„Umweltkrieger“ trennen Bergkarabach vom Rest der Welt

Seit drei Wochen wird die armenisch besiedelte Bergregion Bergkarabach durch aserbaidschanische Demonstranten von der Außenwelt abgetrennt. Für die Bevölkerung scheint die Lage immer aussichtsloser – die Menschen fühlen sich alleingelassen.
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Aserbaidschanische Umweltaktivisten protestieren am 26. Dezember 2022 am Lachin-Korridor.Foto: TOFIK BABAYEV/AFP via Getty Images
Von 5. Januar 2023

Seit dem 16. Dezember 2022 belagert eine Gruppe aserbaidschanischer Demonstranten den sogenannten Latschin-Korridor, der die Region Bergkarabach mit Armenien verbindet. Einheimischen Stimmen zufolge befinden sich die Menschen nach fast drei Wochen Besetzung in einer kritischen Situation, wie die Schweizer Internetzeitung „infosperber.ch“ berichtet. Es würden lebensnotwendige Nahrungsmittel, Medikamente, Babymilch und Treibstoff fehlen, die Leute sich wie in einem Käfig fühlen, aus dem sie nicht herauskönnten. Mit jedem weiteren Tag verschlimmere sich die Lage für die dort lebende armenische Bevölkerung.

„Umweltschützer“ campieren auf der Straße

Die Demonstranten bezeichnen sich selbst als „Umweltschützer“, die angeblich die Beschädigung der Umwelt durch „illegale Ausbeutung der Goldminen“ anprangern.

Mittels dieser Begründung hätten sie sich an den dort stationierten russischen Barrikaden vorbeigedrängt und ihre Zelte auf der Verbindungsstraße zu der Bergregion Bergkarabach (auf Russisch: Nagorno-Karabach) aufgeschlagen. Seit Beginn der Belagerung sei der Verkehr lahmgelegt worden.

Russische Friedenstruppen, die die Straße seit dem Ende des Krieges zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach im Jahr 2020 bewachen, hatten die Straße zuvor ebenfalls gesperrt. Mit den Maßnahmen wollten sie eine Eskalation verhindern, falls die Demonstranten zu den Minen in Bergkarabach vordringen sollten. Aserbaidschan bestreitet, dass es für die Sperrung der Straße verantwortlich ist.

Dringlichkeitssitzung im UN-Sicherheitsrat

Wie das Auswärtige Amt gegenüber der Epoch Times am 5. Januar 2023 mitteilte, verfolge die Bundesregierung zusammen mit ihren Partnern in der EU sehr aufmerksam die Lage im südlichen Kaukasus.

In der E-Mail wird erläutert, dass die deutsche Regierung die Bemühungen der Europäischen Union auf eine nachhaltige Friedenslösung unterstütze. Sie stehe sowohl mit Vertretern Armeniens als auch Aserbaidschans in stetigem Kontakt und rufe zu einer raschen friedlichen Einigung auf. Auf die Frage der Epoch Times nach konkreten Maßnahmen gab das Amt jedoch keine Auskunft.

Öffentliche Stimmen zu der kritischen Lage gibt es seither wenige: Zu Beginn der Belagerung am 16. Dezember hatte sich die Menschenrechtsbeauftragte Luise Amtsberg in einem Twitterbeitrag geäußert: „Der freie Personen-, Fahrzeug- und Warenverkehr auf dem #Lachin-Korridor muss so schnell wie möglich wiederhergestellt werden: Andernfalls steigt das Risiko schwerwiegender humanitärer Folgen für die Zivilbevölkerung in Nagorno-Karabach. Dialog und Friedensverhandlungen zwischen #Aserbaidschan und #Armenien sollten dringend im Mittelpunkt stehen!“

Am 20. Dezember hatte der UN-Sicherheitsrat auf Antrag Armeniens eine Dringlichkeitssitzung zur Lage im Latschin-Korridor abgehalten. Einige Diplomaten hätten zwar die sofortige Freigabe der belagerten Hauptstraße gefordert, was bis jetzt jedoch ohne Wirkung blieb.

