Russlands Schattenflotte: Wie sie funktioniert und warum sie schwer zu bekämpfen ist

Zur russischen Schattenflotte gehören Schiffe, die unter einer Vielzahl von Decknamen und im Hintergrund operieren. Sie sind auf internationalen Schifffahrtsrouten unterwegs und bereiten der westlichen Welt Sorgen, die weit über russisches Öl und Gas hinausgehen. Aber warum eigentlich?
Schattenflotte
Ein Schiff der finnischen Küstenwache (r.) überwacht den Öltanker Eagle S, der am 30. Dezember 2024 in der Nähe des Hafens Kilpilahti in Porvoo im Finnischen Meerbusen vor Anker liegt.Foto: Jussi Nukari/Lehtikuva/AFP via Getty Images

Russland baut seit mehreren Jahren seine sogenannte Schattenflotte aus. Dabei handelt es sich um eine Flotte von Schiffen, die im Hintergrund operieren und möglichst nicht auffallen wollen. Eine Reihe von Vorfällen brachte sie in den vergangenen Jahren dennoch immer wieder ins Rampenlicht.

Die Besorgnis über diese Entwicklung hat in den vergangenen Monaten noch zugenommen, nicht zuletzt weil mehrere Staaten sie mit Beschädigungen von Unterwasserinfrastruktur in Verbindung gebracht haben. Deutschland, Großbritannien und zehn weitere europäische Länder einigten sich im Dezember auf Maßnahmen zur „Störung und Abschreckung“ der russischen Schattenflotte. In einer gemeinsamen Erklärung verkündeten diese Länder:

Die Schattenflotte stellt ein Risiko für die Umwelt, die Sicherheit und Gefahrenabwehr im Seeverkehr, den internationalen Seehandel sowie das internationale Seerecht und die internationalen Seerechtsnormen dar. Sie dient auch dazu, unsere Sanktionen zu umgehen und ihre Auswirkungen abzuschwächen.“

Aber was genau ist die Schattenflotte? Warum benötigt Russland sie? Und kann sie gestört werden, ohne gegen das internationale Seerecht zu verstoßen?

Vier Arten von Flotten

Gegenüber Epoch Times wies Neil Roberts, Leiter der Abteilung Marine & Aviation der Lloyd’s Market Vereinigung, darauf hin, dass die Bezeichnung „Schattenflotte“ eine Art Fehlbezeichnung sei. Vielmehr gebe es vier Arten von Flotten, erklärte er:

  • Es gibt die vom Westen verwaltete A1-Flotte, die über alle erforderlichen Versicherungen und Kontrollen verfügt.
  • Dann gibt es eine parallele Flotte, die von China, Indien und den asiatischen Ländern betrieben wird und gut gewartet ist, sich aber nicht an den Sanktionen beteiligt.
  • Völlig illegal ist und operiert „die ‚graue Flotte‘, also Schiffe, die für den Schmuggel von Drogen und Waffen eingesetzt werden“.
  • Zuletzt gibt es jene Schiffe der „Schattenflotte“, die Russland erworben hat. „Einige davon sind von angemessener Qualität, aber andere Schiffe sind älter.“

Der Begriff „Schatten“ deutet darauf hin, dass sie geheim sind. Das stimmt jedoch nur bedingt. Roberts merkte an, dass sie offen operieren und internationale Schifffahrtswege nutzen, darunter auch den Suezkanal. Die Schiffe haben jedoch oft eine wechselvolle Geschichte, eine Vielzahl von Namensänderungen und mitunter verworrene Eignerverhältnisse, die sich hinter vielen Decknamen verstecken.

Diese Schattenflotte ist zudem schon lange vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 auf den Weltmeeren unterwegs gewesen. Doch der Konflikt und die wachsenden Spannungen mit der NATO haben sie in den Fokus gerückt.

Im selben Kontext ist die Flotte gewachsen. So berichtet „Schiff & Hafen“, die schrittweise Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen russische Öl- und Gasexporte soll ein Grund für das Wachstum sein. Wie groß die Flotte ist, kann indes niemand genau sagen. Roberts sprach von etwa 1.100 Schiffen, unter denen sich Öltanker, Containerschiffe und Frachtschiffe befinden.

Vorwürfe gegen Russlands Schattenflotte

Die Schattenflotte steht indes nicht nur im Verdacht, Sanktionen zu umgehen. Einige der Schiffe stehen auch im Verdacht, die Unterwasserinfrastruktur manipuliert zu haben. Andere wiederum werden als so alt oder schlecht gewartet befürchtet, dass sie die Meeresumwelt verschmutzen könnten.

