„Vorher vereinbart“? Orbán verlässt den Raum beim Ukraine-Beschluss
„Kein EU-Beitritt für die Ukraine.“ Das war die ungarische Position vor dem Brüsseler EU-Gipfel. Doch statt ein Veto einzulegen, beschloss Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán am Donnerstag, 14. Dezember, nach stundenlangen Verhandlungen, dass sich Ungarn bei der Entscheidung enthält. Diese Wende kam für viele überraschend.
Aber in der anderen Frage hat der ungarische Regierungschef sein Versprechen eingelöst. Um halb zwei Uhr morgens legte er effektiv sein Veto gegen die 50 Milliarden Euro Hilfsgelder für die Ukraine ein.
Viele werfen dem ungarischen Ministerpräsidenten vor, er wolle mit seinem Widerstand in Brüssel nur Geld von der EU erpressen. Manche sprechen sogar von der Vorbereitung Ungarns auf einen Austritt aus der EU. Orbán hingegen sagte vor dem Brüsseler Treffen, dass er andere Ziele verfolge.
Ungarn hat nicht die Absicht, sich an dieser „schlechten Entscheidung“ zu beteiligen
Am Donnerstagabend meldete sich Orbán aus Brüssel mit einer Videobotschaft, die er auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte, und erklärte, dass Ungarns Position unverändert bleibe. Er sagte, dass der formelle Beginn von EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine eine „schlechte Entscheidung“ sei. Er betonte, Ungarn werde sich von dieser Entscheidung „fernhalten“.
Was das in der Praxis genau bedeutet, darüber berichtete am Abend auch das ungarische Nachrichtenportal „Index“. Demnach hat Viktor Orbán vor dem Beschluss der Mitgliedstaaten einfach den Raum verlassen. „Index“ erfuhr von einem EU-Diplomaten vor Ort, dass Orbáns Abwesenheit das Ergebnis einer „vorher vereinbarten, konstruktiven Entscheidung war“.
Wie mehrere deutsche Medien berichteten, ging dies auf einen Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz – in Abstimmung mit Ratspräsident Michel – zurück. Somit konnten die anderen 26 Mitgliedstaaten formell einstimmig beschließen, dem kriegsgebeutelten Land den Weg zur Mitgliedschaft zu ebnen.
Orbán: Die Europäische Union ruiniert sich selbst
In einem Exklusivinterview mit dem ungarischen Nachrichtenportal „Mandiner“ sprach Ungarns Regierungschef vor dem EU-Gipfel über Ungarns Position. Er meinte, die EU begehe einen schrecklichen Fehler, wenn sie sich darauf vorbereite, die Ukraine zu einem Mitgliedsland zu machen. Die Ukraine sei nicht in der Lage, Verhandlungen mit der EU aufzunehmen. Brüssel handle nur aus „geostrategischen und politischen Gründen“.
Ich denke, das ist ein Irrtum, ein Fehler, und damit ruinieren wir die Europäische Union“, sagte Orbán.
Noch nie zuvor habe die EU die Beitrittsverhandlungen mit einem Land geführt, das sich im Krieg befindet. Man kenne weder die Einwohnerzahl der Ukraine noch wisse man zum Beispiel, in welchem Zustand sich die Bevölkerung genau befinde und welches Territorium das Land umfasse, betonte Orbán.
Erpressungsvorwürfe
Immer wieder wurden Vorwürfe laut, Orbán erpresse die EU und wolle nur den Zugang zu EU-Geldern, die wegen angeblicher Rechtsstaatsmängel in dem Land eingefroren sind. Diese Kritiker fühlten sich dann bestätigt, als Brüssel kurz vor dem Gipfel am Mittwoch rund 10,2 Milliarden Euro an Ungarn freigab.
Orbán betonte in dem Interview mit „Mandiner“, dass Ungarn bereits alle Forderungen und Bedingungen für die Überweisung der EU-Gelder erfüllt habe. Als Antwort auf den Vorwurf der Erpressung erklärte er außerdem, dass es aus politischer Sicht nicht infrage komme, die Position des Geldes wegen zu ändern.
Im Vorfeld des Gipfels hatten mehrere Staats- und Regierungschefs betont, dass dieser Geldtransfer „kein Druckmittel in den Verhandlungen mit Orbán“ sei, berichtete „Euractiv“. „Der Zeitpunkt ist nicht günstig. Denn es entsteht der Eindruck, dass dies ein Anreiz für Ungarn ist, bestimmte Positionen zu unterstützen. Das könnte sogar funktionieren, aber das ist hier nicht der Fall“, sagte der irische Ministerpräsident Leo Varadkar.
Orbán: Brüssel hat keinen Plan B
Die verstärkte Unterstützung der EU für die Ukraine stehe laut Orbán auf der Tagesordnung, weil die Lage in dem Land trotz aller Erwartungen nicht gut aussehe. Dazu kommen Spekulationen, dass sich die USA aus dem Konflikt mit der Ukraine zurückziehen könnte. Wie der ungarische Regierungschef „Mandiner“ mitteilte, sehe die Situation für die EU so aus: Es gebe keinen Plan B in Brüssel, „nur einen Plan für den Sieg, der gescheitert ist“. Die europäischen Staats- und Regierungschefs hätten ununterbrochen gesagt, dass alles gut ausgehen werde, „aber jetzt müssen wir einfach nach Hause gehen und sagen, dass es nicht gut war“, so Orbán.
Nach wie vor schlage Ungarn einen sofortigen Waffenstillstand und Friedensgespräche als Lösung vor. Eine weitere Kreditaufnahme und 50 Milliarden Euro an Hilfen seien somit eine schlechte Idee. Orbán stimmt nicht zu, dass die ungarischen Steuerzahler diesen Krieg weiter finanzieren sollen. Hinzu kämen die „schlechten Erfahrungen“, die das Land in der Vergangenheit mit EU-Anleihen gemacht habe.
Der Rückzug der Amerikaner aus dem Konflikt wären angesichts der Präsidentschaftswahlen auch kein Wunder, meint Orbán. „Nun, wer zum Teufel will in einem US-Präsidentschaftswahlkampf darüber reden, wie sie nach Afghanistan auch die Ukraine in den Ruin getrieben haben?“
Ungarn hofft auf neue Mehrheiten in Brüssel
Orbán sagte, er hoffe auf einen Umschwung in der EU im nächsten Jahr. Mit Blick auf die kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni und der EU-Ratspräsidentschaft Ungarns in der zweiten Hälfte von 2024 könnte sich vieles ändern. Orbán betonte im Interview mit „Mandiner“, dass Ungarn nicht plane, die EU zu verlassen.
Nach Ansicht des Ministerpräsidenten sollte sich die gemäßigte Rechte in Europa nicht mit der Linken, sondern mit den rechten Parteien einigen und so eine europäische Mehrheit schaffen. Das würde einen großen Unterschied in vielen Fragen machen.
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