Österreich: 66 Prozent unzufrieden – Van der Bellen trotzdem wiedergewählt

Mit mehr als 56 Prozent hat Bundespräsident Van der Bellen in Österreich im ersten Anlauf seine Wiederwahl geschafft. Stabilität war dabei das Hauptmotiv.
Alexander van der Bellen. ist neuer und alter Bundespräsident in Österreich steht bevor.
Alexander van der Bellen.Foto: Michael Gruber/Getty Images
Von 10. Oktober 2022

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Bereits im ersten Wahlgang schaffte Amtsinhaber Alexander Van der Bellen am Sonntag (9.10.) mit 56,2 Prozent der Stimmen die Wiederwahl als Bundespräsident in Österreich. Dies geht aus der letzten Hochrechnung des ORF mit Wahlkartenprognose hervor. Die Wahlkarten werden erst am heutigen Montag ausgezählt.

Van der Bellen deutlich hinter Ergebnissen von Kirchschläger und Fischer

Damit setzt der Amtsinhaber die Serie fort, wonach die Wähler in der Zweiten Republik noch keinem amtierenden Bundespräsidenten eine zweite Amtszeit verweigert haben. Mit seinem Ergebnis bleibt er deutlich hinter den knapp 80 Prozent zurück, die Rudolf Kirchschläger 1980 und Heinz Fischer 2010 auf sich vereinigen konnten. Allerdings erzielte er ein höheres Wiederwahlergebnis als die Präsidenten Adolf Schärf (55,4 Prozent) und Franz Jonas (52,8 Prozent) in den Jahren 1963 und 1971.

Mit deutlichem Abstand auf Platz zwei landete FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz, der mit 17,9 Prozent der Stimmen rechnen kann. Das knappe Rennen um Platz drei wird der Musiker Dominik Wlazny („Marco Pogo“) voraussichtlich mit 8,4 Prozent für sich entscheiden. Der frühere „Krone“-Kolumnist Tassilo Wallentin kommt auf 8,3 Prozent. Publizist Gerald Grosz kann voraussichtlich 5,5 Prozent auf sich vereinen. Der Kandidat der Impfkritiker-Partei MFG, Michael Brunner, liegt bei 2,1 Prozent. Auf 1,5 Prozent kommt der Unternehmer Heinrich Staudinger.

Zur Wahl Van der Bellens hatten neben den Grünen auch SPÖ und NEOS aufgerufen. In der ÖVP sprachen sich einige Landeshauptleute und Spitzenpolitiker für dessen Wiederwahl aus.

Wien und Vorarlberg bleiben Hochburgen des Amtsinhabers

Der Amtsinhaber, dessen grüne Parteimitgliedschaft seit seiner Vereidigung ruhend gestellt ist, hat in allen politischen Bezirken des Landes und einem Großteil der Gemeinden eine Mehrheit erzielt. Lediglich in einzelnen Gemeinden wie Sinabelkirchen, Ossiach, Radenthein, Muhr, Mallnitz oder Schwarzau im Gebirge erhielt Rosenkranz die meisten Stimmen.

Deutlich überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte Rosenkranz in den Bundesländern Kärnten, Steiermark und Oberösterreich. Demgegenüber kam Van der Bellen in Wien auf knapp 63 Prozent der Stimmen und in Vorarlberg auf 59,8. Im Kärntner Bezirk Wolfsberg kam er hingegen nur auf etwas über 40 Prozent.

Wlazny könnte nach der Wahlkartenauszählung zweitstärkster Kandidat in Wien werden. Derzeit liegt Rosenkranz in der Hauptstadt bei 11,8 und „Marco Pogo“ bei 10,8. Mit knapp 12 Prozent erzielte Tassilo Wallentin sein bestes Ergebnis im Burgenland. Der frühere steirische BZÖ-Chef Gerald Grosz hatte mit Ergebnissen von 8,2 beziehungsweise 7,9 Prozent in Kärnten und der Steiermark seine Hochburgen. MFG-Chef Brunner hatte mit 9,7 Prozent sein bestes Einzelergebnis in der Tiroler Gemeinde Hinterhornbach. Heinrich Staudinger lag mit 8,6 Prozent in Mörschwang noch über seinem besten Bezirksergebnis von 4,75 Prozent in Gmünd.

