Selenskyj: Ukrainische Atomwaffen aufzugeben war ein fataler Fehler

Drei Jahrzehnte nach dem Verzicht auf ihr Atomarsenal steht die Ukraine vor einer der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen ihrer Geschichte. Präsident Selenskyj verweist auf das damalige Abkommen und ist überzeugt, dass Nuklearwaffen einen Krieg verhindert hätten. Nun fordert er neue Sicherheitsgarantien – und setzt dabei besonders auf Donald Trump.
Der ukrainische Präsident Selenskyj kämpft auch mit Worten um sein Land. (Archivbild)
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.Foto: Efrem Lukatsky/AP/dpa
Von 29. Januar 2025

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Als die Sowjetunion vor mehr als 30 Jahren zusammenbrach, war die Ukraine auf einmal die drittgrößte Atommacht der Welt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagt nun, es sei ein fataler Fehler gewesen, dass das Land im Jahr 1994 seine Atomwaffen aufgegeben hat. Denn im Gegenzug für den Verzicht habe man einen Krieg erleiden müssen.

Selenskyj äußerte sich dazu in einem Interview mit der italienischen Zeitung „Il Foglio“ am Montag, 27. Januar, über das auch ukrainische Medien berichteten.

Der ukrainische Staatschef sprach auch darüber, wie enttäuscht er von früheren Friedensverhandlungen unter Beteiligung von Angela Merkel war und warum er überzeugt sei, dass Frieden mit Russland nur mithilfe der Vereinigten Staaten erreicht werden könne.

„Wir haben Atomwaffen für den Krieg getauscht“

Selenskyj sagte der Zeitung, er habe in seinem ersten Gespräch mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump auch das Budapester Memorandum von 1994 angesprochen, in dem die USA, Großbritannien und Russland den ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine, Belarus und Kasachstan Sicherheitsgarantien als Gegenleistung für die Beseitigung aller Nuklearwaffen auf ihrem Gebiet versprachen.

Dieses Zugeständnis sei „dumm und verantwortungslos“ gewesen, sagte Selenskyj – denn später sei alles anders gekommen: Als Russland im Jahr 2014 die Halbinsel Krim besetzte und Kämpfe in den damals ausgerufenen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine ausbrachen, habe Kiew die Garantiemächte zum Eingreifen aufgefordert, doch habe es keine Reaktion gegeben.

„Die Ukraine hat ihre Atomwaffen verschenkt“, so Selenskyj. Rückblickend wäre es aus seiner Sicht besser gewesen, hätte die Ukraine die Sicherheitsgarantien damals von der NATO als transatlantischer Militärallianz erhalten.

„Wenn ich also Atomwaffen eintauschen würde, würde ich sie gegen etwas sehr Starkes eintauschen, etwas, das wirklich jeden Angreifer aufhalten kann, trotz seiner Größe, seines Territoriums, seiner Armee und so weiter – und das ist eine starke Armee und der Sicherheitsblock NATO“, sagte der Präsident.

„Wir haben Atomwaffen für den Krieg getauscht“, habe er Trump erklärt. Dennoch sei Selenskyj überzeugt, dass der US-Präsident eine starke Position für die Ukraine sichern könne. „Wegen der Sanktionen, der Stärke der USA, der Wirtschaft – er kann das beschleunigen, er kann es meiner Meinung nach schneller tun als jeder andere in der Welt.“

Keine alternativen Garantien – nur NATO

In dem Gespräch mit Trump habe Selenskyj starke militärische Unterstützung und Sicherheitsgarantien für den Fall einer Waffenruhe gefordert. Nur so könne verhindert werden, dass Russland den im Jahr 2022 begonnenen Krieg zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufnehmen werde, sagte er der italienischen Zeitung.

Auf die Frage, ob er einer alternativen Garantie – außerhalb der NATO – vertrauen würde, wie zum Beispiel einem gemeinsamen Verteidigungspakt mit Großbritannien, Polen und den baltischen Staaten, antwortete er: „Wenn die Amerikaner nicht mitmachen, werden die Europäer auf keinen Fall die Verantwortung dafür übernehmen, die Russen zu stoppen.“

Er verwies dabei auf das Beispiel der UN-Friedensmission UNIFIL im Libanon, die es nicht geschafft hat, den Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah an der israelisch–libanesischen Grenze zu verhindern.

Selenskyj und sein „ungutes Gefühl“ beim Treffen mit Merkel und Putin

Seit 2014 wurde mehrmals über den ukrai­nisch–russischen Konflikt verhandelt. Schon damals ging es besonders um die Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine sowie um die Minderheitenrechte der russischen Bevölkerung.

Im sogenannten Normandie-Format trafen sich die Länderchefs aus Deutschland, Russland, Frankreich und der Ukraine mehrmals zu Gesprächen. Deutschland und Frankreich vermittelten zwischen den beiden Konfliktparteien.

Selenskyj erklärte der italienischen Zeitung, dass diese Friedensgespräche im Jahr 2019, in dem er gewählt wurde, gerade eingefroren wurden. Aber er war immer noch dafür, mit Russland zu verhandeln. Deshalb wurden die Verhandlungen im Dezember desselben Jahres in Paris zwar wieder aufgenommen, aber sobald er sich zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin setzte, habe er ein ungutes Gefühl gehabt.

Laut Selenskyj „schienen die deutsche Bundeskanzlerin und der russische Präsident mehr darauf bedacht zu sein, sicherzustellen, dass russisches Gas weiterhin durch die Ukraine in die Europäische Union fließt, als einen Gefangenenaustausch und ein Waffenstillstandsabkommen im Donbass zu erreichen“.

Dieser Waffenstillstand war in der Tat nur von kurzer Dauer. Laut Selenskyj war das Abkommen vor allem zum Vorteil für Russland und Europa. Es stellte sicher, dass Europa sein Gas bekam. „Und es hat der Ukraine nichts als einen andauernden Krieg beschert. Das war der zweite Fehler“, sagte er.

Eine andere Perspektive auf das Budapester Memorandum

Das von Selenskyj erwähnte Budapester Memorandum spielt im Kontext des Konflikts in der Ukraine eine Schlüsselrolle. Mutmaßliche Verstöße gegen das Memorandum werden jedoch nicht nur von der Ukraine, sondern auch von Russland regelmäßig angesprochen.

Nach dem Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen im Jahr 2022 sagte der damalige russische Vize-Regierungschef Andrei Beloussow laut der staatlichen Nachrichtenagentur „RIA Novosti“, dass die Vorwürfe gegen Russland unbegründet seien. Die „Rechtsgrundlage“ des Memorandums sei schon lange vor dem Jahr 2014 untergraben worden, sagte Belousov, der mittlerweile zum Verteidigungsminister ernannt wurde.

Russland wirft den westlichen Mächten unter anderem vor, im Jahr 2014 die ukrainische Souveränität verletzt zu haben, indem sie einen verfassungswidrigen Machtwechsel unterstützt hätten. Auch in der Tatsache, dass die NATO-Länder im Jahr 2008 der Ukraine eine Beitrittsperspektive gewährten, sieht Moskau eine Verletzung der Neutralität des Landes.

Die Besorgnis Russlands über eine mögliche Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO scheint auch Trump bewusst zu sein. Darauf hat er kürzlich ausdrücklich hingewiesen.

Es ist bisher nicht bekannt, wann und wo die von den USA geleiteten Verhandlungen zur Beilegung des Ukraine-Krieges stattfinden werden.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)



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