Hugh Williamson, Direktor für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch, wies auf die „schwerwiegenden humanitären Folgen“ hin, sollte die Blockade der einzigen Verbindungsstraße zu Bergkarabach noch länger anhalten. „Unabhängig davon, wer die Straße blockiert, sollten die aserbaidschanischen Behörden und die dort stationierte russische Friedenstruppe dafür sorgen, dass der Zugang offen bleibt, damit die Menschen sich frei bewegen können und Zugang zu lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen haben.“

Einigen Medienberichten zufolge seien zwar mehrere russische Lastwagen mit angeblich humanitären Gütern durchgelassen worden, es sei aber nicht klar gewesen, für wen die Güter bestimmt waren.

EU-Energie-Deal mit Aserbaidschan

Auf die Frage der Epoch Times an das Auswärtigen Amt, ob die Konfliktsituation im Südkaukasus eventuell bestehende Energieabkommen beeinflussen könnte, gab das Amt keine Auskunft.

Denn nach der Abwendung vom russischen Erdgas hatte die europäische Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangenen Juli auf der Suche nach Alternativen die aserbaidschanische Hauptstadt Baku besucht. Anschließend verkündete sie, dass die EU nun einen „zuverlässigen Energielieferanten“ gefunden habe. In einer gemeinsamen Erklärung hatten die Unterzeichner drei Punkte festgelegt.

Innerhalb von fünf Jahren soll jährlich doppelt so viel aserbaidschanisches Gas in die EU geliefert werden wie bisher. Zudem soll Aserbaidschan zu einem „zuverlässigen und wichtigen Partner für erneuerbare Energien“ werden. Der dritte Punkt umfasse die Zusammenarbeit im Bereich Klimaschutz. Die Absichtserklärung enthält Verpflichtungen zur Verringerung der Methanemissionen in der gesamten Gasversorgungskette.

Welche Rolle spielt Russland?

Armenien und Aserbaidschan gehörten in früheren Jahren zur Sowjetunion, Russland spielt auch weiterhin eine große Rolle in der Region.

Ist Russland nicht willens oder in der Lage, diese Blockade aufzulösen? Diese Frage wurde dem armenischen Analytiker Eric Hacopian am 30. Dezember in einem Interview auf „Civilnet“ gestellt.

Seiner Meinung nach könnte es einerseits sein, dass Russland mit dem Regime in Baku verbunden ist, sodass es nicht eingreifen will. Auf der anderen Seite könnte Russland in der derzeitigen Situation aber auch zu „schwach“ sein, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen.

Die Rolle Russlands, auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges, ist daher schwer einzuschätzen. Einerseits sichert Russland Bergkarabach ab, sodass viele armenische Flüchtlinge dorthin zurückkehren konnten. Andererseits hat die russische Militär- oder Friedensmission wiederholt Brüche der Waffenruhe durch Aserbaidschan im ersten Jahr nach Ende des Krieges weder verhindert noch strafrechtlich verfolgt.

Konflikte reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück

Obwohl die bedrohliche Situation für die seit Mitte Dezember von der Außenwelt abgetrennten Armenier in Bergkarabach zu eskalieren droht, scheint der Konflikt kaum Beachtung zu finden.

Der Streit um das Gebiet Bergkarabach, auch Nagorno-Karabach (russisch) oder Arzach (armenisch), ist ein ethno-territorialer Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Ursprünge der Auseinandersetzungen reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück.

Obwohl die Gebirgsregion nur eine Fläche von 4.400 Quadratkilometern umfasst, kam es während des Zerfalls der Sowjetunion zu einem erbitterten Kampf um das Territorium. Dabei starben von 1992 bis 1994 mehrere Zehntausende Menschen auf beiden Seiten.

Die 1991 erklärte Unabhängigkeit der Bergregion wurde international nie anerkannt, Armenien sicherte das Gebiet militärisch ab. Im September 2020 begann Baku mit einer umfassenden Militäroffensive, um die rund um Bergkarabach besetzten Gebiete nach Jahren des diplomatischen Stillstands zurückzuerobern.

Am 10. November 2020 wurden die direkten Kampfhandlungen in einer von Russland vermittelten Waffenstillstandsvereinbarung zwischen den Konfliktparteien beendet. Doch der Konflikt bricht immer wieder aus, wie die jüngsten Auseinandersetzungen sowohl in als auch außerhalb der Region Bergkarabach zeigen.



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