Behördenversagen? Polizistenmord erregt Belgien

Die angekündigte und nicht verhinderte Ermordung eines Polizeibeamten in Brüssel zieht weite Kreise. Nun beschäftigt sich der Hohe Rat der Justiz mit den involvierten Behörden. Gab es ein Behördenversagen?
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Belgische Polizeibeamte bilden eine kilometerlange Ehrenwache und salutieren während der Beerdigungszeremonie des Polizeibeamten Thomas Monjoie in Waremme am 18. November 2022. - Monjoie wurde am 10. November von einem Messerangreifer in der Aarschotstraat in Brüssel getötet, sein Kollege wurde verletzt.Foto: John THYS / AFP via Getty Images
Von 26. November 2022

Die Ermordung eines belgischen Polizisten durch einen islamistischen Gefährder in Brüssel beschäftigt mittlerweile den Hohen Rat für Justiz in Belgien. Dessen Aufgabe ist die Kontrolle der Arbeit des Gerichtswesens. Man will untersuchen, ob im Vorfeld der Tat Fehler gemacht worden seien. Der Polizistenmord wurde vom späteren Täter wenige Stunden vor der Begehung der Tat persönlich bei der Polizei angekündigt. Dennoch starb kurz darauf ein 29-jähriger Polizeibeamter.

Nach Angaben der öffentlich-rechtlichen „Vlaamse Radio- en Televisieomroeporganisatie“ (VRT) sei dies erst das zweite Mal überhaupt, dass der Rat Untersuchungen in einem laufenden Ermittlungsfall durchführt. Nach Angaben des Hohen Rates für Justiz hätten die Ereignisse zu großem Aufruhr geführt und „riefen viele Fragen zum Auftreten von Polizei, Justiz und Krankenhaus auf“.

Wie VRT aktuell berichtet, sei es das Ziel der Untersuchung, die Arbeit der in den Fall involvierten Behörden, insbesondere der Justiz unter die Lupe zu nehmen und „um dafür zu sorgen, dass ähnliche Vorfälle nicht mehr vorkommen“. Man erklärte jedoch, dass man sich weder zu Fakten noch Inhalt der eventuellen richterlichen Beschlüsse äußern werde.

10. November, abends, Brüssel-Schaerbeek

Die dpa berichtete nach belgischen Medienangaben, dass der „mutmaßliche Angreifer die religiöse Formel ‚Allahu Akbar‘ gerufen“ habe. Die Nachrichtenagentur erklärte dazu: „Dschihadisten und Salafisten benutzen den arabischen Ausdruck oft als eine Art Schlachtruf. Eigentlich handelt es sich aber um eine zentrale religiöse Formel des Islams, die seit Jahrhunderten von Muslimen weltweit benutzt wird.“

Die belgische Anti-Terror-Staatsanwaltschaft übernahm die Ermittlungen und Belgiens Innenministerin Annelies Verlinden twitterte: „Was für ein schreckliches Drama. Dieses Ereignis bricht mir das Herz. Meine Gedanken gelten in erster Linie den Angehörigen, den Angehörigen der Polizeizone und der gesamten Polizei.“

Ein Anschlag – angekündigt und nicht verhindert

Das Unerklärliche an dem Fall: Den Angaben nach habe die belgische Tageszeitung „Het Laatste Nieuws“ berichtet, dass der Tatverdächtige am Morgen des Tattages bereits auf einer Polizeiwache erschienen sei und einen Anschlag auf Polizeibeamte angekündigt habe. Er erklärte, dass er psychologische Hilfe brauche. Die eingeschaltete Staatsanwaltschaft Brüssel organisierte die Einlieferung in eine Psychiatrie. Dort wurde er von Polizisten dem Personal übergeben.

Aber weder Polizei noch Staatsanwaltschaft informierten das Krankenhaus über die Gefährlichkeit des inzwischen als islamistischer Gefährder erkannten Mannes.

Während das Aufnahmeverfahren lief, zogen sich die Polizisten zurück. Später nahm die Polizei Kontakt zu der Einrichtung auf, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Doch die Person hatte das Krankenhaus bereits wieder verlassen. Wenige Stunden später passierte der Anschlag.

Nach Angaben der „Neuen Zürcher Zeitung“ befand sich der Tatort Rue d’Aerschot in Brüssels Rotlichtmeile nahe dem Bahnhof Nord, berüchtigt für ihre Drogendealer und Kleinkriminelle. Den Angaben nach hatte der Streifenpolizist Thomas Monjoie mit seinem Kollegen im Streifenwagen an einer Ampel gewartet, als der Täter Yassine M. mit seinem Messer angriff.

„Systemversagen in Belgien“

Die NZZ wirft den Begriff „Systemversagen in Belgien“ in den Raum und fragt, warum der Mann nach seiner Mordankündigung überhaupt die psychiatrische Klinik einfach wieder habe verlassen können.

