Brandbrief an Faeser: Asylzahlen deutlich höher als angegeben – Situation „äußerst kritisch“

Die offiziell verkündeten Asylzahlen in Deutschland spiegeln nicht die tatsächliche Zahl der Anträge wider. Das erklärt BAMF-Präsident Sommer in einem Brandbrief an Ministerin Faeser. Es gebe wegen fehlenden Personals Bearbeitungsrückstände.
Titelbild
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Berlin.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 11. November 2023

Ein erheblicher Teil der aktuellen Asylgesuche in Deutschland ist noch nicht registriert, weil es an Personal fehlt. Dies geht aus einem Brief des Präsidenten des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration Hans-Eckhard Sommer an Bundesinnenministerin Nancy Faeser hervor. Der Inhalt des Schreibens erscheint als brisant vor dem Hintergrund der jüngst angekündigten „Migrationswende“ durch Bundeskanzler Olaf Scholz.

Maßnahmenpaket der MPK soll Zahl der Asylanträge deutlich reduzieren

Im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) hatten sich Bund und Länder auf ein weitreichendes Asylpaket geeinigt, das die Zahl der Anträge nachhaltig verringern soll. Unter anderem sollen die Länder eine fixe Jahrespauschale für jeden von ihnen betreuten Asylsuchenden erhalten.

Ein Teil der zustehenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz soll künftig über eine Bezahlkarte erfolgen können. Auf diese Weise will man verhindern, dass Asylbewerber einen Teil ihrer Geldmittel in ihre Heimatländer schicken. Reguläre Sozialhilfe soll es erst nach drei statt wie bisher eineinhalb Jahren geben können.

Zusätzlich sollen die bestehenden Grenzkontrollen erhalten bleiben. Seit 2015 gibt es diese in Bayern. Vor wenigen Wochen hat Ministerin Faeser sie auch an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz veranlasst. Bereits im Vorfeld der MPK hatte Bundeskanzler Scholz Maßnahmen angekündigt, um die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen. In diesem Zusammenhang will man über zusätzliche Migrationsabkommen mit Herkunfts- und Transitländern verhandeln.

BAMF hat noch nicht alle Zahlen aus den Ländern zur Verfügung

Eine logische Voraussetzung für das Gelingen dieser Vorhaben wäre zuallererst ein vollständiges Bild über die Sachlage als solche. Ein solches scheint allerdings noch nicht in Griffweite zu sein, glaubt man den Ausführungen von BAMF-Chef Sommer. In „Bild“ erklärt dieser, seine Behörde habe in den Monaten seit September jeweils zwischen 31.000 und 33.000 Erstanträge auf Asyl registriert. Bislang habe es 2023 etwa 244.000 Gesuche gegeben, darunter 218.000 Erstanträge.

Die genannte Zahl sei jedoch bei Weitem nicht vollständig, gibt Sommer zu bedenken. Dies liege daran, dass bei Weitem noch nicht alle Bezug habenden Informationen beim BAMF eingegangen seien. Die Länder hätten mittlerweile erhebliche Registrierungsrückstände,

sodass wir es tatsächlich im September mit rund 50.000 und im Oktober mit rund 55.000 Zugängen zu tun hatten.“

Demnach laute die realistischere Einschätzung bezüglich der bisherigen Zahl an Asylanträgen 2023 etwa 280.000. Statt von 218.000, wie sie offiziell genannt worden seien, müsse man von 267.000 Erstanträgen ausgehen.

Sommer rechnet mit 350.000 Asylanträgen bis zum Jahresende

Infolge dieser Entwicklung sei es dem BAMF noch gar nicht möglich gewesen, den eingeleiteten Abbau anhängiger Asylverfahren fortzusetzen. Stattdessen sei deren Zahl auf 136.000 angestiegen. Mit Blick auf die Zahl der Asylanträge bis zum Jahresende äußert Sommer:

Bis zum Ende des Jahres muss mit einem Asylzugang von 350.000 oder sogar darüber hinaus gerechnet werden.“

Vor dem Hintergrund der verstärkten Problemwahrnehmung in Politik und Öffentlichkeit sei die Situation „äußerst kritisch“. Seit Beginn des Jahres ist der Anteil der Deutschen, die im Anstieg der Zahl der Asylanträge eine Bedrohung sehen, deutlich gestiegen.

Szenen wie im Sommer auf der Insel Lampedusa oder der Migrationsanteil an antisemitischen Demonstranten haben diese Entwicklung weiter begünstigt. Dazu kommt, dass sich die Problematik in der Überforderung von immer mehr Kommunen auch im Alltag bemerkbar macht. Gemeinden müssen zum Teil wieder Turnhallen in Asylunterkünfte umwandeln. An Schulen steigt der Anteil der Kinder ohne ausgeprägte Deutschkenntnisse immer weiter an.

Behördenchef schreckt vor weiteren Festeinstellungen zurück

Sommer fordert mindestens 245 Millionen Euro für seine Behörde, damit diese zumindest den Personalbestand und die Technik an die Größe der Aufgabe anpassen kann. Zudem will er etwa 2.000 neue Leiharbeiter zur Bearbeitung der Anträge einstellen.

Die derzeit 8.138 festen Stellen und die im Haushalt für das BAMF ausgewiesenen Mittel für das Jahr 2024 würden bei Weitem nicht ausreichen, um den Arbeitsanfall bewältigen zu können. Mehr feste Stellen will er nicht beantragen – aufgrund der davon ausgehenden politischen Optik:

Denn dadurch würde zum Ausdruck gebracht, dass die Bundesregierung von einem dauerhaften Asylzuggang in dieser Größenordnung ausgeht.“

Ministerpräsidentenkonferenz setzt BAMF unter zusätzlichen Zugzwang

Derzeit verfügt das BAMF über 400 Leiharbeiter und befristete Arbeitskräfte. Die Kosten für die geforderten 2.000 weiteren würden sich auf etwa 76 Millionen Euro belaufen. Es wäre nicht das Einzige, was die Behörde bräuchte, so Sommer:

Nicht angesprochen habe ich im Übrigen die erheblichen Mehrbedarfe (…) bei Integrationskursen, Erstorientierungskursen, Migrationsberatung für Erwachsene und Asylverfahrensberatung, für deren Deckung eine politische Lösung aussteht.“

Der Brief stammt aus einer Zeit noch vor der MPK. Diese hat nun beschlossen, dass die Dauer der Asylverfahren deutlich reduziert werden müsse. Das BAMF müsse künftig seine erste Entscheidung über einen Asylantrag nach maximal sechs Monaten getroffen haben. Noch schneller soll es bei Anträgen von Angehörigen aus Staaten mit niedriger Anerkennungsquote gehen. Wie die Behörde dies praktisch mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln bewerkstelligen soll, wird nun zu klären sein.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion