Kroatische Behörden gegen Mikrostaat: seit 2015 ist ein Donau-Inselchen „Freie Republik Liberland“

Mit wohlhabenden Bürgern, einer eigenen Verfassung und eigenen Ministern ist „Liberland“ ein wenig bekannter, aber real existierender europäischer Mikrostaat. Die Insel in der Donau wurde nun von der kroatischen Polizei angegriffen.
Titelbild
Ein Polizeiboot im Einsatz in Kroatien.Foto: iStock
Von 7. Oktober 2023

Er sollte wegen seiner Ansichten doch lieber ein eigenes Land gründen, so verspotteten ihn früher seine Gegner. Auch wenn niemand dachte, das der damals aktive tschechische Politiker es tun würde – Vít Jedlička schuf vor acht Jahren eine Steueroase im Niemandsland zwischen Serbien und Kroatien. Er nannte sein Mikroland „Liberland“.

Der nicht anerkannte Kleinstaat im ehemaligen Jugoslawien ist jedoch sowohl für die kroatische als auch für die serbische Polizei ein Dorn im Auge. Da Liberland nicht international anerkannt ist und sich auf einem umstrittenen Gebiet befindet, ist es derzeit nicht möglich, das Land offiziell zu besuchen. Die Existenz der Mikronation ist umstritten, ihre Legitimität und langfristige Lebensfähigkeit sind Gegenstand von Debatten.

Am 21. September drangen kroatische Behörden in Liberland ein, seither erfolgten weitere Aktionen der kroatischen Polizei. Vít Jedlička bittet nun auf seinem YouTube-Kanal die internationale Gemeinschaft um Hilfe.

Gebäude und Eigentum beschlagnahmt

„Freie Bürger der Welt, Liberland ist mit einem beispiellosen Angriff der kroatischen Behörden konfrontiert. Eine Gruppe der kroatischen Polizei und der Forstwirtschaft ist auf Liberland eingetroffen und hat alles persönliche Eigentum beschlagnahmt. Sie haben auch alle unsere Gebäude brutal zerstört“, heißt es in dem Videoclip, der den Hilferuf von Präsident Vít Jedlička wiedergibt.

Verletzt wurde bisher niemand, der Sachschaden ist nach Angaben der Liberländer erheblich. Einheimische haben auf Videos die materiellen Schäden gezeigt; sie berichteten von Schäden an Häusern, elektronischen Geräten und persönlichen Gegenständen. Jedlička, der Schöpfer des Mikrostaates, hat angekündigt, dass sie ihren Kampf für die Unabhängigkeit auf dem Rechtsweg fortsetzen werden.

Sein Ziel ist aktuell, in Washington, D.C. Unterstützung für ihre „Sache“ zu gewinnen. Jedlička ist der Ansicht, dass die Unabhängigkeit Liberlands anerkannt werden muss. Sie wurde in Übereinstimmung mit internationalem Recht auf einem Stück freies Land erklärt, das weder Kroatien noch Serbien als sein Eigentum betrachtet.

Von Anfang an haben die kroatischen Behörden und Polizeikräfte den Booten, die sich auf der Insel niederlassen wollten, die Landung erschwert. Einigen war es gelungen, anzulegen; ihr Leben wurde nun durch das Vorgehen der kroatischen Polizei auf den Kopf gestellt.

Der letzte größere Zusammenstoß ereignete sich im Juli dieses Jahres. Damals hat ein Einwohner schweizerischer Herkunft der Zeitung „20 Minuten“ erzählt, dass „es sich herausstellte, dass das Gebiet unter kroatischer Polizeizuständigkeit stand, aber als serbisch angesehen wurde“. Die Situation werde auch dadurch verkompliziert, dass Kroatien das Gebiet offenbar „an ein kroatisches Abholzungsunternehmen verkauft“ habe. Nach Ansicht der Schweizer würden die Probleme beseitigt, wenn sich mindestens tausend Menschen in dem Land niederlassen würden.

Niemandsland an der Donau

Derzeit gibt es mehr als 400 erklärte Mikrostaaten auf der Welt. Bei diesen Mikronationen handelt es sich um international nicht anerkannte Länder mit meist sehr kleinen Territorien, deren Souveränität nur von der kleinen Gruppe anerkannt wird, die sie verkündet.

Der Fall von Liberland ist insofern speziell, weil sich die kleine tschechische Gemeinschaft ein Stück Land ausgesucht hat, das frei zu besetzen war. Zudem entwickelten sie im Internet ein virtuelles Liberland.

An der Donau gibt es einige kleine Inseln, deren Zugehörigkeit zwischen Kroatien und Serbien umstritten ist. Keines der beiden Länder beanspruchte die Inseln nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien für sich. Der Präsident des neuen Landes entschied sich für die größte von diesen Inseln, „Gornja Siga“ („Große Siga“).