Man sei von niemandem über die von ihm ausgehende potenzielle Gefahr informiert worden, habe sich das Universitätsspital von Saint-Luc in einem Schreiben gerechtfertigt. Und Justizminister Vincent Van Quickenborne? Dieser erklärte: „Die Art und Weise, wie sich die Person auf der Polizeiwache geäußert hat, entsprach keiner Strafanzeige.“

Wie gefährlich Yassine M. ist, war jedoch bekannt. Mehrere Jahre saß der marokkanischstämmige junge Mann wegen „Raub mit Gewalt“ im Gefängnis. Dort soll er sich auch radikalisiert haben. 2017 wurde er dann dem Bericht nach bereits in einer Datenbank der Anti-Terror-Behörde Ocam geführt, als „potenziell gewalttätiger Extremist“. Seit 2019 musste er an einem Deradikalisierungsprogramm teilnehmen. Die Experten hätten jedoch noch zwei Tage vor dem Anschlag gegen die Polizisten eine „100-prozentige psychologische und psychiatrische Überwachung“ empfohlen. Dies habe die Zeitung „Le Soir“ kürzlich berichtet.

Rücktritt des Justizministers gefordert

Am 14. November hatten sich zahlreiche Polizisten in der Brüsseler Innenstadt vor dem Justizpalast versammelt. Die drei Polizeigewerkschaften von Belgien demonstrierten für Reformen und forderten, Konsequenzen aus dem Mord an ihrem Kollegen zu ziehen. Man forderte den Rücktritt des liberalen Justizministers Vincent Van Quickenborne (Open VLD).

Belgische Polizisten am 14. November 2022 vor dem Justizpalast in Brüssel während einer Gedenkfeier für Thomas Monjoie, den 29-jährigen Polizisten, der am 10. November erstochen wurde. Foto: NICOLAS MAETERLINCK/BELGA MAG/AFP via Getty Images

Am 18. November fand die Beisetzung des ermordeten Polizisten statt. Gegen 11 Uhr legten Polizisten in ganz Belgien eine Schweigeminute ein.

Die Flaggen vor den Polizeirevieren des ganzen Landes wurden auf halbmast gesetzt. In Waremme (nl.: Borgworm), in Nordwestbelgien, Provinz Lüttich, fand die Trauerfeier im engen Kreis von Familie und Freunden von Thomas Monjoie statt.

Sie wurde per Leinwand auf die Straße übertragen, wo mehr als 2.000 Polizisten eine kilometerlange Ehrenwache zu beiden Seiten der Straße bildeten. Der Trauerzug fuhr dann unter Polizeibegleitung zum wenige Kilometer entfernten Friedhof von Limont in der Gemeinde Donceel, wo die Beisetzung wieder im engsten Kreis stattfand. Von hier stammte Thomas Monjoie.

Belgische Polizeibeamte bilden eine Ehrenwache und stehen während der Beerdigungszeremonie des Polizeibeamten Thomas Monjoie in Waremme am 18. November 2022 stramm. – Monjoie wurde am 10. November bei einer Messerstecherei in der Aarschotstraat in Brüssel getötet, sein Kollege wurde verletzt und der Mann, der die Beamten angriff, wurde von der Polizei erschossen. Foto: John THYS / AFP via Getty Images

Schweigen im Land

Der Belgische Rundfunk berichtete unter anderem aus seinem Sendestandort Eupen in Nordostbelgien, wo 80 Polizeibeamte vor dem Rathaus um 11 Uhr am Tag der Beisetzung des getöteten Polizisten ein Zeremoniell abhielten.

Organisiert hatte die Ehrenbekundung die Polizeigewerkschaft SNPS, gemeinsam mit der Polizeizone Weser-Göhl und der Föderalen Polizei Eupen. Neben zahlreichen Bürgern nahmen auch mehrere Bürgermeister an der Veranstaltung in Eupen teil.

Obwohl die Polizisten vor Ort den Ermordeten nicht persönlich gekannt hätten, sei die Betroffenheit unter den Teilnehmern groß gewesen, so der BRF. Polizeigewerkschaftssprecher Eric Hellebrandt nannte den Ermordeten einen „Kollegen“, der zur Polizeifamilie gehöre. Man mache sich Gedanken, so Hellebrandt, denn das könnte ja „auch jedem von uns so passieren“. Er erinnerte daran, nicht nur die Uniform zu sehen. „Es ist immer ein Mensch in der Uniform. Das sollte man immer bedenken.“

Belgische Polizeibeamte bei der Übertragung der Beerdigungszeremonie des Polizeibeamten Thomas Monjoie in Waremme am 18. November 2022. Foto: John THYS / AFP via Getty Images

Schaerbeek und Molenbeek

Über die Gemeinde Schaerbeek erfährt man bei Wikipedia, sie sei „heute bekannt für ihr kosmopolitisches, multikulturelles Flair“. Was das bedeuten könnte, wurde vor einigen Jahren klar, als Schaerbeek der breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Bei einer Polizeirazzia nach den Brüsseler Attentaten vom März 2016 gegen islamistische Terroristen fanden mehrere Explosionen in Schaerbeek statt. Es kam zu mehreren Festnahmen im Zusammenhang mit den Attentaten. Der Mann hatte Sprengstoff bei sich.

