Türkei will eigene Förderung von Gas ausbauen – und wird Drehscheibe für EU
Die starke Importabhängigkeit der Türkei im Bereich der Energie trübt die Leistungsbilanz des Landes und schafft Abhängigkeiten. Nun will die Regierung in Ankara diesen Zustand in einem besonders sensiblen Bereich beenden: der Gewinnung von Erdgas. Bis dato könne das Land seinen eigenen Bedarf nur zu einem Prozent mit Gas aus dem Schwarzen Meer abdecken, erklärte Energieminister Fatih Dönmez.
Noch in diesem Jahr will man nun zum Befreiungsschlag ausholen. Wie das Portal „Finanzmarktwelt“ berichtet, hält der Direktor der staatlichen türkischen Ölgesellschaft TPAO, Melih Han Bilgin, schon bis 2030 eine beträchtliche Eigenförderung für möglich. Minister Dönmez hatte bereits Ende Januar erklärt, bis dahin sei die Türkei in der Lage, zumindest die Hälfte ihres Gasbedarfs aus eigenen Quellen zu gewinnen.
Neue Vorkommen im Umfang von 710 Milliarden Kubikmeter Gas entdeckt
Ein Grund für die Zuversicht ist dabei die Entdeckung des Gasfeldes Sakarya vor der eigenen Schwarzmeerküste. Allein dieses soll 652 Milliarden Kubikmeter förderfähiger Erdgasvorkommen umfassen. Dazu komme ein weiteres Gasfeld im Schwarzen Meer mit Reserven von 58 Milliarden Kubikmeter.
Anfang Januar waren die Vorarbeiten zur Erschließung des Sakarya-Gasfeldes zu 90 Prozent abgeschlossen, hieß es aus dem Energieministerium in Ankara. Bereits ab Ende März soll das erste Erdgas daraus türkischen Haushalten zur Verfügung stehen. Die Fördermenge werde in weiterer Folge kontinuierlich steigen.
Perspektivisch wolle man 15 bis 20 Milliarden Kubikmeter jährlich aus dem Gasfeld fördern. Insgesamt reichten die Vorkommen, um Haushalte im Land über mehr als 30 Jahre zu versorgen. Das Gas aus dem Schwarzen Meer zu fördern, komme günstiger als zu importieren.
Türkei weist Handelsbilanzdefizit von 100 Milliarden US-Dollar im Energiebereich aus
Die Fähigkeit zur Eigenversorgung bleibe das Ziel Ankaras, erklärte Dönmez:
Natürlich wollen wir in einem Idealszenario die gesamte notwendige Gasmenge innerhalb des Landes fördern können.“
Der jährliche Gasbedarf der Türkei beziehe sich derzeit auf 55 bis 60 Milliarden Kubikmeter. Die Importe aus der Russischen Föderation bewegten sich in den vergangenen Jahren zwischen 20 und 30 Milliarden Kubikmeter. Seit November 2022 erfolgen die Zahlungen dafür in Rubel.
Melih Han Bilgin weist darauf hin, dass allein im Jahr 2022 in Bezug auf die Energieimporte des Landes ein Defizit von 90 bis 100 Milliarden US-Dollar entstanden sei:
Das Hauptproblem des Leistungsbilanzdefizits der Türkei sind Energieimporte. Das Defizit beträgt im Monat acht bis neun Milliarden Dollar. Wir versuchen, dies herunterzufahren.“
Der gesamte türkische Staatshaushalt für das Jahr 2022 beträgt 239 Milliarden US-Dollar.
Inflation wieder im Sinken begriffen
Die Förderung eigenen Gases aus dem Sakarya-Feld soll sich nicht zuletzt für die großen Industriebetriebe lohnen. Wie Minister Dönmez deutlich macht, hatten diese zuletzt ihren Verbrauch um 13 bis 16 Prozent reduziert.
Nun würden auch die Kosten der Industriebetriebe, die Strom auf dem freien Markt kauften, um bis zu 15 Prozent sinken. Im März sei sogar ein neuerlicher Rabatt denkbar. Auch die Inflation könnte das Land langsam in den Griff bekommen. Nachdem diese im vergangenen Oktober ein Niveau von 85 Prozent erreicht hatte, liegt sie mittlerweile nur noch bei 57,7 Prozent.
Die eigene Förderung und die Erträge aus einem Gashub in Thrakien sollen unterdessen helfen, Rentenerhöhungen, höhere Löhne und Subventionen für Energie zu finanzieren. Den Hub hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin im vergangenen Oktober verabredet.
Verteilung von Gas aus derzeit bereits 15 Ländern
Neben der eigenen Produktion wächst außerdem auch die Bedeutung der Türkei als Drehscheibe für die Verteilung von Gas aus insgesamt 15 verschiedenen Ländern. Dies betrifft derweil nicht nur russisches Gas aus der Schwarzmeergasleitung Turkish Stream.
Vielmehr kam es erst im Januar zu einer Vereinbarung zwischen dem türkischen Versorger BOTAŞ und dem bulgarischen Bulgargaz. Bulgarien bekommt von diesem aus den USA angeliefertes LNG von der türkischen Küste aus über das Festland geliefert.
Aber auch für die EU insgesamt wird die Türkei eine umso größere Rolle spielen. Dies umso mehr, als der Bruch mit dem wichtigen Energiepartner Russland es erforderlich macht, zuletzt 155 Milliarden Kubikmeter Erdgas zu ersetzen.
Die bislang nachgewiesenen Erdgasreserven des Schah-Denis-Feldes in Aserbaidschan betragen 1,3 Billionen Kubikmeter. Die jährliche Transportkapazität der TANAP-Hauptpipeline liegt derzeit bei 16 Milliarden Kubikmetern. In zwei Etappen will man diese in den kommenden Jahren erst auf 24 und dann auf 31 Milliarden Kubikmeter ausbauen.
Türkei hat Vorgriffsrecht auf Gas aus Aserbaidschan
Die TANAP ist der zentrale Teil des Südlichen Gaskorridors. Dieser verbindet das riesige Schah-Denis-Gasfeld in Aserbaidschan über die Südkaukasus-Pipeline und die Trans Adriatic Pipeline (TAP) mit Europa.
Die TAP kann derzeit jährlich bis zu zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas befördern. Die EU und Aserbaidschan haben nunmehr vor, künftig enger in der Gasversorgung zusammenzuarbeiten. Dazu will man die derzeitige jährliche Kapazität auf 20 Milliarden Kubikmeter verdoppeln. Präsident Ilham Alijew hat dazu am Freitag der Vorwoche (3. Februar) bereits seine endgültige Zustimmung erteilt.
Allerdings hat Ankara auch hier ein Wörtchen mitzureden. Im Jahr 2012 schlossen die Türkei und das eng mit ihr verbündete Aserbaidschan nämlich ein Lieferabkommen. In diesem heißt es etwa auch, dass im Fall der Erweiterung der Kapazitäten Ankara das Erstzugriffsrecht auf das zusätzliche Erdgas zukommt. Die EU muss für zusätzliche Erdgaslieferungen über die TANAP demnach erst die Zustimmung aus Ankara einholen.
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