Nach Sturz von Assad: Österreich setzt Asylverfahren für Syrer aus

Wenige Tage nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien haben mehrere europäische Länder die Bearbeitung von Asylanträgen syrischer Geflüchteter gestoppt. Auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer kündigte an, anhängige Verfahren auszusetzen und anerkannte Schutzstatus zu überprüfen.
Einige Flüchtlinge kehren aus der Türkei in ihr Heimatland Syrien zurück. Andere warten wegen der noch instabilen Lage lieber ab.
Einige Flüchtlinge kehren aus der Türkei in ihr Heimatland Syrien zurück. Andere warten wegen der noch instabilen Lage lieber ab.Foto: Metin Yoksu/AP/dpa
Von 10. Dezember 2024

Wenige Tage nach dem Sturz der Regierung Assad in Syrien haben mehrere europäische Staaten anhängige Asylverfahren für syrische Geflüchtete ausgesetzt. Auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer hat am Montagabend in einem Video-Statement angekündigt, dass alle Verfahren gestoppt und der Status bereits anerkannter Asylsuchender überprüft werden sollen.

Der Bundeskanzler deutete an, dass er davon ausgehe, dass die ursprünglichen Fluchtgründe nach dem Ende der Assad-Diktator nicht mehr bestünden. Asyl werde jedoch auf Zeit gewährt. Entsprechend sei eine Priorität, den Geflüchteten bei der Rückkehr in ihre Heimat zu helfen.

Sturz von Assad macht neue Lagebewertung erforderlich

Nach dem Sturz Assads müsse die Sicherheitslage eine neue Bewertung erfahren. Nehammer habe Innenminister Gerhard Karner damit beauftragt, die erforderlichen Veranlassungen zu treffen. Zu den Staaten, die mittlerweile Asylverfahren für Geflüchtete aus Syrien ausgesetzt haben, zählen mittlerweile unter anderem Großbritannien, Italien, Schweden und Dänemark.

Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat anstehende Entscheidungen in Asylsachen ausgesetzt. Unterdessen kommen aus der EU Warnungen vor einer überhasteten Debatte über Rückführungen.

Im Ö1-„Morgenjournal“ erklärte Innenminister Karner, er sei „dankbar“, dass der Kanzler unter den Vorreitern bezüglich des Stopps von Asylverfahren sei. Die Situation in Syrien habe sich verändert. Allein in den vergangenen fünf Jahren hätten 40.000 Syrer einen Schutzstatus in Österreich erhalten, die vor dem Assad-Regime geflohen seien. Dieser Schutzstatus müsse nun eine Überprüfung erfahren.

Freiwillige Rückkehr im Vordergrund

Wie der „Standard“ berichtet, hat Karner auch bereits eine Prioritätenliste für Rückführungen nach Syrien erstellt. Diese umschreibt er wie folgt:

„Es geht um jene, die kriminell geworden sind. Es geht um jene, die unsere kulturellen Werte nicht anerkennen. Und es geht auch um jene, die nicht arbeiten wollen.“

Bereits jetzt gebe es, ähnlich wie in der Türkei oder im Libanon, die Möglichkeit freiwilliger Rückreisen. Man müsse jedoch auch Abschiebungen vorbereiten.

In Österreich leben nach Angaben Nehammers derzeit etwa 100.000 Geflüchtete aus Syrien. In Deutschland waren es zum Stichtag 31. Oktober 974.136. Etwa 655.000 von diesen haben einen anerkannten Flüchtlingsstatus. Dazu kommen Personen, die sich in einem anhängigen Asylverfahren befinden, sowie nach Deutschland geholte Familienangehörige.

Vom Westen anerkannte Exilregierung mittlerweile bedeutungslos

Ausreisepflichtig waren Ende November dem BAMF zufolge 10.024 Menschen aus Syrien. Von diesen hatten 8.960 eine Duldung. Grundsätzlich gibt es auch nach dem Machtwechsel in Damaskus ein entscheidendes Problem, das auch bisher schon Rückführungen verhinderte: In Syrien gibt es keine von den EU-Staaten anerkannte Regierung.

In den Jahren 2011 und 2012 brachen mehrere Staaten, die auf der Seite der Opposition standen, ihre diplomatischen Beziehungen mit Syriens Regierung ab. Viele von ihnen sprachen der „Syrischen Nationalkoalition“, die in Doha gegründet wurde, die Anerkennung als legitime Exilregierung aus.

Zwar konnte diese sich auf die von der Türkei unterstützte „Freie Syrische Armee“ (FSA) stützen. Allerdings hatten Rebellengruppen wie al-Nusra die „Nationalkoalition“ nicht anerkannt, und auch die Eroberer von Damaskus von der Hayat Tahrir al-Sham (HTS) haben andere Pläne, als die zuletzt kaum beachtete Exilregierung zu inthronisieren. Die HTS hat mit Mohammad al-Baschir bereits ihren eigenen Premierminister ernannt. Sie baut auf ihre eigenen Verwaltungspraktiker aus den vergangenen Jahren in Idlib.

Rückkehrbereitschaft bei vielen vorhanden

Westliche Länder werden, um eine Aufnahme ausreisepflichtiger Syrer ohne verbleibenden Asylgrund vereinbaren zu können, erst die neue Regierung anerkennen und dann mit dieser Gespräche aufnehmen müssen. Mit den Taliban in Afghanistan, die ideologisch nicht weit von HTS entfernt sind, hat man dies bis heute nicht getan. Die HTS-Rebellen haben unterdessen die Geflüchteten bereits zur Rückkehr aufgerufen.

Migrationsexperte Peter Neumann vom King’s College in London, äußerte am Montag in der „ZIB2“ des ORF, es zeichne sich unter Syrern, die sich im Libanon befänden, bereits eine hohe Rückkehrbereitschaft ab.

Es zeichne sich bereits ab, dass viele der fünf Millionen Syrerinnen und Syrer, die im vergangenen Jahrzehnt aus ihrer Heimat geflohen seien, nach Syrien zurückkehrten, etwa an der Grenze zwischen dem Libanon und Syrien. Es sei durchaus sinnvoll, freiwillige Rückkehrabkommen abzuschließen. Jetzt massenhaft Asyltitel zu widerrufen und eine Rückkehr zu erzwingen, sei jedoch nicht anzuraten:

„Abgeschoben werden sollte erst, wenn wir uns tatsächlich sicher sein können, dass das Land auch wieder stabil ist.“

Freude über Sturz von Assad vereint Akteure – doch es bleiben Rechnungen offen

Zwar verbinde derzeit die Freude über den Sturz von Assad alle Akteure in Syrien. Allerdings sei noch nicht abzusehen, wohin sich die neue Lage entwickele. An die Macht seien nun Islamisten gekommen, und es gebe aus der Zeit des Bürgerkrieges eine Vielzahl offener Rechnungen. Eine Versöhnung von Gruppen, die sich bis vor kurzem massiv bekämpft hätten, sei „momentan sehr, sehr schwer vorstellbar“.

Es sei im Fall einer Destabilisierung mit neuerlichen Fluchtbewegungen zu rechnen. Deutschland und Österreich hätten nach 2015 eine „Kettenreaktion“ erlebt. Unter Syrern habe sich herumgesprochen, dass es „eine ganz gute Aussicht auf ein Leben in Schutz, aber möglicherweise auch in Wohlstand“ gebe. Dies sei der erste Eindruck gewesen, den hier angekommene Geflüchtete ihren Freunden und Bekannten vermittelt hätten.



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