Wie geht es weiter mit den syrischen Flüchtlingen?

Mit dem Fall der Assad-Regierung steht die Zukunft vieler syrischer Flüchtlinge auf dem Prüfstand. Europa diskutiert kontrovers über Rückkehrpläne und mögliche Abschiebungen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser mahnt zur Vorsicht.
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Syrer stehen am 9. Dezember 2024 am türkisch-syrischen Grenzübergang Cilvegozu Schlange.Foto: OZAN KOSE/AFP via Getty Images
Epoch Times14. Dezember 2024

Nach dem Sturz der Assad-Regierung in Syrien stellt sich die Frage: Was passiert mit den syrischen Flüchtlingen, nachdem nun ihr Asylgrund weggefallen ist? Immer mehr europäische Länder haben beschlossen, die Bearbeitung ihrer Asylanträge vorläufig auszusetzen. Dazu gehören neben Deutschland auch Großbritannien, Italien, Österreich, Norwegen, Schweden, Dänemark, die Schweiz und die Niederlande.

Ist jetzt für syrische Flüchtlinge die richtige Zeit, nach Hause zu gehen? Darüber scheiden sich die Geister. Österreich kündigte bereits einen Abschiebeplan für syrische Flüchtlinge an, während in Deutschland eine laute Debatte über den Umgang mit den syrischen Flüchtlingen entbrannt ist. Bundesinnenministerin Faeser warnt vor vorschnellen Schlussfolgerungen. 

Ein Überblick, worüber die europäischen Länder und andere Staaten derzeit diskutieren.

Österreich geht knallhart vor

In Österreich leben derzeit etwa 100.000 Flüchtlinge aus Syrien. Von diesen durchlaufen 7.300 gerade ihr Asylverfahren. Die Bearbeitung ihrer Asylanträge wird vorläufig ausgesetzt. Auch der Familiennachzug wird bis auf Weiteres gestoppt.

Österreichs Kanzler Karl Nehammer betont, dass die ursprünglichen Fluchtgründe nicht mehr bestünden und Rückkehrhilfe nun oberste Priorität habe.

Seit 2019 hätten 40.000 Syrer auf der Flucht vor Assad einen Schutzstatus in Österreich erhalten. Dieser Schutzstatus müsse nun eine Überprüfung erfahren, sagt Innenminister Gerhard Karner. Er habe sein Ministerium beauftragt, ein „geordnetes Rückführungs- und Abschiebe-Programm nach Syrien vorzubereiten“. 

Deutschland: Europameister

Deutschland hat von den europäischen Ländern mit Abstand die größte Anzahl an Flüchtlingen aufgenommen. Zurzeit leben laut dem Bundesinnenministerium etwa 974.000 syrische Flüchtlinge im Land (2024 gab es 75.000 Neuanträge). Allein im Jahr 2015, als die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreichte, waren es mehr als 400.000 Syrer, die Asyl beantragten. 

In deutschen Schulen gibt es rund 250.000 Schüler mit syrischem Hintergrund. Diese Zahl entspricht mehr als einem Viertel der insgesamt in Deutschland lebenden Syrer, so Migrationsforscher Prof. Jochen Oltmer.

Seit dem Sturz von Assad entbrennt eine Debatte über den Umgang mit syrischen Flüchtlingen in Deutschland. Die Union fordert von der Bundesregierung einen „Rückkehrfahrplan“. 

Am meisten Aufmerksamkeit erregt die Idee vom Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU): Er schlägt vor, Flugzeuge zu chartern und rückkehrwilligen Syrern „ein Startgeld von 1.000 Euro“ anzubieten. 

Andrea Lindholz, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CSU, sagte der „Bild“: „Straftäter und Gefährder müssen sofort abgeschoben werden“. Vorrangig abgeschoben werden sollen außerdem alle, die „sich nicht integriert haben, also zum Beispiel nach Jahren noch nicht arbeiten“.

Für Bundesinnenministerin Faeser (SPD) ist es hingegen viel zu früh, um überhaupt über einen Rückkehrplan zu diskutieren. „Aktuell ist die Lage in Syrien aber sehr unübersichtlich. Deshalb sind konkrete Rückkehrmöglichkeiten im Moment noch nicht vorhersehbar, und es wäre unseriös, in einer so volatilen Lage darüber zu spekulieren.“ Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält eine Rückkehr syrischer Flüchtlinge für verfrüht. 

Nach dem Sturz des syrischen Machthabers, Baschar al-Assad, versammelten sich auch in Deutschland, wie hier in Mannheim, Syrerinnen und Syrer zum Feiern auf Straßen und Plätzen.

Nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad versammelten sich auch in Deutschland, wie hier in Mannheim, Syrer zum Feiern auf Straßen und Plätzen. Foto: Dieter Leder/dpa

Schweden: Angst vor Parallelgesellschaften und Bandengewalt

Auch Schweden nahm eine hohe Anzahl von syrischen Flüchtlingen auf. Bis 2023 wurden etwa 180.000 Syrer registriert. Die schwedische Migrationsbehörde kündigte nun auch an, die Entscheidung über syrische Asylanträge auszusetzen.

