Soll Ungarn im Schengen-Raum bleiben? 67 Europaabgeordnete fordern Prüfung

Ungarns Visaprogramm könnten russischen Spionen die Einreise in den Schengen-Raum erleichtern, sagen EU-Abgeordnete. Sie stellen nun Ungarns Mitgliedschaft im Schengen-Raum infrage.
Titelbild
Ein österreichischer Grenzbeamter an der Grenze zu Ungarn in Nickelsdorf, aufgenommen am 2. März 2020. Symbolbild.Foto: JOE KLAMAR/AFP via Getty Images
Von 9. August 2024

Ein offener Brief an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, stellt die weitere Mitgliedschaft Ungarns im Schengen-Raum infrage. Darin wird die Wiedereinführung von Kontrollen an der ungarischen Grenze gefordert. Zu den 67 Europaabgeordneten, die den Brief unterzeichnet haben, gehören vorwiegend Mitglieder der linksgerichteten slowakische Partei Progressive Slowakei. Zu den Unterzeichnern gehört auch die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

In dem Brief heißt es, dass „Ministerpräsident Viktor Orbán offensichtlich die Geduld der EU immer mehr auf die Probe stellt“. Die Abgeordneten werfen Budapest vor, dass weißrussische und russische Arbeitsmigranten im Rahmen eines Visaprogrammes der ungarischen Regierung „ohne jegliche Kontrollen in Ungarn arbeiten und ihre Familien ins Land holen können“.

„Wenn die ungarische Regierung sich weigert, ihre Politik zu ändern, sollten die Kommission und alle EU-Vertreter die ungarische Präsenz im Schengen-Raum infrage stellen“, heißt es weiter im Brief.

Das ungarische Visaprogramm wurde in den vergangenen Wochen unter anderem von Manfred Weber, dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei, kritisiert. Orbáns Regierung weist die Anschuldigungen zurück, und nennt diese „kindische Lügen eines baltischen Propagandafeldzugs gegen Ungarn“. Das Helsinki Komitee, eine Menschenrechtsorganisation, die bereits zahlreiche Konflikte mit der Orbán-Regierung hatte, hat das Programm der ungarischen Regierung hingegen verteidigt.

Darum geht es in dem Brief

Der Brief, den der litauische Europaabgeordnete Petras Auštrevicius auf seine X-Seite gepostet hat, äußert Bedenken gegen Ungarns Visaprogramm und fordert eine Untersuchung und mögliche Konsequenzen aus Brüssel. Er geht jedoch nicht näher auf den eigentlichen Inhalt des Programms ein.

Die Verfasser des Briefes fordern, die Anwesenheit Ungarns im Schengen-Raum infrage zu stellen, falls das Programm tatsächlich eine Bedrohung darstellt. Sie fordern die Einführung „neuer Kontrollen an den ungarischen Grenzen, falls nötig“. Ungarns Regierung sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihre Maßnahmen dem Reiseverkehr der Ungarn im Schengen-Raum schaden könnte. „Es sollte auch beachtet werden, dass die anderen Schengen-Staaten das Recht haben, von Ungarn ausgestellte Visa für weißrussische und russische Bürger nicht anzuerkennen“, fügen sie hinzu.

Die EU-Abgeordneten erklären, Orbán habe „zuerst Sanktionen gegen Russland blockiert, dann die Hilfe für die Ukraine blockiert. „Während seiner EU-Ratspräsidentschaft beschloss er, nach Russland zu reisen und mit Putin über ‚Frieden‘ zu verhandeln – ohne Mandat und ohne positives Ergebnis“.

Im Hinblick auf das Einwanderungsprogramm sagen die Abgeordneten, dass es weißrussischen und russischen Gastarbeitern erlaube, „ohne Sicherheitskontrollen“ nach Ungarn einzureisen. Mit so einem ungarischen Visum sei Freizügigkeit im gesamten Schengen-Raum gegeben. Dadurch „besteht die Gefahr, dass das russische Spionagenetzwerk in der EU gestärkt wird“. Der Giftgasanschlag auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal in England und die Explosion eines Munitionslagers nahe dem tschechischen Dorf Vrbetice werden als Beispiele für die feindlichen Operationen Russlands in Europa angeführt.

Das ungarische Visaprogramm wurde in den letzten Wochen unter anderem auch von Manfred Weber, dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei, kritisiert. In einem Brief an den Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, forderte Weber die EU-Staats- und Regierungschefs auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Integrität des Schengen-Raums zu schützen.

Das Visaprogramm aus Ungarns Sicht

Ungarns Außenminister, Péter Szijjártó betonte, dass die strengen Sicherheitskontrollen für russische und weißrussische Staatsangehörige bei der Einreise nicht gelockert worden seien. „Die Wahrheit ist, dass russische und weißrussische Staatsangehörige weiterhin nur dann nach Ungarn und damit in den Schengen-Raum einreisen dürfen, wenn sie im Besitz eines Visums sind“, so der Minister in seiner Erklärung.

Die ungarische Analyseseite „portfolio.hu“ veröffentlichte eine nähere Analyse der spezifischen Verordnung. „Die Presseberichte über die ungarische Nationalkarte sind oft ungenau: Tatsächlich wird hier keine Befreiung für die Erlangung eines D-Visums gewährt“, berichtet das Portal. Mehrere EU-Mitgliedsstaaten, darunter auch Ungarn, haben den russischen Staatsbürgern diese Art von Visa auch schon früher zuerkannt.

Das Helsinki-Komitee hat sich ebenfalls für das Programm der Regierung ausgesprochen. Die Vertreter der NGO wurden von „bne IntelliNews“ zitiert. Ihrer Meinung nach ist ein wichtiger Aspekt, dass die sogenannte Nationalkarte Menschen in Russland oder Belarus, die vor den autoritären Regimen fliehen, die Umsiedlung erleichtere.

Inhaber der Nationalkarte seien nicht von den nationalen Sicherheitskontrollen ausgenommen. Falls sie ein D-Visum beantragen, werden sie im Schengener Informationssystem auf Vorstrafen überprüft. Außerdem wird sichergestellt, dass sie nicht auf einer Liste mit Sanktionen oder Einreiseverboten stehen.

Bei Langzeitaufenthalten ist es für die Betroffenen in der Tat einfacher zu arbeiten. Sie werden zum Beispiel über Zeitarbeitsfirmen arbeiten können. Allerdings müssen Bewerber auch einen Einkommensnachweis, einen Wohnsitznachweis und ein Schreiben ihres Arbeitgebers vorlegen.

Länder mit den niedrigsten Ablehnungsquoten für russische Visa-Anträge

Wenn es darum geht, russischen Staatsbürgern die Einreise in den Schengen-Raum zu ermöglichen, sind die Ungarn laut einem Bericht von 2023 nicht die Spitzenreiter, berichtet „Schengen.News“. Eine Analyse aus August, 2023 zeigt, dass Spanien und Finnland die niedrigsten Ablehnungsquoten für russische Staatsbürger haben.

Ungarn genehmigte 90,9 Prozent der 27.595 Anträge, die russische Staatsangehörige im Jahr 2022 stellten. Spanien hatte eine Bewilligungsquote von 92,5 Prozent. Von 166.893 Anträgen auf Erteilung eines Schengen-Visums wurden 154.450 Anträge von Inhabern russischer Pässe genehmigt. In Finnland wurden 93,4 Prozent der Anträge von Personen mit russischem Pass anerkannt, das sind 105.323 von insgesamt 112.737 Anträgen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion