Ungarischer Professor kämpft freiwillig in der Ukraine und hält nebenbei Online-Vorlesungen

Kürzlich ist auf ungarischen Facebook-Seiten ein Universitätsprofessor der ungarischen Minderheit in der Ukraine aufgetaucht, der als Freiwilliger in der ukrainischen Armee kämpft. Die dortigen Ungarn sind sich jedoch in der Frage des Krieges nicht einig. Viele betrachten ihn nicht als ihren eigenen und fliehen.
Titelbild
Sándor Fegyir, mit einem Maschinengewehr über dem Oberschenkel, hält während einer Kampfpause eine Online-Vorlesung für seine Studenten.Foto: Botschaft der Ukraine in Ungarn
Von 26. Oktober 2022

In der Verwaltungseinheit Transkarpatien in der Ukraine im äußersten Westen des Landes leben 130.000 bis 150.000 Ungarn. Sie sind dort eine Minderheit und haben in der Gesellschaft keinen einfachen Stand. Obwohl viele den russisch-ukrainischen Krieg nicht als ihren eigenen betrachten und nach Ungarn fliehen, gibt es auch einige, die sich an dem bewaffneten Krieg beteiligen.

Sie sehen in der gegenwärtigen Situation eine Wiederholung der Geschichte und sie kämpfen auch mit Hingabe gegen die Russen. Sándor Fegyir, Professor an der Universität von Uschhorod (Ungvár, Ungwar). Denn im Jahr 1956 erhob sich das ungarische Volk gegen die Russen, gegen Kommunismus.

Die ungarische Regierung selbst ist gegen den bewaffneten Konflikt. Sie hat jedoch eine große Zahl von Flüchtlingen aufgenommen und leistet zudem humanitäre Hilfe in den von Ungarn bevölkerten Gebieten. Bis 1920 gehörte diese Region noch zu Ungarn selbst. 

Online-Vorlesung inmitten von Bombardements

Über das Schicksal des freiwilligen Soldaten hatte in Transkarpatien die Zeitung „Wahres Wort der Karpaten“ („Kárpáti Igaz Szó“) am 25. September berichtet. Sie führte ein langes Interview mit dem Universitätsprofessor, der sich freiwillig an die Front gemeldet hatte und seine Lehrtätigkeit online fortsetzte.

Fegyir ist auch als „Grabenprofessor“ bekannt. Er wurde berühmt, weil er als Dozent an der Nationalen Universität Uzhhorod zwischen zwei Wachdiensten in der kriegsgebeutelten Ostukraine inmitten von Bombardements von seinem Mobiltelefon aus Vorlesungen für seine Studenten hielt.

Erst kürzlich berichtete er auf seiner Facebook-Seite davon, wie Ukrainer ungarischer Abstammung während des russisch-ukrainischen Krieges Dörfer nahe der ukrainisch-russischen Grenze von der russischen Besatzung befreiten.

„Navajo von Transkarpatien“

In dem Artikel wird er auch als „Navajo von Transkarpatien“ bezeichnet, der die Russen mit seinen Kameraden täuscht, indem er auf Ungarisch funkt. Fegyir, der väterlicherseits ungarischer Abstammung ist, hat „nie einen Tag als Wehrpflichtiger gedient und hat den Krieg nur in Filmen gesehen“, schreibt die Zeitung.

Was war seine Motivation? „Die Hauptsache war, etwas zu tun, um zu verhindern, dass der Krieg Transkarpatien erreicht“, sagte er. „Wenn wir die Russen nicht aufhalten, werden Ungarn, die Slowakei, die Tschechische Republik und Polen folgen.“

Fegyir wies darauf hin, dass es in der Ukraine viele Menschen gibt, die auf die „russischen Befreier“ warteten und sich bessere Lebensbedingungen dadurch erhofften.“ Doch als sie die vielen Toten und die verwundeten Menschen sahen, hätten sie ihre Hoffnung verloren.

Sándor Fegyir: „Die Ungarn haben uns nicht den Rücken zugekehrt“

In seinem Facebook-Post vom 23. Oktober schrieb er: „1956 kämpften die Ungarn für ihre Freiheit und Unabhängigkeit, sie wollten sich von der kommunistischen Diktatur befreien, von ihrer untergeordneten Rolle, sie wollten ein besseres Leben.“

Lassen Sie es mich deutlicher ausdrücken: Wir werden 2022 in der Ukraine für das kämpfen, wofür die Ungarn ’56 gekämpft haben.“

Der einzige Unterschied zwischen dem Schicksal der beiden Länder bestehe darin, so der Professor, dass die westlichen Mächte der ungarischen Regierung keine Hilfe geleistet hätten. Die Ukraine hingegen würden von ihren Partnern alle Hilfe erhalten, die sie brauche, sagte er.

