Draghi: „EU muss ein Staat werden“ – von der Leyen will Brexit „heilen“
Visionäre Ideen oder Großmachtfantasien einer abgehobenen Elite? Mit kontroversen Äußerungen haben gleich zwei langjährige Entscheidungsträger in der EU jüngst für Aufsehen gesorgt. Der frühere EZB-Chef und italienische Ministerpräsident Mario Draghi hat die Erweiterung der Befugnisse für Brüssel als Weg aus der Krise gefordert. Die amtierende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich wiederum in Großbritannien mit Äußerungen zum Brexit in die Nesseln gesetzt.
Draghi im Auftrag der Kommission aktiv
Wie „Euractiv“ berichtet, hat Draghi eine Buchpräsentation genutzt, um einen einheitlichen europäischen Staat zu fordern. Der Italiener war von 2011 bis 2019 Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). In jener Zeit hatte er unter anderem „was immer auch nötig ist“ gefordert, um den Euro zu retten. Von Februar 2021 bis zu seinem Rücktritt im Juli 2022 war er Premierminister in Italien.
In politischer Rente ist der Ökonom jedoch noch nicht. Derzeit arbeitet er im Auftrag der EU-Kommission Empfehlungen aus, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu steigern. Eine davon ist es, eine „neue Art des Wachstums“ zu erfinden, nachdem das Wirtschaftswachstum zusammengebrochen war.
Er hoffe, so Draghi, dass „die Grundwerte, die uns zusammengeführt haben, uns auch weiterhin zusammenhalten“. Europa sei in einem kritischen Moment. Das Marktpotenzial der EU sei derzeit „zu klein“. Unternehmen, die wachsen, würden ab einem bestimmten Zeitpunkt „entweder verkaufen oder in die Vereinigten Staaten gehen“.
Hat die EU tatsächlich „zu wenig Haushaltsmacht“?
Die EU könne dennoch gegensteuern und „selbst bei zwei andauernden Kriegen an Stärke gewinnen“. Der Weg dazu sei jedoch mehr Macht für Brüssel. Denn aus seiner Sicht ist nicht die Vielzahl, sondern die Zersplitterung in der EU geltender Regeln das zu lösende Problem:
„Aber dazu müssen wir ein Staat werden.“
Mit dieser Einschätzung steht Draghi nicht einmal allein da. Auch der Industrieverband European Round Table for Industry (ERT) hatte jüngst in einem „Visionspapier“ Alarm geschlagen.
ERT-Präsident und Vodafone-Chef Jean-François van Boxmeer diagnostizierte eine bereits seit 15 Jahren anhaltende Wachstumsschwäche. Setze sich diese fort, „könnten wir wirtschaftlich irrelevant werden und eine Art nettes Museum für Besucher werden, aber kein blühender Ort mehr“.
Als Ausweg empfahl er jedoch ebenfalls „mehr Europa“. Seiner Ansicht nach liegen Bürokratisierung und Dirigismus aus Brüssel daran, dass die EU zu wenig Haushaltsmacht habe. Hätte sie mehr davon zur Verfügung, könne sie auch über Subventionen oder Steuererleichterungen Probleme lösen – wie die USA dies täten.
Von der Leyen: „Ihr müsst das in Ordnung bringen“
Bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dürfte Draghi mit seinem Vorstoß offene Türen einrennen. Diese hingegen ist jenseits des Ärmelkanals auf heftige Reaktionen gestoßen. Wie die „New York Sun” schreibt, scheint die Politikerin die Brexit-Entscheidung nach wie vor als korrekturbedürftig zu betrachten.
Auf einer Veranstaltung von „Politico“ lobte sie das Post-Brexit-Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Damit habe man „einen neuen Anfang für alte Freunde“ gefunden. Mit Blick auf den Brexit erklärte sie anschließend:
„Ich sage meinen Kindern immer wieder: ‚Ihr müsst das in Ordnung bringen. Wir haben es vermasselt.‘ Also denke ich, dass auch hier die Richtung klar ist, meine persönliche Meinung.“
Ob sie damit selbstkritisch auch die EU selbst oder nur die Briten gemeint hat, geht aus der Äußerung nicht eindeutig hervor. In Großbritannien wurde die Aussage jedoch vielfach als Bevormundung und Belehrung aufgefasst.
Auf die EU könnte eher ein „Nexit“ zukommen
Entsprechend harsch waren die Reaktionen. Der stellvertretende Vorsitzende der Konservativen Partei, Lee Anderson, äußerte gegenüber „GB News“:
„Die Generation, die die Probleme in Europa gelöst hat, war die Generation meines Großvaters.“
Er wies darauf hin, dass dieser in britischer Armeeuniform gegen die Nazis gekämpft und „einige schreckliche Dinge“ gesehen habe. Dies sei jedoch die Generation gewesen, „die die Probleme in Europa gelöst hat“. Frau von der Leyen, so Anderson, solle „die Klappe halten“.
Auch ein Sprecher von Premierminister Rishi Sunak reagierte auf die Aussagen der Kommissionspräsidentin. Er machte deutlich, dass der Brexit nichts sei, was künftige Generationen „in Ordnung bringen“ müssten.
Redakteur Anthony Grant sieht in der woken sozialen Agenda der EU deren grundsätzliches Problem. Dieser würden sich immer mehr Bürger und immer mehr Länder verweigern. Zudem würden die wirtschaftlich starken Länder zunehmend eigene Wege gehen wollen. Eine Möglichkeit für die kommenden Jahre könnte ein „Nexit“ der Niederlande sein – zumindest im Kleinformat.
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