Bundestag: Lärmschutz bei Stromtrassen aufgeweicht

Knistern, Surren oder Brummen – eine Stromleitung kann im Betrieb Geräusche erzeugen. Durch eine Gesetzesänderung dürfen Netzbetreiber künftig mehr Lärm machen.
Bundestag
Eine Hochspannungsleitung nahe einem Wohngebiet.Foto: iStock
Von 11. Januar 2023

Der Bundestag lockerte im Juli 2022 ein Gesetz, das die Lärmschutzregelungen für den Betrieb von Höchstspannungsleitungen mit 380 kV betrifft. Dadurch sind nun höhere Dezibel-Zahlen zulässig. Das gilt auch dann, wenn sich eine Leitung in unmittelbarer Nähe zu einem Wohngebiet befindet.

Für die Netzbetreiber und den geplanten Netzausbau, der bisher eher schleppend voranging, bedeutet das mehr Handlungsspielraum. Mit Einführung des §49b Energiewirtschaftsgesetz wurde der Weg freigemacht, um eine höhere Auslastung des Stromnetzes in den Wintern 2022/23 und 2023/24 zu ermöglichen.

Seit der Gesetzesänderung wurden 19 neue Netzausbauvorhaben aufgenommen, 17 Projekte wurden geändert, bilanziert der „Bürgerdialog Netzausbau“ auf Anfrage im Januar 2023.

Leidtragende sind diejenigen, die entlang einer Stromtrasse wohnen. Der Bundestag mutet diesen Menschen mit der Gesetzesänderung zu, dass sie in ihren eigenen vier Wänden dauerhaft Geräuschkulissen eines Großraumbüros ausgesetzt sein können.

Dauerhaft: 70 Dezibel sind ein Staubsauger

Netzbetreiber müssen sich bei der Planung und dem Betrieb von Höchstspannungsleitungen an die Bestimmungen der Technischen Anleitung Lärmschutz (TA Lärm) halten. Für die Lärmbelastung in reinen Wohngebieten galten zuvor Grenzwerte von tagsüber 50 dB(A) (Dezibel) und nachts 35 dB(A). Nur bei „seltenen Wetterereignissen“ durften diese überschritten werden, allerdings nur an maximal zehn Tagen oder zwei Wochenenden im Jahr, berichten die „VDI Nachrichten“.

Seit 29. Juli 2022 erlaubt der Bundestag dauerhaft 70 dB(A) tagsüber und 55 dB(A) nachts. Zum anderen sind die „seltenen Ereignisse“, also Überschreitungen der Lärmgrenzwerte, nun ohne zeitliche Begrenzung gestattet. Laut der Definition sind diese nicht mehr nur „selten“, sondern quasi immer erlaubt.

70 dB(A) ist entsprechend der Lärmtabelle des Industrieunternehmens „Hug“ die Lautstärke eines normalen Staubsaugers. 65 dB(A) gelten als „meist ungefährlich“, jedoch bestehe hier bereits ein erhöhtes Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen.

Was nun beim Netzbau anders gemacht werden kann

Aktuell gibt es 101 Vorhaben, die dem Bundesbedarfsplangesetz und dem Energieleitungsausbaugesetz unterliegen, bilanziert der „Bürgerdialog Netzausbau“ auf Anfrage der Epoch Times. Sie haben eine Gesamtlänge von rund 12.234 Kilometern. Davon befinden sich 1.016 Kilometer Leitungen im Bau und 9.084 Kilometer in Genehmigungsverfahren. 2.134 Kilometer waren bis Ende Juni fertiggestellt. Ein aktueller Überblick über die konkreten Planungsstände aller Ausbauvorhaben sind auf der entsprechenden Internetseite der Bundesnetzagentur zu finden.

Die Regelung erleichtere die Vorhaben besonders im Hinblick auf die Prüfung der Anforderungen der TA Lärm, bestätigt der Bürgerdialog.

Rein technisch versuche ein Netzbetreiber zunächst den aktuellen Netzbetrieb zu optimieren – beispielsweise durch eine höhere Belastung bei kühleren Außentemperaturen. Danach gehe man daran, die vorhandenen Leitungen zu verstärken. Falls beides nicht ausreichen würde, wird das Netz mit neuen Leitungen ausgebaut.

Je kälter und windreicher es sei, desto weniger erwärmen sich die Kabel, dadurch können die Leiterseile mehr Strom übertragen, was jedoch mit mehr Geräuschen einhergeht. Nach der neuen Regelung würden nun bei Einsatz von witterungsabhängigem Freileitungsbetrieb keine weiteren Prüfungen notwendig. So seien insbesondere in den verbrauchsstarken Wintermonaten höhere Lastflüsse auf den Bestandsleitungen möglich.

