Inmitten der Migrationskrise: Serbiens Regierung fordert die Auflösung des Parlaments

Serbien ist ein wichtiges Ziel illegaler Migration. Im Land nehmen die Unruhen zu, sie gelten als Nebenschauplatz in einem größeren politischen „Spiel“. Ein starkes Serbien könnte auch starke Grenzen für die EU bedeuten – doch die Regierung ist dabei, sich aufzulösen.
Serbien will Soldaten im Kosovo stationieren
Der serbische Präsident Aleksandar Vučić.Foto: LUDOVIC MARIN/AFP via Getty Images
Von 1. November 2023

Die serbische Regierung hat am Montag die Auflösung des Parlaments und vorgezogene Wahlen gefordert. Außerdem werden die Gemeinderäte von 66 serbischen Gemeinden aufgelöst.

Gleichzeitig wurde die Forderung an den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić weitergeleitet, der das Recht hat, das Repräsentantenhaus aufzulösen. Obwohl die formelle Genehmigung der Auflösung noch aussteht, hat Vučić bereits den Termin für neue Wahlen bekannt gegeben, die für den 17. Dezember angesetzt sind. Es wäre die dritte Wahl binnen vier Jahren.

Zwischen der rechten Regierung und der linken Opposition gibt es seit längerer Zeit ernsthafte Differenzen. Die Spannungen wachsen: zum einen wegen der schweren Migrationskrise, die zunehmend bewaffnet ausgetragen wird. Zum anderen wegen des Konflikts mit dem Kosovo. Bereits seit dem Sommer fordert die Opposition den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen.

Mitte Oktober berichtete Vučić, dass die inoffizielle Bildung verschiedener Koalitionen schon begonnen habe. Er sprach von einem Mehrparteien-Linksbündnis und einem Mehrparteien-Rechtsbündnis.

Tor zur EU für illegale Einwanderer

Für illegale Einwanderer sind Serbien und seine Hauptstadt Belgrad eine Art Endstation, bevor sie die Europäische Union erreichen. Die geografische Lage des Landes ermöglicht die Einreise in mehrere EU-Mitgliedstaaten. Als wichtiges Transitland steht Serbien seit Jahren vor ernsthaften Schwierigkeiten – ein Hauptproblem für die Regierung sind die daraus entstandenen bewaffneten Eskalationen.

Zu den EU-Nachbarn Serbiens gehören Ungarn, Kroatien und Rumänien. Foto: iStock

Laut einem Bericht des Ungarischen Instituts für Migrationsforschung vom letzten Jahr gibt es auch immer häufiger bewaffnete Auseinandersetzungen und sogenannte „zurückgelassene“ Migranten bevölkern die Region. Dieser Begriff bezieht sich auf Migranten, die dauerhaft in Serbien festsitzen, sie wurden entweder von den Behörden abgefangen oder scheiterten wiederholt an Grenzübertritten.

In den letzten Monaten haben illegale Einwanderer regelmäßig die Bevölkerung in der Region angegriffen, sie besetzten mehrere unbewohnte Häuser in verschiedenen Dörfern. Migranten schlossen sich zu Banden zusammen und bekämpfen sich bewaffnet.

Der serbische Präsident Vučić erklärte einem Bericht der ungarischen „Infostart“ zufolge am 27.10. in einem Fernsehinterview, dass die serbische Polizei ihre Arbeit mache. Auch das Militär werde eingesetzt, falls nötig, um die Migrationskrise an der serbisch-ungarischen Grenze zu bewältigen.

Nach einer Schießerei am 28. Oktober sagte Innenminister Bratislav Gasic, die Polizei werde alle Unterkünfte in der Gegend überprüfen und nach Versteckten suchen. Taxifahrern, die möglicherweise illegale Einwanderer transportieren, teilte er mit, dass das Innenministerium ihre Fahrzeuge konfiszieren werde.

Die ungarische und die serbische Polizei arbeiten zusammen, um die illegale Einwanderung über Ungarn in die EU zu stoppen. Gleichzeitig sind die Ungarn ebenfalls stark von bewaffneten Auseinandersetzungen in Serbien betroffen. Vor allem sind es die Dörfer der ungarischen Minderheit, die in der Nähe der serbischen Grenze leben, die am stärksten angegriffen werden. Aufgegriffene Migranten in Serbien werden jedoch nach einem gescheiterten Grenzübertritt nicht abgeschoben, sondern an die Grenze zu Mazedonien im Süden des Landes gebracht. Dort würden sie wieder freigelassen, berichten ungarische Medien.

Massenproteste nach den Vorfällen im Mai

Obwohl die innenpolitische Lage auch in der Vergangenheit angespannt war, begannen Massenproteste gegen die Politik der Regierung im Mai dieses Jahres.

Inmitten der schweren Spannungen der Migrationskrise tauchte im Mai ein weiteres Problem auf: Gewalt auf offener Straße. Auslöser waren zwei Vorfälle mit Schusswaffen in der Zivilbevölkerung. Am 3. Mai erschoss ein 13-jähriger Junge neun seiner Mitschüler und den Hausmeister seiner Schule und verletzte mehrere andere. Zwei Tage später erschoss ein 20-jähriger Mann in der Nähe von Belgrad neun Menschen und verletzte vierzehn weitere.