In diesem Zusammenhang nennt „Schiff & Hafen“ unter Berufung auf den jährlichen Sicherheitsbericht des Industrieversicherers Allianz Commercial die Zahl von „600 bis 1.400 Tankschiffen“. Diese seien bis Mitte 2024 in mehr als 50 Zwischenfälle verwickelt. Dazu zählen Brände, Maschinenausfälle, Kollisionen, Kontrollverlust und Verschmutzung der Gewässer mit Öl.

Jünger ist der Vorfall, über den Mitte Dezember die staatliche Nachrichtenagentur „Tass“ berichtete. Demzufolge verursachte die Kollision zweier russischer Schiffe – Volgoneft 212 und Volgoneft 239 – einen „Ölunfall-Notfall“ im Schwarzen Meer. Beide Schiffe waren Berichten zufolge über 50 Jahre alt.

Am 26. Dezember wurde ein Schiff in russischem Besitz, die Eagle S, die unter der Flagge der Cookinseln fuhr, von der finnischen Grenzpolizei gestoppt. Es besteht der Verdacht, dass das Schiff das Unterseekabel Estlink 2 durchtrennt hatte, das Estland mit Strom versorgt. Am darauffolgenden Tag wurde die estnische Marine zum Schutz des Estlink-1-Kabels eingesetzt. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas bezeichnete den Vorfall mit der Eagle S als „den jüngsten in einer Reihe mutmaßlicher Angriffe auf kritische Infrastrukturen“.

Scholz will Infrastruktur in Ostsee schützen

Im vergangenen Monat kündigten Großbritannien, Dänemark, Schweden, Polen, Finnland und Estland an, dass sie damit beginnen würden, die Versicherungsunterlagen von Schiffen im Ärmelkanal, im Finnischen Meerbusen und im Kattegat – der Meerenge zwischen Dänemark und Schweden – zu überprüfen.

Angesichts der möglichen Bedrohung durch die russische Schattenflotte wolle sich Deutschland mit Schiffen am Schutz der Infrastruktur in der Ostsee beteiligen. Deswegen kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem Ostsee-Gipfel in Helsinki am 14. Januar an, dass Deutschland bereit sei, „mit seinen eigenen Möglichkeiten“ Verantwortung zu übernehmen.

„Selbstverständlich bedeutet das, dass wir auch mit deutschen Schiffen für die Sicherheit in der Ostsee Sorge tragen“, sagte Scholz. „Es hat eine ganze Reihe schwerwiegender Vorfälle in der Ostsee gegeben, die uns alle besorgen müssen.“

Die Angst vor einer Kollision

Der estnische Premierminister Kristen Michal sagte im Zusammenhang verschärfter Kontrollen: „Wenn die Schiffe nicht kooperieren, werden die nächsten Schritte eingeleitet. Sie werden auf eine Verbotsliste gesetzt oder in bestimmten Gebieten geentert.“

Laut Roberts werfe diese Maßnahme die Frage der Legalität auf. Während des Zweiten Weltkriegs gingen alliierte Kräfte häufig an Bord deutscher, japanischer und italienischer Handelsschiffe, übernahmen sie oder versenkten sie. Da sich hier jedoch nur Russland und die Ukraine im Krieg befinden, gibt es keinen „erklärten Konflikt“, der ein solches Vorgehen durch Dritte erlauben würde.

Roberts verwies auch auf einen Vertrag, der auf der Website der CIA veröffentlicht wurde und der verhindert, dass Schiffe auf dem Weg nach oder von Russland abgefangen werden.

Zudem besagt der Kopenhagener Vertrag von 1857, dass kein Schiff auf seiner Fahrt durch die Meerenge zwischen Dänemark und Schweden aufgehalten werden darf. Diese Klausel wurde während des Kalten Krieges, als sowjetische U-Boote und Schlachtschiffe auf ihrem Weg auf offene See die Meerenge durchquerten, gewissenhaft eingehalten.

Internationale Verträge seien laut Roberts indes nicht die größte Sorge der westlichen Schifffahrtsindustrie. „Die Frage, die sich alle stellen, lautet: ‚Was passiert, wenn ein versichertes Schiff mit einem sanktionierten Schiff kollidiert?‘“

Zwar benötigten Schiffe der Schattenflotte eine höhere Versicherungsklasse, um einen westlichen Hafen anlaufen zu können, für die Fahrt auf hoher See benötigen sie jedoch nur eine Schutz- und Haftpflichtversicherung, die sogenannte P&I.

Schattenflotte zur „Finanzierung eines illegalen Krieges“

Im vergangenen Monat berichtete Lloyd’s List, dass die Europäische Union 52 weitere Schiffe sanktioniert habe, womit sich die Gesamtzahl der unter Sanktionen stehenden Schiffe auf 79 erhöht. Darunter befand sich auch der Flüssiggastanker (LNG) Pioneer, der unter der Flagge des winzigen Pazifikstaates Palau fährt und auch von den Vereinigten Staaten sanktioniert wird.

Ein weiteres Schiff, das ebenfalls Pioneer hieß, aber jetzt unter dem Namen Hero II bekannt ist, ist ein Öltanker. Dieser wurde vom US-amerikanischen Office of Foreign Assets Control (OFAC) wegen seiner Verbindungen zum Iran mit Sanktionen belegt.

Die Feng Shou ist ein Rohöltanker, der unter der Flagge Panamas fährt und sich derzeit im russischen Fernen Osten befindet. Das Schiff, das früher unter dem Namen Andromeda Star bekannt war, hatte im Juni 2024 ebenfalls Sanktionen der Europäischen Union erhalten. Auf der Website „Open Sanctions“, die teilweise von der deutschen Regierung finanziert wird, heißt es: „Im März 2024 verunfallte das Schiff auf dem Weg zur Verladung von russischem Öl im [Ostsee-]Hafen von Primorsk in der Nähe von Dänemark.“

In ihrer Erklärung vom 6. Januar gab die britische Regierung bekannt, dass sie inzwischen mehr als 100 russische Schiffe sanktioniert habe. Darunter befinden sich 93 Öltanker, die „Putin dazu benutzt, die Auswirkungen der Sanktionen abzuschwächen und seinen illegalen Krieg in der Ukraine zu finanzieren“. Nach Angaben Großbritanniens beförderten sie 2024 jeweils mehr als 4 Millionen Barrel russisches Öl.

KI gegen Schattenflotte

Am selben Tag bestätigte der britische Verteidigungsminister John Healey, dass Großbritannien eine zehnköpfige Joint Expeditionary Force (JEF) anführen werde. Diese soll potenzielle Bedrohungen für die Unterwasserinfrastruktur aufspüren und die Schattenflotte Russlands überwachen. Das britische Verteidigungsministerium (MOD) teilte mit, dass das neue System namens Nordic Warden in der Woche des Jahreswechsels aktiviert wurde.

Das MOD gab an, dass Nordic Warden „KI nutzt, um Daten aus einer Reihe von Quellen auszuwerten, darunter das Automatic Identification System, mit dem Schiffe ihre Position senden, um das Risiko zu berechnen, das von jedem Schiff ausgeht, das in Gebiete von Interesse einfährt“.

In der Erklärung hieß es weiter: „Bestimmte Schiffe, die als Teil der russischen Schattenflotte identifiziert wurden, wurden in das System aufgenommen, damit sie bei Annäherung an wichtige Gebiete von Interesse genau überwacht werden können.“ Das Verteidigungsministerium fügte hinzu: „Wenn ein potenzielles Risiko bewertet wird, überwacht das System das verdächtige Schiff in Echtzeit und sendet sofort eine Warnung, die an die Teilnehmerstaaten der JEF sowie an die NATO-Verbündeten weitergeleitet wird.“

Es hieß, dass die Einsatzzentrale der JEF in Northwood, am Stadtrand von London, derzeit 22 Gebiete von Interesse überwacht, darunter den Ärmelkanal, die Nordsee, die Ostsee und das Kattegat. Roberts sagte: „Es gibt viele Täuschungsmanöver, bei denen man vorgibt, an einem Ort zu sein, und sich in Wirklichkeit woanders aufhält. Und das passiert häufig im östlichen Mittelmeer und im Schwarzen Meer.“

Gewässer ist nicht gleich Gewässer

Ähnlich den deutschen Gesetzen, die die Angelegenheiten in der Bundesrepublik regeln, gibt es ein Rechtssystem für die Weltmeere und Ozeane, das sogenannte Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Es wurde 1982 verabschiedet und trat 1994 in Kraft.