Zufriedene, Ältere und Studierte für Van der Bellen

ORF, SORA und ISA hatten in ihrer Wahltagsbefragung Stimmungslage und Motive von Wählern erkundet. Diese ergab, dass 66 Prozent der Befragten die Entwicklung Österreichs in den vergangenen Jahren als negativ bewerteten. Lediglich 13 Prozent der Wähler beurteilten sie als positiv. Nur weniger als 15 Prozent erklärten, sie seien mit der politischen Lage im Land zufrieden. Demgegenüber sind 42 Prozent enttäuscht und 40 Prozent sogar verärgert darüber.

Besonders hohe Stimmenanteile konnte Van der Bellen bei den Zufriedenen (82 Prozent) und den Wählern über 60 Jahre (73 Prozent) und Wählern mit Universitätsabschluss (69 Prozent) verbuchen. Demgegenüber wählten ihn nur 47 Prozent der Wähler unter 60 Jahren, 49 Prozent der Erwerbstätigen, 40 Prozent der Verärgerten und 39 Prozent der sozial Schwächeren.

Dass Van der Bellen trotz der negativen Stimmung seiner Wiederwahl schaffte, lag unter anderem am Wunsch der Österreicher nach Stabilität. Zwar wünschen sich 59 Prozent der Österreicher, dass sich der Bundespräsident gegenüber der Politik eine Stimme verschafft. Allerdings lehnen auch 52 Prozent zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Entlassung der Bundesregierung ab.

Von den Wählern Van der Bellens erklärten 74 Prozent, aufgrund seiner politischen Erfahrung für ihn gestimmt zu haben. 63 Prozent äußerten, sie seien mit seiner bisherigen Arbeit zufrieden.

Trotz 56 Prozent eine „Ohrfeige für die Etablierten“?

Immerhin haben auch 494.000 oder 26 Prozent der 1,93 Millionen Österreicher, die 2016 für FPÖ-Kandidat Norbert Hofer gestimmt hatten, diesmal Van der Bellen gewählt. Rosenkranz konnte 613.000 frühere Hofer-Wähler halten und 92.000 Nichtwähler für sich verbuchen. Van der Bellen konnte 84 Prozent seiner Wähler von vor sechs Jahren wieder für sich gewinnen, dazu kamen vormalige Hofer-Wähler und 78.000 ehemalige Nichtwähler.

Wlazny konnte neun Prozent der ehemaligen Hofer-Wähler und sechs Prozent von Van der Bellen in sein Lager holen, dazu 48.000 ehemalige Nichtwähler. Von den früheren Wählern des FPÖ-Kandidaten von 2016 stimmten diesmal 253.000 für Wallentin, 165.000 für Grosz, 41.000 für Brunner und 20.000 für Staudinger.

Die wenigsten Nichtwähler der Stichwahl von vor sechs Jahren konnte Tassilo Wallentin für sich mobilisieren. Mit 12.000 Stimmen aus diesem Spektrum lag er sogar noch hinter dem Alt-68er Heinrich Staudinger (14.000).

Chefredakteur Richard Schmitt spricht im „Exxpress“ von einer „Ohrfeige für die Politik-Schickeria“. Obwohl Van der Bellen weite Teile des politischen und medialen Establishments hinter sich gehabt habe, sei er lediglich auf 56 Prozent der Stimmen gekommen.

Für die Bundesregierung in Wien bedeutet dieses Ergebnis dennoch vorerst eine Verschnaufpause. Die Menschen in Österreich scheuen in der aktuellen Krisensituation Diskontinuitäten. Auch scheinen die möglichen personellen Alternativen sie nicht restlos zu überzeugen. Allerdings könnte eine Verschärfung der Krisensituation die Proteststimmung verstärken.



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