Derzeit durchläuft die schwedische Migrationspolitik einen Paradigmenwechsel. Die Einwanderungspolitik wird radikal verschärft, da das Land in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine große Anzahl von Einwanderern aufgenommen hat – was zu Parallelgesellschaften und Bandengewalt führte.

Frankreich: Keine Einigung zwischen den Behörden

In Frankreich leben rund 43.600 syrische Flüchtlinge. 2023 gingen beim zuständigen Amt für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen (Ofpra) rund 2.500 Asylanträge ein, von denen 700 noch bearbeitet werden müssen. Ihre Prüfung ruht derzeit. Das französische Innenministerium erklärt, dass es nach dem Sturz des Regimes von Bashar al-Assad „an einer Aussetzung der anhängigen Asylverfahren aus Syrien arbeitet“.

Innenminister Bruno Retailleau, der derzeit geschäftsführend im Amt ist, möchte einen harten Kurs fahren. Außenminister Jean-Noël Barrot erklärt hingegen, Syrer sollen nur dann zurückkehren, wenn die Sicherheit vollständig gewährleistet ist. Das sei derzeit noch nicht der Fall. 

Großbritannien, Niederlande und Polen: Treten auf die Bremse

In Großbritannien leben etwa 25.000 bis 30.000 Syrer (Stand 2023). Auch das britische Innenministerium hat die Entscheidung über syrische Asylanträge ausgesetzt. 

Die Niederlande frieren alle Entscheidungen über syrische Asylanträge für sechs Monate ein. 

In Polen kündigte Maciej Duszczyk, Staatssekretär im Ministerium für Innere Angelegenheiten und Verwaltung, an, dass das polnische Außenministerium bis zur Klärung der Situation in Syrien „keine Entscheidungen über Anträge syrischer Staatsbürger auf internationalen Schutz treffen wird“.

Türkei: Versorgt syrische Flüchtlinge mittels EU-Geldern

Die Türkei hat mehr Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen als jedes andere Land der Welt – laut UNHCR-Angaben sind es 3,5 Millionen. Sie haben einen vorübergehenden Schutzstatus erhalten.

Die hohe Zahl hängt mit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei zusammen: Die EU finanziert seit 2016 die Versorgung syrischer Flüchtlinge auf türkischem Boden. Dafür hindert Ankara die Flüchtlinge daran, in andere EU-Staaten zu reisen. Zudem gewährt das Abkommen türkischen Staatsangehörigen visafreie Reisen in die EU. Weitere 3 Milliarden Euro erhielt die Türkei dafür von der EU im Juni 2022.

Syrer stehen in einer Warteschlange vor dem türkischen-syrischen Grenzübergang Cilvegozu im Südosten der Türkei und warten darauf, in ihr Land zurückkehren zu können.

Syrer stehen in einer Warteschlange vor dem türkisch-syrischen Grenzübergang Cilvegozu im Südosten der Türkei und warten darauf, in ihr Land zurückkehren zu können. Foto: Hussein Malla/AP/dpa

60 Prozent der Flüchtlinge wollten laut Umfragen im Jahr 2021 „unter keinen Umständen nach Syrien zurückkehren“, gleichzeitig hoffen 82 Prozent der Türken auf ihre Abschiebung. Syrer sehen sich scharfen Anfeindungen ausgesetzt, es gab Ausschreitungen.

Nun steht die Forderung nach einer schnellen Rückkehr im Raum, die flüchtlingsfeindliche Stimmung nimmt zu. Mit ihrer Ausreise verwirken Syrer ihr Aufenthaltsrecht und können erst einmal nicht wieder in die Türkei zurückkehren – daher wollen viele bleiben.

Was sagt Syrien selbst?

Der neue Regierungschef Mohammed al-Baschir ruft syrische Flüchtlinge in aller Welt auf, in ihre Heimat zurückzukehren. „Mein Appell richtet sich an alle Syrer im Ausland: Syrien ist jetzt ein freies Land, das seinen Stolz und seine Würde wiedererlangt hat. Kommen Sie zurück!“, sagte al-Baschir in einem Interview mit der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“.

Es sei eines seiner wichtigsten Ziele, dem Land zu einem Aufschwung zu verhelfen. Dabei könnten Rückkehrer nach Syrien mit ihrer Erfahrung eine wichtige Rolle spielen. „Wir müssen unser Land wieder aufbauen und auf die Beine bringen, und wir brauchen die Hilfe aller“, sagte er. 

Wie viele syrische Flüchtlinge sind weltweit registriert?

Nach Schätzungen der UNHCR (Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) sind weltweit etwa 6,8 Millionen syrische Flüchtlinge registriert (Stand 2023). Ein Großteil davon lebt in den Nachbarländern Türkei, Libanon und Jordanien.

Wie viele syrische Flüchtlinge haben die EU-Mitgliedstaaten seit 2011 aufgenommen?

Etwa 1,2 bis 1,3 Millionen. (lz)



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