2023 wie 1923? Bundesverfassungsgericht wird Schuldenbremse neu bewerten
Es ist nun genau 100 Jahre her, als die Deutschen in der früheren Weimarer Republik eine Hyperinflation erlebten. Auslöser waren etliche neue Kredite der damaligen Regierung, um verschiedenen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.
Für die immer höhere Anzahl an Banknoten gab es immer weniger materielle Gegenwerte im Land. Es kam zur Inflation. Das Geld verlor schnell an Wert, Preise und Löhne explodierten. Am 19. November 1923 kostete beispielsweise ein Kilogramm Roggenbrot laut „Statista“ 233 Milliarden Mark. Das Geld war das Papier nicht mehr wert, auf dem es gedruckt war. Mit katastrophalen Folgen: Die deutsche Wirtschaft und das Bankensystem brachen teilweise zusammen und weite Teile der deutschen Bevölkerung verarmten.
Damit das nicht erneut passiert, hatte Deutschland in den folgenden Jahrzehnten Regelungen einer Schuldenbremse eingeführt und mehrmals angepasst. Zuletzt im Jahr 2009. Sie soll eine strenge Verfassungsbeschränkung für staatliche Kreditaufnahmen sein.
Neuverhandlung der Schuldenbremse
Am 21. Juni 2023 wird das Bundesverfassungsgericht die Verbindlichkeit der 2009 beschlossenen Schuldenbremse verhandeln, berichtet Prof. Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, in einem Artikel der FAZ. Der Ausgang werde bestimmen, ob diese Notfallklausel zu einem Schlupfloch für zusätzliche Verschuldungen wird.
In den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung aufgrund mehrerer Krisen die Schuldenbremse stark ausgereizt. Mehrfach hat der Bund die Notfallklausel aktiviert, um mehr Geld für die Corona-Pandemie, die Unterstützung der Ukraine und den Ausgleich wirtschaftlicher Folgen der Energieversorgung zur Verfügung zu haben. Strittig ist auch die Nutzung der Klausel für Klimaschutzmaßnahmen und die Inanspruchnahme der „Asylrücklage“.
So teuer waren Sondervermögen und „Doppel-Wummse“
Der Präsident des Bundesrechnungshofs hat im März festgestellt, wie hoch die Summe der Kreditaufnahmen des Bundes in den letzten gut drei Jahren war – und schlug Alarm. Die sogenannten Sondervermögen und „Doppel-Wummse“ aus diesem eher kurzen Zeitraum belaufen sich auf rund 847,4 Milliarden Euro. Die dadurch steigende Zinslast wird den Bundeshaushalt und künftige Generationen stark belasten.
Zum Vergleich: Zwischen 1949 und 2019, also in 70 Jahren, hat der Bund einschließlich aller Ausgaben für die Wiedervereinigung eine Gesamtverschuldung von 1.299,7 Milliarden Euro aufgebaut.
Der Bundesrechnungshof hat daher bereits vor den Folgen von „Bunkerung erheblicher Milliardenbeträge“ durch Krediteinnahmen auf Vorrat gewarnt. Diese kann „zu erheblichen finanzwirtschaftlichen sowie verfassungs- und haushaltsrechtlichen Verwerfungen führen, die die Gefahr eines Kontrollverlustes bei den Bundesfinanzen bergen“. Die sich zwischen 2021 und 2023 verzehnfachende Zinsbelastung summiere sich auf eine Höhe von etwa 40 Milliarden Euro und raube im aktuellen Jahr die letzten Haushaltsspielräume.
Corona-Kredite für Klimafonds rechtens?
Der Stabilitätsrat hat im Mai 2023 ein Finanzierungsdefizit von 4,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts festgestellt. Das verstößt direkt gegen die Maastricht-Kriterien. Die Grenze liegt für Mitgliedstaaten bei drei Prozent des BIP.
Die Regierung hat vorgeschlagen, Mittel aus dem Fonds für Energiehilfen für andere Zwecke zu verwenden, was jedoch auf Widerstand stieß. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt auch darüber, ob die umstrittene Verwendung von Corona-Krediten für Klimaschutzmaßnahmen berechtigt war.
Zudem wird das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe haben, die Notfallklausel neu zu interpretieren. Bei dem Verfahren wird es „um die Reichweite der Ausnahmeregelung zur Schuldenregel und die grundgesetzliche Zweckbindung der Mittel“ gehen.
Entscheidungen des Gerichts aus den vergangenen Jahrzehnten betonten die Notwendigkeit strenger Anforderungen und konkreter gesetzlicher Regelungen. Letztlich muss das Gericht entscheiden, ob die Schuldenbremse eine effektive Begrenzung der Staatsverschuldung gewährleistet oder ob sie durch Ausnahmeregelungen ausgehebelt wird. Vor allem in Krisenzeiten ist das eine entscheidende Frage.
Derzeit beträgt die Staatsverschuldung von Deutschland laut der Schuldenuhr vom „Bund der Steuerzahler“ mehr als 2.557 Milliarden Euro. Der Zuwachs beträgt 3.817 Euro pro Sekunde.
Lindner verschickt Sparvorgaben an Ministerien
Aufgrund der schwierigen Lage erhöht Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) laut dem „Handelsblatt“ den Druck auf die anderen Ministerien. Das Finanzministerium verschickte am Mittwoch, dem 31. Mai, an alle Ressorts Briefe mit jeweils konkreten Vorgaben, wie hoch ihre Ausgaben im kommenden Jahr maximal sein dürfen. So soll ein hoher einstelliger Milliardenbetrag eingespart werden.
Das Vorgehen sei mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) abgesprochen. Dadurch erhielten die Sparvorgaben des Finanzministers mehr Gewicht. Für die Ministerien dürfte es schwierig werden, von den Vorgaben abzuweichen oder noch mehr herauszuschlagen.
Demnach müssen alle Ressorts Einsparungen vornehmen – mit Ausnahme des Bundesverteidigungsministeriums. Dabei fallen die Einsparungsvorgaben unterschiedlich hoch aus.
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