Bund und Länder wollen Migrationswende – Erfolg hängt von Dritten ab

Weniger Geldleistungen, schnellere Verfahren und Beibehaltung der Grenzkontrollen: Mit Maßnahmen wie diesen wollen Bund und Länder die Zahl der Asylbewerber in Deutschland senken. Der Erfolg der Maßnahmen hängt auch von Drittstaaten ab.
Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) äußert sich zusammen mit Boris Rhein (l, CDU), Ministerpräsident von Hessen, und Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, nach dem Bund-Länder-Gipfel im Bundeskanzleramt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (M., SPD) äußert sich zusammen mit Boris Rhein (l., CDU), Ministerpräsident von Hessen, und Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, nach dem Bund-Länder-Gipfel im Bundeskanzleramt.Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Von 7. November 2023

Bis spät in die Nacht hatten Bund und Länder im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag, 6. November, verhandelt. Beim Schwerpunktthema „Asyl“ einigte man sich auf ein Maßnahmenpaket, das Länder und Kommunen entlasten und gleichzeitig die Zahl der Schutzsuchenden senken sollte.

Dass künftig eine Jahrespauschale von 7.500 Euro pro Kopf für jeden Asylbewerber an die Länder und Kommunen fließen soll, wird diese um mehr als drei Milliarden Euro entlasten. Auf X vergleichen Nutzer diese Pauschale mit dem Schnitt dessen, was die EU der Türkei seit Abschluss des Flüchtlingsdeals von 2016 dafür bezahlt hatte. Dabei komme man auf eine Pro-Kopf-Jahrespauschale von 400 Euro.

Bezahlkarten für Asylbewerber sollen Geldtransfers in Heimatländer verhindern

Die Regelung soll nun ein „atmendes System“ bei der Finanzierung der Asylkosten bewirken. Ein jährliches Gezerre im Rahmen von Flüchtlingskonferenzen soll damit der Vergangenheit angehören. Übereinstimmung gibt es auch, wenn es darum geht, Ländern und Kommunen mehr Freiräume bei der Entscheidung über Art und Weise der Leistungsgewährung zu eröffnen.

Mindestens ein Teil der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz soll in Form von Guthaben auf einer Bezahlkarte erfolgen. Dies soll insbesondere verhindern, dass Asylsuchende Bargeldbestände zur freien Verfügung in ihre Heimatländer schicken. Auch soll es einen Systemübergang vom Asylbewerberleistungsgesetz in die – deutlich höhere – Sozialhilfe künftig erst nach drei Jahren geben. Derzeit beträgt die Wartezeit dafür 18 Monate.

Vorentscheidung über Beibehaltung der Grenzkontrollen

Die Teilnehmer der Ministerpräsidentenkonferenz haben sich zudem darauf geeinigt, Schritte zu einer Beschleunigung von Asylverfahren zu setzen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll seine erste Entscheidung über einen Asylantrag nach maximal sechs Monaten getroffen haben. Noch schneller soll es bei Anträgen von Angehörigen aus Staaten mit niedriger Anerkennungsquote gehen.

Eine Vorentscheidung dürfte die Bund-Länder-Runde auch bezüglich der jüngst von Bundesinnenministerin Nancy Faeser veranlassten zusätzlichen Grenzkontrollen gefällt haben. Neben der Grenze zu Österreich, wo diese seit 2015 bestehen, wird es solche weiterhin auch an den Grenzen zu Tschechien, Polen und der Schweiz geben.

Ein weiterer Beschluss betrifft eine mögliche Rechtsänderung, um Asylbewerber in noch breiterem Maße für gemeinnützige Arbeiten einzusetzen. Zudem will man die Möglichkeiten für eine Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten prüfen und Migrationsabkommen zum Zwecke der Rückführung Ausreisepflichtiger anstreben. So soll es eine Grundlage für eine höhere Zahl an Abschiebungen geben.

Scholz hält Klärung bezüglich Asylkosten für „historischen Moment“

Um die Integration zu verbessern, soll eine „Kommission zur besseren Steuerung der Migration“ initiiert werden. In diesem Kontext soll ein „breites gesellschaftliches Bündnis“ zusammenwirken, an dem Kirchen, Gewerkschaften, Wissenschaftler und Unterstützungsgruppen für Flüchtlinge teilnehmen sollen.

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach mit Blick auf die Einigung von einem „historischen Moment“. Vor allem die Klärung der Frage der Finanzierung von Asylkosten der Länder und Kommunen stelle eine bedeutende Errungenschaft dar.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) schrieb auf X, die Einigung könne zu „Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro“ führen. Dies würde eine Entlastung der Länder und Kommunen bewirken und die „Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats“ reduzieren.

