Inmitten von Spannungen mit Peking: Taiwan wählt neuen Präsidenten

Inmitten der starken Spannungen mit Chinas kommunistischem Regime haben Millionen Menschen in Taiwan an der Präsidentschaftswahl teilgenommen. Der Ausgang der Wahl gilt als entscheidend für das Verhältnis zwischen Taipeh und dem zunehmend aggressiv auftretenden Peking.
In Taiwan werden im Januar das Staatsoberhaupt und das Parlament neu gewählt.
In Taiwan werden heute das Staatsoberhaupt und das Parlament neu gewählt.Foto: Chiang Ying-Ying/AP/dpa
Von 13. Januar 2024

Die fast 20 Millionen Wahlberechtigten der demokratisch regierten Insel konnten am Samstag in fast 18.000 Wahlbüros ihre Stimme abgeben. Als Favorit galt der derzeitige Vizepräsident Lai Ching-te von der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Er will im Falle eines Siegs den Peking-kritischen Kurs der scheidenden Amtsinhaberin Tsai Ing-wen fortsetzen.

Lai rief die Bevölkerung auf, in großer Zahl zu den Urnen zu gehen, als er in einer Schule in der Stadt Tainan im Süden Taiwans seine Stimme abgab. Dies würde „die Lebenskraft von Taiwans Demokratie zeigen“. „Das ist Taiwans hart erkämpfte Demokratie“, sagte Lai. „Wir alle sollten unsere Demokratie wertschätzen und mit Begeisterung wählen.“

Eine 54-jährige Wählerin sagte in einem Wahllokal in der Hauptstadt Taipeh, sie sei noch nie so „aufgeregt“ gewesen wie bei dieser Stimmabgabe. „Denn es gibt einen Kandidaten, der Hoffnung für die Zukunft Taiwans bringen kann.“ Eine 70-jährige Rentnerin sagte: „Ich hoffe, die nächste Regierung wird es so gut machen wie die jetzige.“

Amtsinhaberin Tsai durfte nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten. Ergebnisse wurde noch am Samstagabend erwartet.

China hatte vor dem Wahltag Stimmung gegen Kandidat Lai gemacht und ihn als „ernste Gefahr“ bezeichnet. Sollte der derzeitige Vizepräsident die Wahl gewinnen, werde er „separatistische Aktivitäten“ für eine Unabhängigkeit Taiwans vorantreiben, erklärte die chinesische Taiwan-Behörde. Das chinesische Verteidigungsministerium teilte mit, mit Härte gegen jegliches Vorgehen für eine Unabhängigkeit Taiwans vorgehen zu wollen.

Stunden vor Wahlbeginn traf US-Außenminister Antony Blinken in Washington einen ranghohen Vertreter der Kommunistischen Partei Chinas. Er appellierte dabei nach Angaben des US-Außenministeriums, „Frieden und Stabilität“ in der Region zu bewahren.

Am Samstag wurde in Taiwan auch ein neues Parlament gewählt. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sorgten offenbar auch bei chinesischen Internetnutzer für großes Interesse: Der Hashtag „Taiwan Wahl“ war am Samstag auf der Onlineplattform Weibo ein Trendthema – bevor er blockiert wurde. „In Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen, Regularien und Regeln wird der Inhalt zu diesem Thema nicht angezeigt“, hieß es auf der Website.

Peking schaut nicht nur zu

Weit weg scheint Taiwan zu sein. Allerdings ist die demokratisch regierte Hightech-Insel von großer geopolitischer und weltwirtschaftlicher Bedeutung. Das weiß auch der kommunistische Nachbar China auf der anderen Seite der Taiwanstraße ganz genau.

Am 4. Januar forderte Taiwans Außenminister Jaushieh Joseph Wu die Welt dazu auf, strenge Vorsichtsmaßnahmen gegen Chinas Manipulationsversuche, die Wahlergebnisse in den Demokratien der Welt zu beeinflussen, zu treffen und die regelbasierte internationale Ordnung zu verteidigen. Wu warnte auch davor, dass Peking möglicherweise Künstliche Intelligenz zur Verbreitung von Desinformationen einsetze, um die Wahlergebnisse zu beeinflussen. Dies berichtete „Taiwan Today“. Der Beitrag wurde von der Regierung Taiwans auf ihrer Website als Top News verlinkt.

Begierlich schaut Pekings Auge zu dem kleinen Nachbarn hinüber und streut im eigenen Land nationalistische Parolen von einer Wiedervereinigung, von einer Heim-ins-Reich-Holung. Dabei war es eigentlich Taiwan, das einst Rückzugsort der letzten regulär gewählten Regierung der Republik China war, ein Fluchtort vor der Roten Armee von Mao Zedong. Für die Kommunistische Partei, die in China die Macht an sich gerissen hatte, bleibt Taiwan bis heute lediglich eine abtrünnige Provinz.