Daraufhin begannen Proteste, die die Absetzung der Regierung und des Präsidenten fordern. Eine Reihe von Kundgebungen der Opposition und Demonstrationen gegen die rechtsgerichtete Regierung lief unter dem Motto „Serbien gegen die Gewalt“.

In Serbien kommen durchschnittlich 40 Schusswaffen auf 100 Einwohner; die Menschen verfügen nach den südslawischen Kriegen der 1990er-Jahre immer noch über eine große Anzahl von Waffen. Die Behörden reagierten auf die zwei Attentate mit einer Verschärfung der Waffenbesitzregeln – aber die Lage hat sich nicht entspannt.

Politische Meinungen zur Umsetzung verschiedener Pläne

„Die Abhaltung von Parlamentswahlen unter den gegenwärtigen Umständen würde ein höheres Maß an Demokratie gewährleisten und Spannungen zwischen verschiedenen Akteuren in der Gesellschaft abbauen“, heißt es in der jetzigen Erklärung der Regierung. Es würde „Ausgrenzungen und Hassreden unmöglich machen und das Recht auf freie Meinungsäußerung zu bestimmten politischen, wirtschaftlichen und anderen Themen, einschließlich der Stärkung der europäischen Werte, stärken.“

Analysten zufolge waren die bewaffneten Vorfälle, die die politische Krise beschleunigten, aus Sicht der Opposition eine gute Gelegenheit, „Politik zu machen“. Der Politikexperte Vladimir Vuletić warnte in einer Erklärung Ende Mai gegenüber „Euractiv“: „Dieses Szenario könnte auch andere politische Prozesse wie die Umsetzung des europäischen Plans für den Kosovo behindern“. Serbien hat die Unabhängigkeit des Kosovo bislang nicht anerkannt. Die EU bemüht sich intensiv darum, dass die Situation zwischen den Parteien so schnell wie möglich geklärt wird. Vor allem, um den Ausbruch eines möglichen Krieges zu vermeiden.

Im Mai forderte die Opposition, dass Innenminister Bratislav Gašić und der Direktor des serbischen Geheimdienstes BIA, Aleksandar Vulin, zurücktreten sollten.

Mit diesen Forderungen versuchte die Opposition, die Welle der Trauer und des Zorns nach den Massenerschießungen zu nutzen und umzulenken, um die Säulen der Regierung zu untergraben“, sagte Vuletić.

Was sagt die Opposition noch? „Das Land ist eine Geisel von kriminell-nationalistischen Strukturen. Serbien ist ein entführtes Land“, so Dr. Dragana Rakić, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Demokratischen Partei und Abgeordnete im serbischen Parlament. Es handle sich nicht um einen autoritären Regierungsstil, sondern um eine „lupenreine Autokratie“.

Ähnlich sieht es Dragan Djilas, Gründer der „Partei der Freiheit und Gerechtigkeit“. Diese trat bei der Wahl im April 2022 auf einer Liste mit weiteren Mitte-links- und EU-freundlichen Parteien an und zog als zweitstärkste Kraft ins Parlament ein. Er erklärte: „Serbien ist eine Autokratie. Der Druck, Vučićs Fortschrittspartei SNS beizutreten, ist groß, wenn man Karriere machen oder einen Job finden will. Sogar Menschen, die ihre private Firma gegründet und nichts mit Politik am Hut haben wollen, verstehen irgendwann: Es geht nicht ohne die Partei.“

Möglicherweise könnte die derzeitige Regierung von Neuwahlen auch profitieren, wie einige Medien schreiben. Nach dieser Ansicht scheine die Opposition zwar die Wahlen zu provozieren, doch könne dies leicht dazu führen, dass die rechte Führung davon profitiert. Dem „Balk Magazine“ zufolge stimmen die Meinungsumfragen darin überein, dass das Volk eher „nationalistisch“ sei. Damit könne sich also auch eine gute politische Gelegenheit für die derzeitige Führung bieten, unliebsame Personen von den Machthebeln zu entfernen.

Der „zweite Orbán“

Ende letzten Jahres verglich die „Welt“ den serbischen Präsidenten Vučić mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Der Artikel auf der Titelseite nannte seinen serbischen Amtskollegen sogar „den zweiten Orbán“. Vor den Toren der EU, so die Kritiker, „wartet ein Mann, der wie der ungarische Ministerpräsident kritische Stimmen unterdrückt und die Nähe zum russischen Regime sucht. Er weiß, wie man mit politischen Mitteln gegen Brüssel vorgeht“.

Abgesehen von der Tatsache, dass Orbán und Vučić strategische Partner sind, gibt es auch die Gemeinsamkeit, dass Vučić der beliebteste Politiker der serbischen Bevölkerung ist.

Das letzte Mal, als die öffentliche Meinung in dieser Hinsicht ermittelt wurde, war im Juni 2023. „Aleksandar Vučićs Popularität ist ungebrochen, er bleibt der Politiker, der das meiste Vertrauen der Bürger genießt“, kommentierte Marko Uljarević, Direktor des Meinungsforschungsinstituts Ipsos Strategic Marketing, laut „vajma.info“.



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