Als in der Ukraine ansässiger Bürger sieht Fegyir im Gegensatz zu vielen anderen Ungarn in seiner Region die ungarisch-ukrainischen Beziehungen positiv. Ungarn gehörte zu den ersten Ländern, die die Unabhängigkeit der Ukraine anerkannt hätten. Ungarn hätte in der Energiekrise Gas an die Ukraine geliefert und auch ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. […] Ich bin zuversichtlich, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder gut sein werden, was im Interesse beider Seiten ist“, sagte er.

Ungarische Minderheit ist Repressalien ausgesetzt

Die Ungarn in Transkarpatien gehören zu den Zwangsminderheiten, die aus dem Friedensvertrag von Versailles nach dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen sind. Seit mehr als acht Jahrzehnten haben sie einen schweren Stand. Früher gehörten sie zum tschechoslowakischen (jetzt tschechischen und slowakischen) Staat, dann zu den ehemaligen Sowjets und schließlich zum ukrainischen Staat. Ihre Verwandtschaft, ihre kulturell-sprachlichen Bindungen und ihre ethnische Identität sind jedoch weiterhin eng ungarisch.

Transkarpatien ist seit 1991 Teil der unabhängigen Ukraine. Bei der letzten ukrainischen Volkszählung in diesem Gebiet im Jahr 2001 wurden 151.533 Ungarn gezählt. Die Zahl der von Ungarn bewohnten Siedlungen beläuft sich auf 114, von denen 78 eine ungarische Mehrheit haben, so „Wikipedia“.

In den Schulen ist die Verwendung der ungarischen Sprache nur noch eingeschränkt erlaubt. Zudem berichten die Medien regelmäßig über Gräueltaten von Ukrainern an Ungarn. Zuletzt wurde beispielsweise ein Denkmal im Schloss von Munkatsch (Mukachevo, Transkarpatien) mutwillig zerstört, „was von der ungarischen Bevölkerung der Region als Schlag ins Gesicht empfunden wurde“, wie „Ungarn Heute“ schreibt.

Bei dem zerstörten Denkmal handelte es sich um einen Turul-Vogel, ein Symbol der ungarischen Identität. Laut Autor des Artikels würden die „Beobachter dies als bewusste Provokation ansehen, die nicht nur die ungarische Minderheit beunruhigt, sondern auch die ungarische Regierung ins Visier nimmt“.

Kriegszeiten

Im Zusammenhang mit der Kriegsrekrutierung von Ungarn in Transkarpatien führte die ungarische Online-Zeitung „portfolio.hu“ ein Interview mit László Zubánics am 12. Oktober. Zubánics ist Vorsitzender der Ungarischen Demokratischen Allianz der Ukraine (UMDSZ). Er sagte, dass Ungarn und Ukrainer gleichermaßen für den Krieg rekrutiert werden, da die Regierung ethnische Spannungen vermeiden will.

Viele Ungarn fliehen gerade aus Transkarpatien, so wird ein Flüchtling auf „borsonline“ zitiert: „Mehr als ein Viertel, vielleicht dreißig Prozent der transkarpatischen Bevölkerung, sind ins Auto gestiegen. Viele von ihnen haben kein Auto, sie werden wahrscheinlich von ihren Nachbarn oder Verwandten gerettet“, erklärte er.

Seit Beginn des Krieges hat Ungarn etwa 1,5 Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und lässt ukrainische Kinder in 1.200 Schulen am ungarischen Unterricht teilnehmen. Gleichzeitig wurde Ungarn dafür kritisiert, dass es keine Waffen an die Ukrainer liefert oder solche Lieferungen durch sein Hoheitsgebiet passieren lässt.

Viktor Orbán und seine Regierung betonen, dass der Frieden erreicht werden muss. Das Mittel dazu sei nicht der bewaffnete Konflikt, sondern ein „sofortiger Waffenstillstand und Friedensgespräche“ – in erster Linie zwischen Russland und den USA.

(Susan Berg hat zu dem Artikel beigetragen)



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