Dieser Tage bekräftigte Chinas oberster Führer Xi Jinping in seiner Neujahrsansprache seine Absicht, Taiwan zu erobern. China und Taiwan würden „mit Sicherheit wiedervereinigt“. Der kommunistische Parteichef erklärte als gemeinsames Ziel aller Chinesen „auf beiden Seiten der Taiwanstraße“ die Verbundenheit im „Ruhm der Verjüngung der chinesischen Nation“.

Eine Wahl von globaler Bedeutung

Taiwans amtierende Präsidentin Tsai Ing-wen wird nicht mehr antreten. Zwei Amtszeiten von vier Jahren sind möglich, so ist die Regel. Tsai und die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) stehen für eine prowestliche Politik und die Unabhängigkeit von China. Die Kuomintang-Partei (KMT) spricht sich jedoch eher für eine Annäherung an Peking und gegen eine Unabhängigkeitserklärung Taiwans aus. Für Peking wäre daher die KMT ein weniger bedrohliches Gegenüber als die DPP.

Daher hat die Wahl des Präsidenten in Taiwan eine große Bedeutung für die internationale Ausrichtung des Landes – und damit auch eine globale Auswirkung. Denn Taiwan stellt nach Angaben von US-Außenminister Antony Blinken rund 70 Prozent der High-End-Computerchips der Welt her, was das Land zu einem wichtigen Bindeglied in den globalen Lieferketten macht. Auch die strategische Lage ist von großer Bedeutung, beispielsweise für die regionalen Allianzen und Handelsrouten im Westpazifik und deren Sicherheit.

Die Beziehungen der beiden Staaten ist seit Jahren von ständigem Säbelrasseln Chinas begleitet, was sich unter anderem durch Militärmanöver vor Taiwans Küsten und Verletzungen des Luftraums der Inselrepublik durch Kampfjets zeigt.

Wer wird Taiwans neuer Präsident?

Der Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei DPP stand mit Vizepräsident und Parteichef Lai Ching-te (William Lai) schon seit Längerem fest. Lai machte bereits im Vorfeld klar, dass er „gegen die KPC, aber nicht gegen China“ sei. Er tritt im Team an mit seiner Parteikollegin Hsiao Bi-khim, die bis November als Taiwans De-facto-Botschafterin in den Vereinigten Staaten fungierte und nun als Vizepräsidentin kandidiert.

Als Kandidat des Oppositionsführers Kuomintang steigt erwartungsgemäß Hou Yu-ih in den Ring, der frühere Generaldirektor der Nationalen Polizeibehörde und amtierende Bürgermeister von Neu-Taipeh. Sein Vizepräsidentenkandidat ist Jaw Shaw-kong, ein früherer Politiker und Abgeordneter und jetzige taiwanische Medienpersönlichkeit.

Das dritte Kandidatenteam kommt aus einer 2019 gegründeten kleineren Oppositionspartei, der Taiwanischen Volkspartei (TPP). Diese schickt Ko Wen-je ins Präsidentenrennen, der bis Ende 2022 Bürgermeister der Hauptstadt Taipeh war. Seine Parteikollegin Wu Hsin-ying (Cynthia Wu) soll für das Vizepräsidentenamt mit ihm im Team kandidieren.

Die Versprechen der Kandidaten

Nach Angaben der US-Epoch-Times führt das DPP-Team in den meisten lokalen Umfragen. Wang Juntao, ein in den USA ansässiger chinesischer Demokratieaktivist und Wissenschaftler, sprach mit der Epoch Times über zwei Faktoren, die für den Ausgang der Wahlen entscheidend seien: die Sicht der Wähler auf die Beziehungen mit China und die Innenpolitik in Bezug auf die Wirtschaft. Er wies darauf hin, dass die überwältigende Mehrheit der taiwanischen Jugend nicht wolle, dass die Insel Teil Chinas wird.

Am 30. Dezember erklärten alle drei Kandidaten während einer Präsidentschaftsdebatte, den derzeitigen Status Taiwans beibehalten zu wollen. DPP-Kandidat Lai versprach, Tsai Ing-wens Politik gegenüber China und den Vereinigten Staaten fortzusetzen: „Was die sogenannte taiwanische Unabhängigkeit angeht, so ist Taiwans grundlegende Position, dass die Souveränität und Unabhängigkeit Taiwans seinen 23 Millionen Menschen gehört und nicht der Volksrepublik China.“

KMT-Kandidat Hou lehnte sowohl die taiwanische Unabhängigkeit als auch Pekings Politik „Ein Land, zwei Systeme“ ab, welches das Regime der ehemals britischen Kronkolonie Hongkong mit der Übernahme durch China 1997 übergestülpt hatte.

