Blackout-Gefahr trotz „weggeschmissenen“ Stroms – Entschädigungen auf neuem Höchststand
Die Bundesregierung lässt immer mehr Kraftwerke aus erneuerbaren Energien errichten. Doch zunehmend stellt sich heraus, dass das deutsche Stromnetz dieser Entwicklung deutlich hinterherhinkt. Es fehlen die passenden Leitungen, die den Strom weiterleiten.
Dadurch haben die Entschädigungszahlungen für nicht eingespeisten Strom einen Höchststand von 807 Millionen Euro im Jahr erreicht. Das geht aus der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Linken hervor.
Stromproduzenten konnten im vorigen Jahr ganze 5.800 Gigawattstunden (GWh) ihres erzeugten Stroms nicht in das Netz einspeisen. Diese Menge entspricht in etwa der Leistung eines halben Kernkraftwerks. Für diese nicht eingespeiste Energie erhielten die Stromproduzenten eine Entschädigung von insgesamt 807,1 Millionen Euro.
Bezahlen muss der Stromkunde
Im Jahr 2021 hatte die Summe bei 761 Millionen Euro gelegen, 2018 bei 635 Millionen Euro und 2016 bei rund 373 Millionen Euro. Die Kosten für diese Entschädigungen trägt der Stromverbraucher. Sie werden auf die Netzentgelte umgelegt.
Auf die Entschädigungen über das sogenannte „Einspeisemanagement“ haben die Produzenten einen Anspruch, wenn ihr erzeugter Strom wegen Netzengpässen nicht zu den Verbrauchern abtransportiert werden kann.
Betroffen sind überwiegend Windkraftanlagen. Das zeigt sich auch in den Angaben des Wirtschaftsministeriums. In der Aufteilung der Entschädigungen auf die Bundesländer liegen die Windenergie-Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit deutlichem Abstand vorn: 45,4 Prozent der Zahlungen flossen nach Niedersachsen und 31,9 Prozent nach Schleswig-Holstein (2021).
Kein neues Problem, nur höhere Entschädigungskosten
Anders als die Entschädigungskosten befindet sich der nicht eingespeiste Strom allerdings nicht auf dem Höchststand. Wie der Bundesverband WindEnergie und der Bundesverband Erneuerbare Energie der Epoch Times auf Anfrage mitteilten, waren es im Jahr 2020 sogar 5.942 GWh – also rund 142 GWh mehr als 2021. Dieser Wert beinhaltet Ausfallarbeiten von Windkraftanlagen an Land und offshore.
Im Vergleich zum Vorjahr ging die Menge an abgeregeltem Strom damit zurück. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) führte dies primär auf die Inbetriebnahme von Netzausbauprojekten in Schleswig-Holstein zurück. Dementsprechend muss also die Entschädigungszahlung pro „weggeschmissener“ Strom-Abrechnungseinheit angestiegen sein.
Das bestätigen auch die Verbände. Die Kosten für die sogenannten „Netzengpassmanagementmaßnahmen“ bezifferte die BNetzA in ihrem Monitoringbericht für 2020 auf 1,4 Milliarden Euro. Das sei eine Steigerung gegenüber dem Jahr 2019 (1,3 Milliarden Euro). Unter diese Maßnahmen fielen unter anderem die Vorhaltung von Netzreserven, das Einspeisemanagement und der sogenannte Redispatch. Dabei würden die Betreiber von Anlagen für ausgefallene, also abgeregelte Leistung entschädigt. Unter Redispatch versteht man Eingriffe in die Erzeugungsleistung von Kraftwerken (meist Drosselungen), um bestimmte Abschnitte vor einer Überlastung zu schützen.
Der Redispatch leide laut den Verbänden seit mehr als einem Jahr unter erheblichen Problemen in der Umsetzung. Kompensationszahlungen an die Betreiber wurden seit November 2021 nicht mehr geleistet. Im Laufe der Zeit hat sich so ein Fehlbetrag in Höhe von fast einer Milliarde Euro angesammelt.
Passende Leitungen – und politischer Wille fehlen
Insgesamt 79 Prozent der Ausfallarbeit sind, so die BNetzA, auf Engpässe im Übertragungsnetz zurückzuführen. Der Netzaus- und -umbau sei laut den Verbänden „dringend notwendig, um Strom überregional zu verteilen, also z. B. vom windreichen Norden in den verbrauchsintensiven Süden“.
Der Ausbau sei auf Länder- und kommunaler Ebene häufig verschleppt worden. Nach Ansicht des Bundesverbandes WindEnergie und des Bundesverbandes Erneuerbare Energie fehlte es in der Vergangenheit am politischen Willen, den Netzausbau entschieden voranzutreiben:
Bürokratie und Regulierung sowie lange Genehmigungs- und Planungsprozesse sind aktuell die größten Bremser. Die Ampel-Regierung muss dies, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, nun schnellstmöglich ändern.“
Die Politik müsse den Ausbau der Stromnetze entschlossener vorantreiben, um dem zu erwartenden höheren Strombedarf der kommenden Jahre Rechnung zu tragen. Generell müsse dabei die Maßgabe „nutzen statt abschalten“ sein.
Blackout-Gefahr trotz „weggeschmissenen“ Stroms
„Es ist grotesk, dass wir über die Gefahr von Blackouts diskutieren, und gleichzeitig Strom im Wert von über 800 Millionen Euro jährlich ‚weggeschmissen’ wird.“ Das sagte Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken, der die Anfrage an das Wirtschaftsministerium gestellt hatte.
„Der Wirtschaftsminister muss den schleppenden Netzausbau endlich in Gang bringen und die Verbraucher vor solchen Kosten schützen.“ Es sei inakzeptabel, dass dadurch die Stromkunden derart zur Kasse gebeten werden.
Erneuerbare Energien dürften aufgrund von „Konstruktionsfehlern der Energiewende“ nicht zu Preistreibern werden. „Robert Habeck sollte mit den Ländern einen Netzplan vorlegen, damit kein Strom mehr in Deutschland ‚weggeschmissen’ wird“, sagte Bartsch.
Der Ausbau der Stromnetze verzögert sich seit Jahren. Das betrifft besonders die Fertigstellung großer Gleichstromtrassen, die die Energie quer durch die Republik transportieren sollen. Auch die zuständigen Netzbetreiber sehen hierbei bürokratische und planerische Hürden als Problem, aber auch den Widerstand von Kommunen oder Grundstückseigentümern.
Insgesamt betragen die bundesweiten Netzkosten nach einer Schätzung der BNetzA für das laufende Jahr rund 21,8 Milliarden Euro, heißt es in der Antwort von Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen.
Die Bundesverbände sehen derzeit noch kein erhöhtes Risiko für Blackouts und orientieren sich dabei an den jüngsten Zahlen der BNetzA zu Stromausfällen in Deutschland. Parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien müsse das Netz jedoch ebenfalls ausgebaut werden. Der Netzausbau sei laut den Verbänden unbedingt für die Sicherheit und Bezahlbarkeit unserer zukünftigen Strom- und Energieversorgung notwendig.
(Mit Material von dts)
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