Am 13. April 2015 erklärte der tschechische Politiker Vít Jedlička das von ihm gefundene Land zu einer unabhängigen Nation, der Freien Republik Liberland. Zwischen Serbien und Kroatien gelegen umfasst Liberland 700 Hektar. Es ist mit dieser Fläche größer als Monaco oder der Vatikan.

Die Freie Republik Liberland ist eine nicht anerkannte Mikronation in Europa. Sie erhebt Anspruch auf die Insel Siga, ein unbewohntes Stück Land am Westufer der Donau, zwischen Kroatien und Serbien. Foto: iStock

Auf der Suche nach einem Leben ohne unnötige Regeln und Steuern

Jedlička, der in seiner Heimat Tschechien selbst eine Zeit lang politisch aktiv war, ist nach eigenen Angaben ein Euroskeptiker. Als Befürworter des Minimalstaates glaubt er auch an Steuerbefreiung. So soll das neue Land daher ein Hort des Ultraliberalismus und ein Steuerparadies sein. Letztere lockt auch Investoren an.

Seine Utopie zielt im Grunde darauf ab, eine Gesellschaft zu schaffen, „in der anständige Menschen gedeihen können, ohne dass der Staat ihr Leben mit unnötigen Regeln und Steuern belastet“, schreibt das Portal „transtelex.ro“ in seiner Analyse. Inspiriert wurde der Gründer unter anderem von Monaco, Liechtenstein und Hongkong.

Die Idee hat sich für viele als attraktiv erwiesen. Bereits eine Woche nach dem Start wollten 220.000 Menschen dem neuen Land beitreten. Unter den Staatsbürgern sind Investoren, Abenteurer, viele haben sich auch aus Ländern wie Syrien beworben. Derzeit gibt es nur drei Bedingungen für die Erlangung der Staatsbürgerschaft: „kein Kommunist sein, kein Nazi sein und keine Vorstrafen haben“.

Liberland hat auf der Insel keine Stadt gebaut, es existiert eher virtuell. In dieser virtuellen Realität bemüht sich der Regierungschef in Zusammenarbeit mit dem weltbekannten Architekturbüro Zaha Hadid Architects, ein „Meta-Universum“ zu schaffen. Hier können sich „Tausende Bürger treffen, ohne in das winzige, aber noch unbewohnte Stück Land reisen zu müssen“, berichtet „euronews“.

In der Realität bleibt der Mikrostaat bisher ein Auenwald. Es ist auch nicht leicht, hineinzukommen. Wenn die kroatische Polizei eine Person entdeckt, muss diese 300 Euro Strafe für ein Überschreiten der Grenze zahlen. Jedlička wurde bisher zweimal festgenommen.

„Leben und leben lassen“

Liberland scheint, trotz vieler Skeptiker, auch nach acht Jahren noch zu funktionieren. Das Land hat fünf Minister, zwei Vizepräsidenten, mehr als 240.000 E-Bürger und 700.000 Antragsteller.

„Wir bauen ein Land auf, das als gutes Beispiel für andere Länder dienen kann. Die größte Verbesserung ist, dass in Liberland die Steuern freiwillig sind und die Menschen belohnt werden, wenn sie sie zahlen“, so Jedlička.

Die offizielle Flagge von Liberland. Foto: https://liberland.org/en/about

Das Land hat seine eigene Verfassung und Gesetze, die im Internet öffentlich zugänglich sind. Es hat eine Flagge, ein Wappen, eine Nationalhymne und ein Motto: „Leben und leben lassen“.

Der Mikrostaat habe mehr als 100 aktive Vertretungen weltweit. Viele davon würden von IT- oder Krypto-Gurus geleitet, wie „cybernews.com“ feststellte.

Die Amtssprache von Liberland war bei Gründung des Staates ursprünglich Tschechisch, wurde aber später mit Englisch ergänzt. Die Hauptwährung ist der liberländische „Merit“, doch Spenden werden auch in Kryptowährungen und US-Dollar akzeptiert.

Das Beispiel des neu geschaffenen Landes hatte Nachfolger gefunden, stellte die ungarische nationale Nachrichtenagentur MTI fest. Polnische Touristen proklamierten einen Monat nach der Gründung von Liberland das „Königreich der Enklave“. Dies geschah auf einem Landstreifen von etwa 100 Metern, ebenfalls im Niemandsland zwischen Kroatien und Slowenien.

Der Tscheche Vít Jedlička, Präsident der Freien Republik Liberland. Foto: FRANCOIS GUILLOT/AFP via Getty Images



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