Damit soll der Standort Deutschland für Fachkräfte aus Drittstaaten attraktiver werden. Für nachziehende Angehörige entfällt der Sprachnachweis.

Auf der anderen Seite soll konsequenter als bisher die Rückführung insbesondere von Straftätern und Gefährdern durchgesetzt werden. Dazu wurden die Ausweisung und die Anordnung von Abschiebungshaft erleichtert.

Jeder dritte klagt

Das Asylrecht wurde vereinheitlicht. Die Regelüberprüfung von Asylbescheiden wurde gestrichen, Widerrufs- und Rücknahmeverfahren werden nur noch anlassbezogen erfolgen. Vorgesehen ist die Einführung einer behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung.

Begründet wurden die Änderungen bei den Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren mit der großen Zahl der Asylsuchenden, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind. Sie führte zu einem erheblichen Anstieg der Zahl der Klageverfahren. Ende Juli 2022 waren 135.603 erstinstanzliche Verfahren anhängig gewesen. Stand August dieses Jahres waren 100.377 Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anhängig.

„Bei einer Gesamtklagequote von 38,4 Prozent im Jahr 2021 und 33,5 Prozent zum 31. Juli 2022 ist absehbar, dass die Verwaltungsgerichte auch weiterhin stark belastet sein werden.“ Diese Belastung führe zu einer langen Dauer der Asylklageverfahren. Die durchschnittliche Dauer habe zum 31. Juli dieses Jahres 26,6 Monate betragen.

(Mit Material von dpa)



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