„Frauen und Kinder für psychologische Kriegsführung instrumentalisiert“

Tausende Migranten versuchen seit Wochen, über die Grenze zwischen Weißrussland und Polen zu kommen. Nun haben sie an zwei Stellen die Grenze durchbrochen.
Von 10. November 2021

Nach Angaben des polnischen Rundfunks „Białystok“ sind in der Nacht am Dienstag (9. November) zwei Gruppen Migranten aus Weißrussland nach Polen gelangt. Sie sollen in der Nähe von Krynki und Białowieża Zäune durchbrochen und niedergerissen haben.

Die Migranten waren im Besitz verschiedener Arten von Ausrüstung und Werkzeugen, bestätigen die Behörden. Der Grenzschutz konnte einige der illegalen Einwanderer an die Grenzlinie zurückbringen, während nach anderen gesucht wird.

Eine Sprecherin des Grenzschutzes in Podlasie, Bürgermeisterin Katarzyna Zdanowicz, sagte, dass die Zäune gewaltsam aufgebrochen worden seien.

Im Migrantenlager in der Nähe von Kuźnica ist die Lage jedoch ruhiger, melden polnische Medien. Auf der belarussischen Seite befinden sich jedoch weiterhin mehrere Hundert Personen.

Nach Angaben polnischer Beamter haben die Einwanderer am Dienstag Lebensmittel von Weißrussen erhalten. Sie haben Zelte und Schlafsäcke und abends machen sie Lagerfeuer, um sich zu wärmen. Sie werden stets von belarussischen Diensten bewacht.

Migranten erhalten Anweisungen

Vorwürfe werden immer lauter, die Regierung von Alexander Lukaschenko schleuse die Migranten mit Absicht über die Grenze, um Polen und die EU unter Druck zu setzen.

Die Migranten erhielten sogar Anweisungen, sagt Stanislaw Żaryn, polnischer Geheimdienstkoordinator und Direktor des Ministeriums für nationale Sicherheit. „Nehmt die Kinder, knuddelt sie, seht schmutzig und müde aus“, sollen die belarussichen Behörden den Migranten gesagt haben, schreibt Żaryn auf Twitter und fügt Bilder bei, wo man die Anweisungen sehen kann.

Laut dem Geheimdienstkoordinator sei die jetzige Lage ein Krieg der Informationen. Mit Bildern von weinenden Kindern und Frauen wolle Weißrussland Polen dazu zwingen, der Migrationsroute zuzustimmen. „Es ist wie ein psychologischer Krieg, wo hauptsächlich Kinder und Frauen eingesetzt werden“, sagt er.

Kinder werden auch für Propagandazwecke missbraucht. Sie müssten sich in Videos äußern, wie schlecht es ihnen gehe. „So spielen die belarussischen Dienste mit unseren Gefühlen“, kommentiert Żaryn.

Sturm kann jederzeit passieren

Den Informationen des Geheimdienstkoordinators nach wurden die Migranten in Gruppen aufgeteilt. Sie schlagen ihr Nachtlager auf und „diese Gruppe wird – wie wir annehmen – durch neue Personen ergänzt, die aus Minsk an unsere Grenze kommen“, sagt Żaryn.

Er geht davon aus, dass Lukaschenko weiterhin Menschenmassen an der Grenze zur EU versammeln lassen wird, um die Situation an der Grenze zu destabilisieren.

Die Dienststellen in Polen weisen darauf hin, dass jederzeit ein Versuch unternommen werden kann, die Grenzsperren zu stürmen. Diese sind schon jetzt zum großen Teil stark beschädigt worden – teilweise durch gefällte Bäume, melden polnische Behörden. 

In den letzten Tagen wurden 309 Versuche registriert, die Grenze von Weißrussland nach Polen illegal zu überschreiten. 

Auf die Frage, wie viele Einwanderer es in Weißrussland geben könnte, sagte Żaryn, dass die polnischen Dienste von 12 bis 15 Tausend Menschen ausgehen. „Sie wurden von Lukaschenko in den letzten Monaten nach Belarus gelockt“, sagte er.

Russland mischt sich ein

Hinzu kommt, dass der russische Präsident Wladimir Putin aus der Situation politisches Kapital schlagen wolle, so Żaryn. Er werde Zugeständnisse und Gegenleistungen für die „Beruhigung der Lage“ verlangen.

Am Dienstag (9. November) verglich der russische Außenminister Sergej Lawrow die Situation mit der Flüchtlingswelle aus der Türkei. Die EU unterstütze die in der Türkei verbliebenen Flüchtlinge finanziell, sagte Lawrow und argumentierte, dass die EU dasselbe in Belarus tun könnte.

„Warum hilft man nicht auch den Weißrussen, die bestimmte Bedürfnisse haben, damit die Flüchtlinge, die Litauen und Polen nicht aufnehmen wollen, unter normalen Bedingungen leben können“, sagte Lawrow auf einer Pressekonferenz.

Die Migranten wollen „weder in Weißrussland noch in der Türkei“ bleiben, sondern in die EU-Länder gelangen, fügte er hinzu.

Die EU habe jahrelang „ihren Lebensstil propagiert und beworben“ und müsse als solche „für ihr Verhalten verantwortlich sein“.

32 Tausend Grenzübertritte

Seit Jahresbeginn habe der Grenzschutz in Polen insgesamt etwa 32 Tausend Versuche registriert, die polnisch-weißrussische Grenze illegal zu überschreiten, so der Grenzschutz.

Polen hat seine Sicherheitskräfte entlang der Grenze zudem aufgestockt. Die Migranten reißen Stacheldrahtzäune nieder, um rüberzukommen, berichten polnische Medien. Beamte bilden jedoch Schutzwälle, um sie daran zu hindern, ins Land zu stürmen. 

Bis Mitte nächsten Jahres wird entlang eines Abschnitts der Grenze zu Belarus ein Stahlzaun mit Stacheldraht errichtet, der dann mit elektronischen Geräten ausgestattet wird. 

Der 180 Kilometer lange Damm an der Grenze zu Weißrussland wird in der Region Podlasie gebaut. Im Gebiet von Lublin ist die natürliche Barriere der Fluss Bug. Die Gesamthöhe des Damms wird 5,5 Meter betragen. Entlang der Grenze werden Bewegungsmelder sowie Tag- und Nachtkameras installiert.



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