Russland ist einer von 170 Unterzeichnern dieses Seerechtsübereinkommens. Die Vereinigten Staaten haben das Übereinkommen indes nie unterzeichnet oder ratifiziert, obwohl mehrere Präsidenten, darunter zuletzt Präsident George W. Bush im Jahr 2007, den Senat dazu aufgefordert haben.

Das Seerechtsübereinkommen legt unter anderem die verschiedenen Abstufungen von Wassergrenzen klar fest, von Binnengewässern hin zu Ozeanen. Auf hoher See können Schiffe fahren, wie sie wollen. Das gilt im Regelfall auch für die Passage fremder Hoheitsgewässer und manifestiert sich im sogenannten „Recht auf friedliche Durchfahrt“. Es gibt aber auch Einschränkungen, sowohl für Schiffe als auch für die jeweiligen Anrainerstaaten.

Wie Roberts erklärte, gibt es kein „Recht auf friedliche Durchfahrt“ für ausländische Schiffe auf Seen, Kanälen, Flüssen oder Häfen eines Landes. Wer diese Gewässer befahren möchte, benötigt eine Genehmigung zum Einlaufen.

Vor der Küste gibt es die Hoheitsgewässer. Sie reichen bis zu 12 Seemeilen (rund 22 Kilometer) ins offene Meer. Hier üben Staaten ebenfalls die volle Souveränität aus. Daran schließen sich weitere 12 Seemeilen an, in denen Staaten die Möglichkeit haben, einzugreifen, „wenn es in ihren Hoheitsgewässern zu einem Verstoß gekommen ist“, so Roberts.

„Darüber hinaus befindet sich die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ), in der ein Land Meeresressourcen nutzen und ausbeuten kann“, sagte er und bezog sich dabei auf das Gebiet bis zu 200 Seemeilen vor der Küste eines Landes. In der Ostsee und anderen Gewässern reichen die AWZ weniger weit, um die Interessen aller Küstenstaaten zu berücksichtigen.

„Dann gibt es noch den Festlandssockel. Nicht jeder hat einen, aber der reicht bis zu 350 Seemeilen, und darüber hinaus befindet sich die hohe See“, fügte Roberts hinzu.

Alles außerhalb der 12-Seemeilen-Zone ist kompliziert

Außerhalb der 12-Seemeilen-Zone besitze man laut Roberts keine volle Macht. „Wenn man ohne triftigen Grund in Gewässern, die als internationale Gewässer gelten, Schiffe entern würde, wäre das für das Land der Schiffe, die man entern würde, feindselig.“

Er sagte, dass die Schiffe der Schattenflotte nicht alle unter derselben Flagge fahren. „Sie fahren unter verschiedenen Flaggen, sodass die Zahl der Staaten, die sie wahrscheinlich verärgern, recht hoch ist, es sei denn, sie haben mit ihnen verhandelt oder können nachweisen, dass sie einen triftigen Grund haben“, so Roberts.

Roberts erklärte, dass die zehn Länder, die versuchen, die russische Schattenflotte zu „stören und abzuschrecken“, nachweisen müssen, dass die Schiffe nicht in „friedlicher Durchfahrt“ unterwegs sind. „Das ist ziemlich schwierig“, meinte er.

Es besteht auch die Gefahr, dass Russland Vergeltung üben könnte, indem es westliche Schiffe in Gebieten wie dem Schwarzen Meer oder dem Weißen Meer nördlich von Murmansk aufbringt.

Roberts: Sanktionen wären nutzlos

Roberts bezweifle, dass Sanktionen gegen Russland wirksam sein können, insbesondere angesichts der Handelsbeziehungen Moskaus zu China. „Der Westen möchte der Ukraine seine Unterstützung zeigen […] und hat sich dafür entschieden, Sanktionen als Mittel einzusetzen, um diese Unterstützung zu zeigen. Und ich denke, es wurde erwartet, dass sie wirksamer sein würden, als sie es waren“, sagte er.

Roberts schilderte, dass die Idee von Präsident Woodrow Wilson aus dem Jahr 1919, Wirtschaftssanktionen einzusetzen, auf der Prämisse beruhte, dass „sie schrecklicher sein sollten als ein Krieg“. Weiter sagte er: „Wenn man nicht nur ein sehr kleines Gebiet ins Visier nimmt, benötigt man internationale Unterstützung. Und hier liegt die Schwäche: Sie haben nicht alle auf ihrer Seite.“

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Russia’s Shadow Shipping Fleet: How It Works and Why It Is Hard to Tackle“. (deutsche Bearbeitung mf, ts)



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