Verband ERT sieht Europas Industrie im Niedergang – und ruft nach mehr Macht für die EU
Der Verband European Round Table for Industry (ERT) hat in einem jüngst präsentierten „Visionspapier“ einen tiefgreifenden Bedeutungsverlust Europas diagnostiziert. Die Industrie sei nicht mehr wettbewerbsfähig, auch bei den Innovationen falle man deutlich hinter die USA und China zurück. Bereits seit 15 Jahren zeige sich jedoch auch ein erheblicher Unterschied bei den Wachstumsdaten.
EU könnte zum „netten Museum für Besucher“ werden
Gegenüber „Euractiv“ betonte ERT-Präsident und Vodafone-Chef Jean-François van Boxmeer, diese Differenz könne schon bald zum existenziellen Problem werden. Vor allem dann, wenn sich der Trend über weitere zehn Jahre fortsetzen würde. Dann, so van Boxmeer, „könnten wir wirtschaftlich irrelevant werden und eine Art nettes Museum für Besucher werden, aber kein blühender Ort mehr“.
Im „Visionspapier“, das eine Analyse des Ist-Zustandes der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie bieten soll, listet mehrere mögliche Erklärungen auf. Eine davon sei die geringe Höhe der Forschungsausgaben. Diese lägen in der EU bei 2,27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den USA würden hingegen 3,45 Prozent davon in Forschung und Entwicklung investiert.
In China ist der Anteil mit 2,40 Prozent nicht deutlich höher als in Europa. Allerdings setzt das KP-Regime in offensiver Weise auf die Aneignung anderswo entwickelten Know-hows. Notfalls greift man dabei auch auf Spionage oder Hackerangriffe zurück.
ERT gilt als einflussreiche Lobbygruppe in Brüssel
Jacob Wallenberg, Mitglied bei ERT, äußerte, die EU habe ein „echtes Problem“. Dennoch fehle es in Europa an einem „Sinn für Dringlichkeit, den wir für so wichtig halten“. Von 44 zentralen Zukunftstechnologien sei China in 37 führend, gefolgt von den USA. Die EU sei „schmerzlich abwesend“.
Der ERT setzt sich aus etwa 50 Chefs großer multinationaler Unternehmen aus Europa zusammen. Er nimmt für sich in Anspruch, Großprojekte wie die Fehmarnbeltquerung oder die Weiterentwicklung von Magnetschwebebahnen angestoßen zu haben. Auch die „Lissabon-Strategie“ der EU sei von der Lobbygruppe beeinflusst.
Auffällig ist jedoch, dass der Verband in seinem „Visionspapier“ kaum Faktoren anspricht, die in der breiteren Bevölkerung als begünstigend für den Niedergang der Industrie in der EU wahrgenommen werden. So sorgen nach Überzeugung vieler Bürger der „Green Deal“, Russlandsanktionen und Öko-Vorgaben für hohe Energiepreise und Lebenshaltungskosten.
Dazu kommen rigide Datenschutzvorschriften und politische Maßnahmen zur Gängelung sozialer Medien – wie beispielsweise die geplante Verordnung zur sogenannten Chatkontrolle. Diese sorgten dafür, dass Innovationen wie ChatGPT gar nicht erst in der EU stattfänden.
Vorschriftswut der EU nur aus Mangel an Haushaltshoheit?
Der ERT hat für Bürokratie und die Behelligung der Wirtschaft mit immer neuen Vorschriften eine eigene Erklärung. Die EU sei demnach auf solche angewiesen, weil sie über sehr geringe Haushaltsmittel verfüge. Hätte sie mehr davon zur Verfügung, könne sie auch über Subventionen oder Steuererleichterungen Probleme lösen – wie die USA dies täten.
Man brauche sogar mehr Befugnisse für die EU-Kommission, so der ERT. Dies würde es ihr ermöglichen, „ungesetzliche oder unangemessene Hindernisse“ im Binnenmarkt unverzüglich zu beseitigen. Allerdings plädiert auch der Verband dafür, die Harmonisierung und Vereinfachung von Vorschriften voranzubringen – statt stetig neue zu erlassen.
Die EU solle sich, so die Industriellen, an den USA und deren „Inflation Reduction Act“ (IRA) ein Beispiel nehmen. Es müsse eine gesamteuropäische Offensive für Investitionen in die Infrastruktur statt „Helikoptergeld für kleine lokale Initiativen“ geben. Dies betreffe unter anderem den Bereich der Elektrifizierung.
ERT: „Nationale Subventionsstrategien helfen nur Deutschland“
Die derzeitige Praxis, die Gewährung von Subventionen durch die einzelnen Mitgliedstaaten zu erleichtern, bevorzuge finanzkräftigere Staaten wie Deutschland, so der ERT. Auf dieses entfiel beinahe die Hälfte aller seit Februar 2022 gewährten staatlichen Beihilfen.
Die Industriellen regen an, über mögliche Wege für gesamteuropäische Lösungen zu diskutieren. Eine Aufstockung des EU-Haushalts wäre ebenso eine Möglichkeit wie eine einfachere Entscheidungsfindung in Steuerfragen. Zudem würde eine Stärkung und Integration der europäischen Kapitalmärkte mehr Risikokapital generieren können.
Einen drohenden Niedergang der Industrie hat jüngst auch ein Strategiepapier des Bundeswirtschaftsministeriums von Robert Habeck diagnostiziert. Dort plädierte man jedoch für noch mehr Möglichkeiten, um durch Subventionen Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Die Rede war etwa von einem Industriestrompreis. Auf EU-Ebene hatten Versuche, einheitliche Lösungen zur Eindämmung von Energiepreisschocks zu erzielen, jeweils im Minimalkonsens geendet.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion