Orbáns Pressekonferenz in Straßburg startete mit einer Skandalszene

Journalisten haben den ungarischen Premierminister am Dienstagnachmittag in Straßburg stundenlang befragt. Ein ungarischer Oppositionspolitiker brüllte ihn sogar an. Die Sicherheitskräfte blieben standhaft. Dies geschah nur einen Tag, bevor Viktor Orbán das Programm der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft im Europäischen Parlament vorstellen wird.
Titelbild
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán am 8. Oktober 2024 bei einer Pressekonferenz im Europäischen Parlament in Straßburg, Frankreich.Foto: Frederick Florin/AFP via Getty Images
Von 8. Oktober 2024

Ministerpräsident Viktor Orbán hielt am Dienstagnachmittag eine fast zweistündige Pressekonferenz im Gebäude des Europäischen Parlaments in Straßburg ab. Während des Briefings stellte Orbán der Presse das Programm der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft vor, nur einen Tag, bevor er im Parlament auch über die Prioritäten seines Landes sprechen wird.

Schon bevor die ersten fünf Minuten vorbei waren, kam es zu einem Eklat im Saal, als ein ungarischer Oppositionspolitiker zu schreien begann. „Für wie viel haben Sie Ihr Land verraten, Herr Ministerpräsident?“, rief er. Der Mann wurde von Sicherheitskräften zu Boden gebracht und aus dem Saal geführt. Dabei rief er auch, dass Orbán sein Land an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den chinesischen Staatschef Xi Jinping verkauft habe.

Orbán reagierte gelassen und merkte an, dass ein ungarischer Ministerpräsident an solche Äußerungen gewöhnt sein sollte. Er sagte, dass „Ungarisch eine direkte Sprache ist. Wenn also ein ungarischer Politiker sagt, dass ein anderer ein Schurke ist, dann sagt er damit, dass er anderer Meinung ist als er“. Leidenschaftliche Äußerungen seien Teil der ungarischen politischen Kultur.

Sicherheitskräfte fangen einen Mann ab, der die Pressekonferenz stört. Foto: Frederick Florin/AFP via Getty Images

Die Lage der Europäischen Union

Vor 13 Jahren hatte Ungarn zum letzten Mal den rotierenden Vorsitz der Europäischen Union inne. Orbán sagte, dass die Situation der EU heute „viel schlimmer“ sei, obwohl wir uns auch damals in einer Zeit der Krise befunden hätten. Er verwies unter anderem auf die Auswirkungen der damaligen Weltwirtschaftskrise.

Neben dem Krieg in der Ukraine gebe es heute auch Konflikte im Nahen Osten, und die Migrationskrise sei ernster als jemals zuvor seit dem Jahr 2015, so Orbán.

Der Regierungschef betonte, dass diese Herausforderungen mit einer Umgestaltung der EU beantwortet werden müsste.

Nach Ansicht der ungarischen Regierung sind die wichtigsten Säulen dieses Prozesses die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit, eine Migrationsreform, eine Entwicklung der gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der EU, eine Reform der Agrarpolitik und eine Erweiterung der EU auf den Balkan.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (Mitte) gibt am Rande einer Plenarsitzung im Europäischen Parlament in Straßburg, Frankreich, am 8. Oktober 2024 eine Pressekonferenz. Foto: Frederick Florin/AFP via Getty Images

Externer Hotspot: Das Zauberwort der Migrationsdebatte

„Ich stecke bis zur Brust im Blutbad der Migrationsdebatte. Wir haben einen Zaun errichtet und die Zuwanderung gestoppt“, sagte Orbán.

Das Zauberwort heiße „externer Hotspot“. Solange sich die EU nicht darauf einigen könne, dass Einreisewillige ihre Fälle außerhalb der EU bearbeiten lassen, „werden wir keine Fortschritte machen“, so Orbán.

Der Premier betonte, dass das Asylsystem der EU nicht funktioniere und das Ergebnis ein Anstieg von Antisemitismus, Gewalt gegen Frauen und Homophobie sei.

„Wir benötigen eine große Entscheidung. Der ungarische Vorschlag ist, ein System von Schengen-Gipfeln einzuführen, die sich regelmäßig treffen und die Schengen-Grenzen auf EU-Ebene gemeinsam verwalten“, schlug er vor.

Schließlich reagierte Orbán auf Gerüchte, dass die ungarische Regierung vorhabe, ein Flüchtlingslager in dem ungarischen Dorf Vitnyéd in Grenznähe zu Österreich zu errichten.

Es werde dort kein Flüchtlingslager geben, aber bis auf Weiteres auch nirgendwo anders, sagte Orbán. Der Migrationspakt siehe die Schaffung von 8.000 Plätzen für Migranten vor. „So viele werden nur von uns und den Italienern verlangt. Wir wollen keine Migrantenlager schaffen. Alle Ungarn können beruhigt sein“, versicherte er.

Gesprächsbereitschaft in Kriegszeiten gelte als „Verbrechen“

Orbán sprach den Ukraine-Krieg an. Er kritisierte, dass Gespräche mit den Konfliktparteien in der EU mittlerweile als „Verbrechen“ angesehen wird.

Das letzte Mal, dass es kein Dialog in Kriegszeiten gab, sei unter Hitler gewesen. Er fügte hinzu, dass das Ziel seiner Friedensmission am Anfang der Ratspräsidentschaft im Juli, welche von vielen kritisiert wurde, darin bestand, Kommunikation zwischen den Großmächten zu fördern. Diese wollten nämlich keinen Waffenstillstand, weil sie beide dachten, dass die Zeit für sie arbeitet.

Orbán merkte auch an, dass er darauf vertraue, dass Donald Trump – falls er gewählt werde – nicht bis zu seiner Amtseinführung warten wird, um sich mit der Krise in der Ukraine zu befassen.

In der Zwischenzeit sollte die Entscheidung, ob die Ukraine Geld für die Fortsetzung des Krieges erhalten soll, jedoch bei den nationalen Regierungen liegen, nicht bei der EU, so Orbán.

Er stimme nicht, dass er Putin seine Unterstützung gebe. Was ihre Beziehung angeht, sagte er, dass Wladimir Putin Russlands Präsident und er Ungarns Ministerpräsident sei. „Das ist die Beziehung zwischen uns“, fügte er hinzu.

Ein Kurswechsel in der EU

Es gebe eine europäische Elite, die sich laut Orbán aus Linken, Liberalen und Mitte-Rechts zusammensetzt und sich selbst als Mainstream bezeichnet. Aber nach Meinung des Premierministers seien die Menschen zunehmend unzufrieden mit dieser Elite.

Die Menschen seien mit der Migrations- und Wirtschaftspolitik nicht einverstanden. Deswegen entstünden neue Parteien, die immer mehr Gewicht bekommen. „Wenn sich die Elite nicht ändert, wird sie in der Minderheit sein. Wir und die Europäische Konservativen und Reformer haben das erkannt“, sagte er.

Das Ungleichgewicht der EU sei nach Ansicht Orbáns vorwiegend auf den Brexit zurückzuführen. Nach dem Austritt Großbritanniens habe die Situation zu immer mehr Konfrontationen geführt. Diejenigen, die eine zentralisierte EU wollten, wurden die Mehrheit. Laut Orbán „umgingen sie das Recht oder entzogen es und übergaben es der Brüsseler Blase“.

Orbán sagte auch, dass er Brüssel dazu aufrufe, die Fraktion der Patrioten für Europa nicht auszuschließen. Der drittstärksten Fraktion im Parlament gehören die ungarische Fidesz, die österreichische FPÖ, die italienische Lega Nord und der französische Rassemblement National an. „Wir müssen gemeinsam große Veränderungen erreichen.“

In den EU-Mitgliedsstaaten werden zudem starke Führungspersönlichkeiten gebraucht, um Veränderungen herbeizuführen, sagte Orbán. „Habt keine Angst vor starken Führungspersönlichkeiten, sie werden auch scheitern, ich bin auch schon mal gescheitert. Die Blasen-Kultur der Bürokraten – das ist die falsche Einstellung, wir benötigen starke Führer“, sagte er.

„Wie fühlen Sie sich in der EU, Herr Orbán? Isoliert?“

Während der fast-zweistündigen Pressekonferenz wurde Orbán auch gefragt, ob er sich wegen seiner Politik in der EU isoliert fühle.

In der EU isoliert zu sein, sei nicht möglich, so Orbán. „Das ist nur in linken Träumen möglich“, sagte er. „Ich denke, unsere Haltung gegenüber der EU ist freundlich. […] Europa ist nicht in Brüssel oder Straßburg, sondern in Rom, Wien, Budapest. Deutsche, Österreicher, Ungarn. Wir müssen sie alle vertreten“, so Orbán.

Während der EU-Präsidentschaft Ungarns, die bis Ende Dezember andauert, werde Orbán die Aufgabe als politische Präsidentschaft betrachten. „Ich werde ihr einen politischen Inhalt geben“, sagte er. Im Rahmen der Rechtsvorschriften natürlich. So beabsichtigt er etwa Rumänien und Bulgarien zu helfen, dem Schengen-Raum beizutreten.

Da er vor 13 Jahren schon einmal erfolgreich eine EU-Ratspräsidentschaft Ungarns geleitet hatte, möchte er auch dieses Mal sagen, dass man ihm wieder vertrauen könne.

Orbán wurde auch zu kritischen Themen im Zusammenhang mit der angeblichen Bereicherung seiner Familie befragt. Auf die Frage nach einem Kredit, den eine ungarische Bank, an der ein Freund Orbáns beteiligt ist, der spanischen VOX-Partei gewährt hatte, erklärte er, es habe sich um eine legitime Geschäftsentscheidung eines unabhängigen Finanzinstituts gehandelt.

Auch in Bezug auf die Gewinne seines Vaters als Subunternehmer beim Bau der Eisenbahnlinie Belgrad-Budapest blieb Orbán vage. Er sagte, die Bahn sei zwar ein staatliches Projekt, aber das zuständige Unternehmen entscheide unabhängig, welche Subunternehmer es beauftrage.



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