Landsberg begrüßt Beschlüsse und mahnt zu konsequenter Umsetzung

Auch der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, hat die Asylbeschlüsse des Bund-Länder-Gipfels als „Schritte in die richtige Richtung“ begrüßt. Gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe warnte er davor, „den jetzt notwendigen Umsetzungsprozess zu verzögern und die richtigen Ziele wieder klein zu reden [sic]“.

Wie bereits Minister Lindner geht auch Landsberg davon aus, dass die Einigung „die Kosten nach Schätzungen um bis zu einer Milliarde Euro reduzieren“ könne. Er unterstrich jedoch auch, dass kurzfristig nicht mit einem deutlichen Rückgang der Zuzugszahlen zu rechnen sei.

Bereits jetzt können die meisten abgelehnten Asylbewerber in Deutschland nicht abgeschoben werden, weil sie über einen Duldungsbescheid verfügen. Dieser bescheinigt den Betroffenen, dass sie zum Verlassen des Landes verpflichtet seien und dies freiwillig – auch verbunden mit Fördermitteln – tun könnten. Da es jedoch Hindernisse bezüglich der Rücknahme gebe, könne der Staat die Ausreiseverpflichtung derzeit nicht durchsetzen.

Linke warnt vor Stimmungsmache gegen Asylsuchende – Söder fordert zusätzliche Maßnahmen

Kritik an der Einigung gab es aus unterschiedlichen Richtungen. Bereits am Montag warf die Bundessprecherin der Linkspartei, Janine Wissler, der Ampelkoalition vor, sich an der „Stimmungsmache gegen Geflüchtete“ zu beteiligen, statt Sozialpolitik zu betreiben. Vor Reportern äußerte Wissler:

Wir haben in Deutschland kein Flüchtlingsproblem, wir haben ein Verteilungsproblem.“

Demgegenüber erklärte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, die am Montag beschlossenen Maßnahmen reichten nicht aus. Es brauche eine „grundlegende Wende in der Migrationspolitik und keine Trippelschritte“.

Der „irreguläre Migrationsdruck“ müsse „unverzüglich und umfassend begrenzt werden“. Ansonsten drohe die völlige Überforderung der Kommunen und eine Gefährdung der politischen Stabilität des Landes.

Söder forderte unter anderem eine „realistische Integrationsgrenze für Deutschland“, die sich am „Leistungs- und Integrationsvermögen der Kommunen“ orientiere. Man müsse „in der aktuellen Lage grundlegende Reformen anstreben und Migrationsfragen neu überdenken“. Das gelte auch für das Grundrecht auf Asyl in seiner jetzigen Form.

Zuzugsanreize und soziale Pull-Faktoren nach Deutschland müssten reduziert werden, indem die nationalen Sozialleistungen für Flüchtlinge auf das europäische Maß abgesenkt würden.

Umsetzung der Maßnahmen von Migrationsabkommen abhängig

Einen anderen Blickwinkel offenbaren Kommentatoren wie Daniel Sturm vom „Tagesspiegel“. Er bemängelt auf X die „Simplifizierung“, die in der Darstellung der Länder liege, dass der Bund entscheide, wie viele Menschen nach Deutschland kämen.

Es werde in den kommenden Jahrzehnten weltweit eine deutliche Zunahme an Migration geben – und diese werde auch in Deutschland stattfinden. Das Land brauche diese auch, denn neben Fachkräften fehlten auch Mitarbeiter in Verkehrsbetrieben oder der Gastronomie. Die Steuerung von Migration könne Deutschland jedoch nicht allein leisten, hier sei Europa insgesamt gefragt.

Die Umsetzung der diskutierten Maßnahmen bedarf zudem auch der Mitwirkung Dritter. Abkommen mit Drittstaaten über die Durchführung von Asylverfahren oder die Durchführung der Abschiebehaft müssen erst geschlossen werden. Dänemark und Großbritannien haben solche unterzeichnet – ungewiss ist jedoch deren Bestandsfestigkeit angesichts dagegen gerichteter Verfassungsklagen.

Zudem fehlt es bezüglich der Rückführung ausreisepflichtiger Asylsuchender an Migrationsabkommen mit Herkunfts- oder Transitstaaten. Die EU hatte sich im Juli noch gerühmt, einen entsprechenden Deal mit Tunesien abgeschlossen zu haben. Die Erfolgsbilanz ist bislang überschaubar – nicht zuletzt mit Blick auf die Ereignisse von Lampedusa.

Gemeindebundchef Landsberg bedauerte auch, dass es keine Einigung darauf gegeben habe, die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer zu bestimmen.



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