Nach Angaben des Deutschlandfunks war in Schaerbeek die Bombenwerkstatt der Paris-Attentäter vom 13. November 2015 (u.a. Bataclan) mit 130 Toten und 683 Verletzten. Hier hatte sich offenbar auch der flüchtige Attentäter Salah Abdeslam versteckt.

Der italienische Journalist und Autor Giulio Meotti, Kulturredakteur bei „Il Foglio“, verwies im Juli dieses Jahres in seinem „Gatestone“-Beitrag „Brussels: Capital of Europe or Eurabia?“ auf Michel Laub, Gründer des Museums der Deportation in Malines (Mechelen). Dieser sagte: „Es gibt kaum noch Juden in diesem Bezirk. Dieser Teil von Schaerbeek in der Nähe des Gare du Nord war jedoch einst ein wichtiges jüdisches Viertel. Die meisten von ihnen ziehen jetzt woanders in Brüssel hin.“

Fragwürdige Multi-Kulti-Erfolge

Ein anderes Beispiel für fragwürdige Multi-Kulti-Erfolge ist das nur zwei Kilometer von Schaerbeek entfernte Molenbeek, eine andere Gemeinde in der Region Brüssel-Hauptstadt. Hier erinnert man sich noch sehr genau an die Festnahmen von Salah Abdeslam im März 2016. Die Polizei konnte den Hauptverdächtigen der Terroranschläge von Paris 2015 mit einem Großaufgebot von Einsatzkräften festnehmen.

Alain Destexhe, Ehrensenator in Belgien und ehemaliger Generalsekretär von Ärzte ohne Grenzen, schrieb im Mai 2022 in einem Beitrag im „Le Figaro“: „Molenbeek würde so gerne vergessen werden“ – wegen des dort aufgewachsenen und islamisierten Salah Abdeslam, wegen der weltweiten Bekanntheit als europäisches Zentrum des islamistischen Terrors. Molenbeek sei ein Paradebeispiel für das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft, die in Belgien dennoch ein unantastbares Dogma bleibe.

„Ich habe den Aufstieg des Islam miterlebt“

Auch aus Sicht von Anwohnern hat sich Molenbeek verändert: „Ich bin in einer marokkanischen Familie in einem Viertel bei Molenbeek aufgewachsen“, schilderte Fadila Maaroufi im Sommer 2021 in einem Interview mit dem französischen Nachrichtenmagazin „Marianne“.

Molenbeek sei in den 1980er-Jahren noch recht weltoffen gewesen, erinnert sich die heute 46-jährige belgische-marokkanische Sozialarbeiterin an ihre Kindheit. „Dann sahen wir nach und nach, wie die einheimischen Belgier das Viertel verließen.“

Die Gründerin der Beobachtungsstelle für Fundamentalismus in Brüssel erklärte: „Ich habe den Aufstieg des Islam miterlebt“ und schilderte, dass dann ihre Schwestern verschleiert waren und auch ihre Eltern sich anders gekleidet hätten. Sie selbst sei unter Druck geraten, auch vonseiten der Familie. Als Frau Maaroufi jedoch versucht habe, Behörden und Verbände zu alarmieren, sei sie auf eine Mauer gestoßen, so die Anthropologin.

Fadila Maaroufi erzählt von ihrer Sozialarbeit. Unverhüllte Frauen gerieten in einigen Vierteln zunehmend unter Druck. Der Schleier sei zum Modell geworden für die muslimische Frau: „Heute ist eine muslimische Frau eine verschleierte Frau“. Ansonsten könnten sie als „sexuell verfügbar“ gelten. Der Druck ist groß.

Sie erzählte die Geschichte einer 16-Jährigen, die von ihrer Familie zum Studieren des Korans gezwungen wurde, wobei sie auch Gewalt ausgesetzt gewesen sei. Maaroufi erzählte auch, dass sie 2021 ein Video zugeschickt bekommen habe, „ein sehr explizites ISIS-Hinrichtungsvideo“.

Es gibt noch einen anderen Hintergrund, einen politischen, wie Meotti im „Gatestone“-Artikel hervorhob. Laut einem Beitrag von Djemila Benhabib im „Le Point“ sei im Parlament „in Brüssel die Hälfte der sozialistischen Wählerschaft muslimisch“ – und was das Bündnis der „Linken“ mit dem Islam bedeute, habe man laut Meotti kürzlich im Brüsseler Parlament bei der Zustimmung der Sozialisten und Grünen zum rituellen Schlachten von Tieren gesehen.

Brüssel wähle Vertreter, die von der Unterstützung der einen oder anderen Gemeinschaft in dieser sehr multikulturellen Region profitierten und manchmal gezwungen seien, einige ihrer Überzeugungen oder eine Facette ihrer Identität aufzugeben. Das alles nur, um die Wähler nicht zu verprellen, so Meotti.

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