Armutsforscher: „Rente mit 70 wäre ein Rückfall ins Kaiserreich“
Sollen Bauarbeiter auch noch mit Ende 60 Jahren mit dem Presslufthammer Straßen aufreißen oder Dachdecker in luftiger Höhe Ziegel verlegen? Ist es vorstellbar, dass in nicht allzu ferner Zukunft Polizisten im fortgesetzten Alter noch Streife fahren oder Personal in Supermärkten schwere Kisten schleppt und Regale auffüllt?
Wenn es nach dem Ökonomen Prof. Dr. Gunther Schnabl geht, dann sollte das Realität werden. Der Wirtschaftsforscher fordert die Rente mit 70 und begründet dies mit Hunderttausenden unbesetzten Stellen und steigenden Preisen, schreibt das Magazin „Focus“. Die Babyboomer-Generation stehe vor der Verrentung. Das werde den Fachkräftemangel zudem weiter verschärften, prognostiziert Schnabl.
„Klare Absage“ an „Phantomdebatte“
Kritik handelt sich der Professor für seine Forderung von vielen Seiten ein. Das könne nur vorschlagen, wer „in einer ganz anderen Welt lebt“, zitiert die Tagesschau Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).
Der – wie derzeit vorgesehene – flexible Übergang in den Ruhestand sei der richtige Weg, betonte Heil und erteilte einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit eine „klare Absage“. Dass man im Stahlwerk, an der Supermarktkasse, als Polizist oder Krankenschwester bis 70 arbeiten solle, halte er für eine „Phantomdebatte“.
Mit der Lebensrealität vieler Menschen in Deutschland sei diese Diskussion nicht zu vereinbaren. Der Arbeitsminister verwies auch auf die Vereinbarung zwischen SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag. Darin sei festgehalten, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht erhöht werde. „Daran wird sich nichts ändern“, versicherte Heil.
Eine Anhebung des Renteneintrittsalters ist aus Sicht des emeritierten Professors und Armutsforschers Christoph Butterwegge sehr schwierig, weil sie die Altersarmut erhöhe. Wenn Menschen beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen früher in Rente gingen, müssten sie Abschläge von 3,6 Prozent pro Jahr bis zu ihrem Tod hinnehmen, zitiert „Focus“ den Wissenschaftler.
Eine Rente mit 70 bedeute gar den Rückfall ins Kaiserreich. Er erinnerte daran, dass das Rentenalter 1916 von 70 auf 65 Jahre gesenkt wurde. Heute sei unsere Gesellschaft viel reicher als vor über 100 Jahren. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters sei daher ein „Armutszeugnis für den Sozialstaat“.
„Rentner nicht zu Inflationstreibern erklären“
Für SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ist die Idee eine „gefühllose Entgleisung“. Gegenüber dem Tagesspiegel bekräftigte er, dass „die SPD es nicht zulassen wird, dass Rentner zu Inflationstreibern und volkswirtschaftlichen Risikofaktoren erklärt werden“. Solche Forderungen seien respektlos. Schon jetzt erreichten viele Menschen nicht mehr das Renteneintrittsalter, „weil harte Arbeit nun einmal hart in die Knochen geht“.
Scharf ins Gericht geht auch der Deutsche Gewerkschaftsbund mit den Förderungen des Ökonomen. Gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Vorstandsmitglied Anja Piel, dass ein höheres Eintrittsalter in die Rente real mehr Arbeitslose bedeute. „Das ist nichts weiter als mutlose Leistungskürzung auf dem Rücken der Beschäftigten“, kritisiert sie. Die Inflation bekämpfe man damit aber nicht.
Piel erinnerte daran, dass schon heute Beschäftigte freiwillig über das 67. Lebensjahr hinaus arbeiten könnten. Viele schafften das aber nicht. Etwa jeder Siebte scheide früher aus dem Erwerbsleben aus. Gründe seien Krankheit, fehlende altersgerechte Arbeitsplätze oder krank machende Arbeitsbedingungen.
Anhebung der Altersgrenze ist falsche Antwort auf Fachkräftefrage
Eine „Unverschämtheit“ ist der Vorschlag in den Augen von Verena Bentele. „Statt sie die Krisen-Zeche bezahlen zu lassen, sollten besser Vermögende höher besteuert werden“, fordert die Präsidentin des Sozialverbands VdK gegenüber der „Bild“. Zudem sei das, was für Professoren und Ökonomen einfach erscheine, für Menschen in psychisch und körperlich anstrengenden Berufen nicht leistbar, formulierte sie einen Seitenhieb in Richtung der Wissenschaftler.
Jürgen Urban, Chef der Gewerkschaft IG Metall, nennt die Forderung „abstrus“. Viele Beschäftigte erreichten das Rentenalter schon heute nicht. Ein Ausscheiden aus dem Arbeitsleben vor der Regelaltersgrenze bedeute Abschläge bei der Rente. „Eine Anhebung der Altersgrenze verschärft dieses Problem und löst weder die Fachkräftefrage noch mildert es die Inflation“, zitiert ihn die „Bild“.
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