Pakistan plant Abschiebung von 1,7 Millionen Afghanen – Deutschland will 3.000 aufnehmen

Pakistan will 1,7 Millionen undokumentierte Flüchtlinge abschieben. Die meisten davon sind Afghanen. Deutschland will 3.000 potenziell Betroffene aufnehmen. Die drittgrößte Flüchtlingspopulation aus Afghanistan weltweit befindet sich mittlerweile in Deutschland.
Afghanische Einwanderer warten vor dem afghanischen Konsulat im pakistanischen Quetta, um Reisedokumente für die Rückkehr in ihr Heimatland zu erhalten.
Afghanische Einwanderer warten auf ihre Reisedokumente für die Rückkehr in ihr Heimatland.Foto: Arshad Butt/AP/dpa
Von 27. November 2023

Seit 1. November setzt die Regierung in Pakistan ihr angekündigtes Programm zur Abschiebung von etwa 1,7 Millionen nicht dokumentierten Asylsuchenden um. Der Großteil der Betroffenen stammt aus Afghanistan. Wohin die dadurch zu erwartende neuerliche Fluchtbewegung verlaufen wird, ist noch unklar. Deutschland will jedoch 3.000 potenziell Betroffene mithilfe von Aufnahmezusagen gegenüber den pakistanischen Stellen schützen.

Innenministerium von Pakistan: Mindestens 1,7 Millionen Undokumentierte aus Afghanistan

Anfang Oktober hatte die Regierung in Islamabad alle ohne gültige Papiere im Land befindlichen Ausländer aufgefordert, bis Ende des Monats das Land zu verlassen. Personen, die dieser Aufforderung nicht nachkommen, droht Interimspremier Anwaar-ul-Haq Kakar die Abschiebung an.

Innenminister Sarfaraz Bugti schätzte „Voice of America“ (VOA) zufolge die Zahl der nicht dokumentierten Ausländer in Pakistan auf mindestens 1,7 Millionen. Bei den meisten von ihnen handelt es sich um Afghanen. Staatsangehörige des Nachbarlandes dürfen seit Anfang November das Land nur noch mit gültigem Reisepass und Visum betreten.

Nicht betroffen seien 1,4 Millionen offiziell anerkannte afghanische Flüchtlinge und etwa 850.000 afghanische Inhaber der „Bürgerkarte“, die einen legalen Aufenthaltsstatus dokumentiert.

Dieses „Dokumentenprinzip“ wird eine seit Jahrzehnten geltende Sonderregelung im Grenzverkehr zwischen Pakistan und Afghanistan ablösen. Bis dahin galt ein erleichterter Grenzübertritt für Angehörige von Bevölkerungsgruppen mit gemeinsamen Siedlungsgebieten entlang der 2.600 Kilometer langen Grenze.

Afghanische Staatsangehörige in mehrere Terrorakte involviert

Hintergrund des Vorgehens ist eine wachsende Anzahl an Terroranschlägen, die das Land erschüttern. Minister Bugti erklärte dazu:

„Seit Januar haben wir 24 Selbstmord-Bombenattentate zu verzeichnen, 14 davon wurden von afghanischen Staatsangehörigen ausgeführt.“

Auch acht von elf Terroristen, die jüngst pakistanische Militäreinrichtungen im Südwesten von Belutschistan angegriffen hatten, seien Afghanen gewesen. Über deren aufenthaltsrechtlichen Status in Pakistan äußerte er jedoch nichts Näheres.

Die Regierung in Islamabad macht die pakistanischen Taliban für die Terrorakte verantwortlich. Viele ihrer Angehörigen seien seit der Machtübernahme der radikalen Milizen in Kabul im August 2021 ins Nachbarland übersiedelt. Außerdem gebe es immer mehr grenzüberschreitende Anschläge.

Taliban-Gruppen auch in Pakistan aktiv

Die afghanischen Taliban weisen eine Verantwortung für die Terrorakte von sich. Ein Edikt ihres Obersten Führers Hibatullah Akhunddza verbiete feindselige Akte in anderen Ländern. Die Führung in Kabul kündigte zudem im September 2022 „konkrete Schritte“ an, um gegen Pakistan gerichtete Terrorplanungen im eigenen Land zu „neutralisieren“.

Unklar ist, ob es sich bei den Verantwortlichen für die Anschläge um die Taliban handelt, die das Edikt missachten, oder ob andere Gruppierungen involviert sind. So hatte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) der neuen De-facto-Regierung in Kabul unmittelbar nach deren Einnahme der Hauptstadt den Krieg erklärt. Es ist denkbar, dass der IS auch in Pakistan destabilisierenden Aktivitäten nachgeht.

Zahl der afghanischen Geflüchteten im Iran stark gestiegen

Wohin sich die aus Afghanistan ausgewiesenen afghanischen Staatsangehörigen begeben werden, ist unklar. Ein großer Teil wird voraussichtlich in nicht umkämpfte Gebiete des Herkunftslandes zurückkehren. Derzeit schätzt das Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Zahl der Binnenflüchtlinge in dem Land am Hindukusch auf 3,25 Millionen.

Im Iran leben mittlerweile 3,4 Millionen afghanische Schutzsuchende – während es 2021 noch eine sechsstellige Anzahl war. Hinter Syrien und der Ukraine gilt Afghanistan derzeit als das Land mit der drittgrößten geflüchteten Bevölkerung.

Deutschland will einem Bericht der „Zeit“ zufolge etwa 3.000 potenziell Betroffene vor der Ausweisung aus Pakistan bewahren. Zu diesem Zweck will man den Behörden in Islamabad eine Liste mit Namen von afghanischen Staatsangehörigen übermitteln, die sich in Pakistan aufhalten und in Deutschland Aufnahme finden sollen. Dies teilte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Clara Bünger mit.

Drittgrößte Flüchtlingspopulation aus Afghanistan weltweit in Deutschland

Diese Personen will Deutschland mittels einer Aufnahmezusage vor einer Abschiebung schützen. Akut Gefährdete könnten darüber hinaus durch individuelle Unterstützungsschreiben ihre Aufenthaltsgenehmigung nachweisen.

Insgesamt besitzen derzeit 11.500 afghanische Staatsangehörige eine Aufnahmezusage für Deutschland. Neben den 3.000 in Afghanistan aufhältigen Betroffenen halten sich 300 im Iran und 8.000 in Afghanistan selbst auf. Bei den meisten handelt es sich um sogenannte Ortskräfte, die in exponierter Position vor deren Abzug mit der NATO zusammengearbeitet hatten. Seit Juni hat Deutschland 573 Personen aus dieser Gruppe aufgenommen.

Ferner lebten Ende 2022 etwa 420.000 Menschen mit Einwanderungsgeschichte aus Afghanistan in Deutschland. Das ist die drittgrößte afghanische Flüchtlingspopulation hinter Pakistan und dem Iran. Ein großer Teil davon ist im Laufe der vergangenen Jahre nach Deutschland gekommen.

Die Integration in den Arbeitsmarkt bleibt in dieser Gruppe von Schutzsuchenden etwas hinter dem Durchschnitt aller Geflüchteten zurück. Derzeit sind es dem „Mediendienst Integration“ zufolge 37 Prozent der afghanischen Flüchtlinge, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Die Tendenz ist dabei steigend. Der größte Anteil der afghanischen Flüchtlinge ist arbeitssuchend – und besucht in diesem Kontext Sprach- oder Integrationskurse.

 

 



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