Ko, der dritte Präsidentschaftskandidat, betonte während der Debatte, dass aus seiner Sicht die Beibehaltung des Status quo Taiwans „die einzige Option“ sei.

Präsidentin Tsai: China beeinflusst seit 1996

Dem KP-Regime von Xi Jinping dürfte somit in der jetzigen Lage der Kuomintang-Kandidat weniger Kopfschmerzen bereiten. Um dessen Chancen zu erhöhen, versucht Peking offenbar entsprechend Einfluss zu nehmen.

Das Büro von Taiwans Präsidentin Tsai berichtete von einer Pressekonferenz nach Tsais Neujahrsansprache. Dort hatten Reporter unter anderem gefragt, ob die nationalen Sicherheitsbehörden Kenntnis von chinesischen Einmischungsversuchen in die Wahlen hätten. Als Beispiel wurden unter anderem erwähnt, dass China die taiwanische Band Mayday unter Druck gesetzt haben soll, zu sagen, Taiwan sei ein Teil Chinas. Ebenfalls genannt wurden subventionierte Chinareisen von Dorfvorstehern und gefälschte Meinungsumfragen.

Die Präsidentin habe erklärt, dass die Einmischung Chinas in die Wahlen Taiwans an der Tagesordnung seien, seit es auf der Insel 1996 die ersten direkten Präsidentschaftswahlen gegeben habe. Die nationalen Sicherheitsbehörden hätten die Situation aber im Griff.

Pekings Manipulationsversuche zur Taiwanwahl

Den Angaben der US-Epoch Times zufolge wurde am 22. Dezember ein Online-Medienreporter festgenommen, der verdächtigt wird, gefälschte Umfragen verbreitet zu haben, die die KMT in Führung zeigten. Dabei soll der Journalist angeblich auf Geheiß des Provinzkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) in der südchinesischen Provinz Fujian tätig gewesen sein. Ebenfalls wird über einen Bericht des New Yorker Forschungsunternehmens Graphika über eine koordinierte Online-Beeinflussungsaktion berichtet. Die Akteure hätten sich als taiwanische Nutzer auf Facebook, YouTube und TikTok ausgegeben, für die KMT geworben und die anderen Kandidaten kritisiert. Man habe versucht, die „Gegner der KMT als inkompetent und korrupt darzustellen“, so der Bericht.

Am 29. Dezember kündigte die örtliche Staatsanwaltschaft in Taiwans zweitgrößter Stadt Taichung eine Untersuchung gegen acht Bezirksvorsteher, 28 taiwanische Wähler und den Leiter eines örtlichen Reisebüros wegen möglicher Verstöße gegen das Anti-Infiltrationsgesetz der Insel an. Die Bezirksvorsteher und Wähler sollen unter dem Marktpreis liegende Preise für Reisen in die südchinesische Stadt Xiamen gezahlt haben, bei denen sie sich mit KPC-Funktionären der Stadt trafen.

Angesichts all dieser und weiterer Manipulationsversuche Chinas, die Wahlen in Taiwan zu beeinflussen, drückte Präsidentin Tsai nach der Neujahrsansprache ihre Zuversicht aus, dass das Volk bei der Wahl dennoch eine kluge Entscheidung treffen werde und die taiwanische Gesellschaft angesichts von Wahlbeeinträchtigungen und Desinformation wachsam bleiben könne. Präsidentin Tsai habe darauf hingewiesen, dass es in Taiwan das Wichtigste sei, dass sich jeder frei äußern könne, weil es sich um eine Demokratie handle.

Eine Deutschland-ähnliche Demokratie

Interessanterweise – und wohl auch zum Leidwesen Chinas – liegt Taiwan im Demokratieindex der Länder der Welt (2022) auf Platz 10 und damit nur wenig hinter der Schweiz (7), aber noch vor Deutschland (14). Das taiwanische Wahlsystem ähnelt auch dem deutschen von Direktwahl, Verhältniswahl und Fünf-Prozent-Hürde. In Taiwan ist das Präsidentenamt mit großer Macht ausgestattet. Daher wählen die Bürger ihren Präsidenten und auch den Vizepräsidenten mit ihren Stimmen direkt. Beide Posten werden als Kandidatenteam einer Partei gewählt. Der Premierminister wird dann auf Vorschlag des Präsidenten vom Parlament gewählt. Dieser ernennt die Minister, die der Präsident in der Regel bestätigt.

(Mit Materialien von afp)



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