Je mehr Strom, desto lauter das Brummen

Die Lautstärke einer Stromtrasse nimmt mit zunehmender Entfernung zum Ohr ab. Stromleitungstrassen müssen allerdings keinen vorgeschriebenen Abstand zu Häusern und Wohngebieten einhalten. Lediglich die sogenannte Überspannung, also der Verlauf direkt über einem Gebäude, ist möglichst „zu vermeiden“.

Wie laut die fertigen Trassen im Betrieb letztendlich werden, hängt sowohl von der verwendeten Technik (Gleich- oder Wechselstrom) als auch von der Witterung und den genutzten Leiterseilen ab. Auch die Auslastung einer Leitung spielt eine Rolle. Je mehr Strom fließt, desto lauter wird das Brummen, das sie abgibt. Sind Gleichstrom-Höchstspannungsleitungen auf Masten befestigt, sind Geräusche nicht zu vermeiden.

Konkret änderte der Bundestag den §49 des Energiewirtschaftsgesetzes. Den neu hinzugefügten Absatz (2b) veröffentlichte der Bund im Bundesgesetzblatt vom 19. Juli 2022. Dieser Absatz verweist auf die TA Lärm. Die Grundlage, wie viel Geräuschemissionen in welcher Art von Gebiet erlaubt ist, steht in Abschnitt 6 TA Lärm „Immissionsrichtwerte“.

Unter Abschnitt 6.1. findet sich ein – bislang – entscheidender Zusatz: „Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen die Immissionsrichtwerte am Tage um nicht mehr als 30 dB(A) und in der Nacht um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten.“

Grundsätzlich bedeutete dies: In einem „reinen Wohngebieten“ dürften nach TA Lärm (Abschnitt 6.1 f) nachts keine Geräuschspitzen über 55 dB(A) und tagsüber über 80 dB(A) auftreten. In „allgemeinen Wohngebieten“ sind es 60 und 85 dB(A), in Dörfern und Städten 65 und bis zu 93 dB(A). Darüber hinaus besagt Abschnitt 7.2 TA Lärm sinngemäß: Ist wegen „voraussehbarer Besonderheiten beim Betrieb einer Anlage“ zu erwarten, dass trotz neuester Technik die Grenzwerte überschritten werden, kann dies rechtens sein und genehmigt werden. In Abschnitt 7.1 TA Lärm „Ausnahmeregelung für Notsituationen“ heißt es zudem:

„Soweit es zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder zur Abwehr eines betrieblichen Notstandes erforderlich ist, dürfen die Immissionsrichtwerte nach Abschnitt 6 überschritten werden. Ein betrieblicher Notstand ist ein ungewöhnliches, nicht voraussehbares, vom Willen des Betreibers unabhängiges und plötzlich eintretendes Ereignis, das die Gefahr eines unverhältnismäßigen Schadens mit sich bringt.“

Dass ein drohender Blackout ein betrieblicher Notstand ist, ist anzunehmen. Dadurch wären selbst die bereits erhöhten Grenzwerte hinfällig.

Ist eine Beschwerde bei höherem Lärm möglich?

Könnte sich jemand beschweren? Zunächst einmal Ja. Denn laut TA Lärm Abschnitt 7.2 ist im Einzelfall zu prüfen, „ob und in welchem Umfang der Nachbarschaft eine höhere […] Belastung zugemutet werden kann“. Das wären eben jene höheren Werte, wie sie die TA Lärm selbst für die „seltenen Ereignisse“ festlegt. Mit dem neuen § 49 Abs. 2b Energiewirtschaftsgesetz aber geht das bei Höchstspannungsleitungen nun nicht mehr. Dementsprechend entfällt die Möglichkeit zur Beschwerde.

Rainer Wegner von der Bürgerinitiative Umweltschutz Niedernhausen Eppstein e. V. kritisiert die Annullierung der bisherigen Lärmgrenzwerte durch den Bundestag scharf. Damit werde de facto der gesundheitliche Schutz der Bürger durch die TA Lärm per Gesetz aufgehoben.

Das sei so, als wäre die TA Lärm nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes so entwickelt worden, wie sie sei. „Gilt der Aspekt Gesundheitsschutz damit nicht mehr für Ultranet und andere Höchstspannungsleitungen? Lärm ist Lärm, besonders in Wohngebieten und dann besonders nachts“, so Wegner.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion