Wie Stimmung gegen die schwedische Corona-Politik gemacht wird
Anfang Februar veröffentlichte das schwedische Radio (SR) in seinem Wissenschaftsmagazin „Vetenskapsradion“ einen Beitrag über eine geschlossene Facebook-Gruppe, die versucht hatte, andere Länder dazu zu bewegen, gegen die schwedische Corona-Politik zu agieren. [1]
Die Gruppe nennt sich „Media Watchdogs of Sweden“, kurz Mewas, die Beiträge in der Gruppe reichten von sachlicher Kritik über das Planen von Mobbingaktionen bis hin zur Auslotung des gerade noch rechtlich Tragbaren oder auch darüber hinaus.
Mewas argumentieren „etwas direkter“
Konkret wurde das Fehlen von Lockdowns und Maskengeboten thematisiert, aber auch die Frage, wie man Diskussionen in öffentlichen Medien steuert, in dem man massiv mit Beiträgen und E-Mails Einfluss auf die Verfasser missliebiger Autoren nimmt. Auch das Ansprechen ausländischer Medien und Politiker (vor allem EU-Politiker und Botschafter) gehört hierher. Hierbei wurde gefordert, Einreiseverbote für Schweden zu erlassen und gegebenenfalls zu boykottieren.
Die schwedische Bevölkerung wird in der Gruppe als „gehirngewaschen“ bezeichnet. Weiter hieß es, Anders Tegnell – Schwedens Staatsepidemiologe – würde Daten manipulieren, er und andere Verantwortliche, Politiker und Journalisten wären korrupt und Schweden würde ethisch und wissenschaftlich auf einen Abgrund zurasen. Tegnell würde persönlich für den Tod tausender Menschen verantwortlich sein, sich in die Nähe des Nationalsozialismus begeben usw. Darüber hinaus gab es etliche emotionale Beiträge, die letztendlich immer eine Tendenz zur Gewalttätigkeit generieren.
Am weitesten ging der Kopf dieser Gruppe, der damals in Stockholm lebende Ire Keith Begg. Der studierte Versicherungskaufmann (B.Sc.) hatte sich bis dato beruflich als Kommunikations- und PR-Experte profiliert. Er forderte, die Verantwortlichen der schwedischen Corona-Politik wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor ein internationales Gericht zu stellen. Die emotionalisierte Sprache in dieser Gruppe verteidigt er mit seinem irischen Hintergrund. In Irland sei man „etwas direkter“ in seiner Argumentation. [2]
In der Gruppe befinden sich jedoch auch fachlich durchaus ernstzunehmende Mitglieder. Aber keiner kritisiert, dass in Schweden alle PCR-Positiven als „erkrankt“ bezeichnet werden, keiner vergleicht die Entwicklung in Schweden mit der in anderen nicht-skandinavischen Ländern – durchaus aber mit Norwegen, das in allen Bereichen niedrige Werte hat.
Professor zieht Notbremse: „Das ist es nicht wert“
Einen ersten „Erfolg“ konnte die Gruppe bereits verzeichnen. Prof. Ludvigsson hatte an der Universität Örebro zum Thema Kinder und COVID-19 geforscht. Er kam schon Anfang 2020 zu dem Schluss, dass nur wenige Kinder ernsthaft an COVID-19 erkranken [3]. Dies bestätigte sich während seiner weiteren Forschung. Nur eins von 130.000 Kindern würde so schwer erkranken, dass es auf der Intensivstation behandelt werden müsste und nicht einmal chronisch kranke Kinder hätten ein erhöhtes Risiko. [4] Daher wäre die Schließung von Schulen nicht motiviert.
Mit derartigen Aussagen kam er ins Visier und erntete viel Kritik. Ein großer Teil davon fand außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses statt, will sagen, Hass-Mails und Gewalt-Drohungen, aber auch Stalking wurden Teil seines Alltages (wie der vieler anderer Wissenschaftler). Er wurde beschuldigt, den Tod von 9.000 Menschen zu verantworten und in den Pfaden der schwedischen Rassen-Biologie zu wandern. [5] Mit ähnlichen Beschuldigungen werden Kritiker der Corona-Maßnahmen in Deutschland konfrontiert.
Professor Ludvigsson zog die Konsequenzen. Mit den Worten „Das ist es nicht wert“ kommentierte er seinen Beschluss, keine neuen COVID-Studien zu starten und sich überhaupt aus der Öffentlichkeit zurückzuhalten. [6] Die schwedische Ärztezeitung kommentiert das dahingehend, dass es erschreckend sei, wenn Forscher durch Hass und Drohungen zur Selbstzensur getrieben werden würden. [5]
Medialer Rückenwind für Mewas – auch aus Deutschland
Medial bekommen diese Leute aus Deutschland natürlich den Respons, den sie haben wollen. So titelt der „Tagesspiegel“: „Wissenschaftler klagen an: ‚Schwedens Corona-Strategie hat Tausende unnötig das Leben gekostet‘ – Die Regierung in Stockholm hält eisern an ihrem umstrittenen Corona-Kurs fest. Das wollen 40 Forscher ändern – zwei von ihnen erklären im Interview, was im Land schief läuft.“ [7]
Interviewt wird hier eine Claudia Hanson, die tatsächlich Sozial-Medizinerin ist. Ob sie auch zur Mewas gehört, ist unklar. Sie tritt hier als Vertreterin des Wissenschafts-Forums COVID-19 auf, das immer noch aktiv ist. [8] Ob die personellen Überschneidungen dieser Gruppe mit den „Wachhunden“ so groß sind wie die inhaltlichen, ist von außen schwer zu sagen. Sie agieren auf jeden Fall offen, können aber nicht erklären, woher die Toten eigentlich kommen, so ganz ohne altersbereinigte Übersterblichkeit. [9, Epoch Times berichtete].
Sie berichten natürlich auch nicht darüber, dass seit August 2020 die Corona-korrelierte Sterblichkeit in Schweden niedriger ist als in Deutschland oder im EU-Durchschnitt. [10] Das ist nicht ihr Thema. Das könnte ja den Schluss zulassen, die schwedische Politik wäre gar nicht so schlecht. Und dafür hat man sich ja nicht zusammengeschlossen…
Das Kernprojekt der „Wachhunde“ war also neben dem Verbreiten selektierter Fakten das Schüren von Emotionen und der Aufbau von Druck gegenüber Andersdenkenden und ausländischen Politikern sowie das Beeinflussen der Meinungsbildung außerhalb Schwedens, um auf diesem Weg Einfluss auf die schwedische Politik zu nehmen. Die Frage ist, warum beteiligen sich ausgewiesene Experten an derartigen Kampagnen, ohne auf die grundlegendsten Dinge – wie der Analyse der altersbereinigten Übersterblichkeit oder dem Vergleich verschiedener Länder mit ihren Strategien und Resultaten – einzugehen, ohne die ja jede fachliche Diskussion sinnlos ist. Darüber kann man nur spekulieren, was ich nicht tun möchte.
Vertrauen in „schwedischen Weg“ sinkt
Interessant ist die Reaktion auf die Enthüllung von „SR“. In vielen rechts-bürgerlichen schwedischen Zeitungen wurde dies als Angriff auf die Pressefreiheit kritisiert. So schrieb ein Mitglied der Mewas einen längeren Beitrag mit dem Titel: „Schockierend, dass Kritiker der Coronastrategie als Volksfeinde dargestellt werden“. [11]
Zuspruch kam auch von der extrem rechten und dezidiert antisemitischen Nordfront. [12] Nun kann man sich in diesem Leben ja nicht immer seine Fürsprecher aussuchen, aber es ist schon pikant, dass sich ausgerechnet der äußerste rechte Rand sich mit Mewas und ähnlichen Gruppierungen solidarisiert…
Derartige Gruppen haben einen weiteren „Erfolg“ zu verzeichnen. Das Vertrauen der schwedischen Bevölkerung in die Corona-Politik ist stetig am Fallen. So landete das Vertrauen der schwedischen Bevölkerung in die Gesundheitsbehörde FOHM im Dezember 2020 nur noch bei 52 Prozent (im Oktober 68 Prozent), für Anders Tegnell bei 59 Prozent (im Oktober 72 Prozent). [13] In Zeiten, wo in anderen Ländern systematisch Panik geschürt wird, muss man schon was tun, um eine mehr auf Ruhe und Monitoring basierende Strategie unglaubwürdig zu machen – Mission bisher teilweise geglückt!
Mission erfolgreich?
Abschließend muss man sich fragen, warum sich auch hochkarätige Wissenschaftler an Mobbing und Fehlinformationen beteiligen und das, ohne die aktuelle Entwicklung in Schweden zu würdigen. Wenn Leute wie Begg bis Ende Juli starke Kritiker der Politik waren und dabei auch mal übers Ziel hinausgeschossen sind, kann man das eigentlich gut verstehen. Schweden hatte bis Ende Juli 2020 eine sehr hohe Sterblichkeit und viele COVID-19-Intensivpatienten. Und Begg ist vielleicht auch nicht die höchst-reflektierte Persönlichkeit. Aber all die Mediziner, Sozial-Mediziner und Ärzte – was treibt sie?!
Seit August haben wir eine neue Situation. [Epoch Times berichtete] Die Sterblichkeit in Schweden ist niedriger als in den meisten europäischen Ländern, trotz der hohen Sterblichkeit im Frühjahr und im Dezember 2020 hatte Schweden keine signifikante Übersterblichkeit [9] und Koryphäen wie John Ioannidis beschreiben immer wieder, dass der Zusammenhang zwischen weitgehenden Maßnahmen und der Infektionsentwicklung eher schwach ist. [14]
Begg ist inzwischen mit seinem Mann aus Schweden verzogen, agiert immer noch über Twitter [15], aber ob seine Facebook-Gruppe noch existiert, ist unklar.
Es ist Gruppen wie der Mewas und ihren Gleichgesinnten zu verdanken, dass die schwedische Bevölkerung heute – trotz einer guten Entwicklung im Land – tief verunsichert ist und das schwedische Modell global auch als diskreditiert dasteht. Trotz der eher positiven empirischen Daten, trotz allen Augenmaßes, trotz aller Transparenz. Stellen wir dem blinden Hass und dem Emotionalisieren einen offenen, fakten- und inhaltsbetonten Diskussionsstil entgegen! Treten wir jedem Andersdenkenden nicht nur mit Kritik, sondern auch mit Respekt entgegen, dann werden diese destruktiven Gruppen keinen Einfluss mehr auf die Entwicklung haben!
Quellen
https://sverigesradio.se/avsnitt/1667811
https://www.expressen.se/nyheter/mannen-bakom-gruppen-handlar-inte-om-att-skada-sverigebilden/
https://www.svt.se/nyheter/vetenskap/ovanligt-att-barn-far-covid-19-visar-ny-genomgang
https://www.svt.se/nyheter/inrikes/studie-ovanligt-med-iva-vard-av-covidsjuka-barn-trots-oppna-skolor
https://lakartidningen.se/aktuellt/nyheter/2021/02/risk-att-forskare-skrams-till-tystnad/
https://www.svt.se/nyheter/lokalt/orebro/efter-hatstormen-nu-lamnar-orebrolakaren-all-covidforskning
https://plus.tagesspiegel.de/politik/schwedische-forscher-klagen-an-tegnells-strategie-hat-tausenden-in-schweden-das-leben-gekostet-69521.html
https://vetcov19.se/om-oss/styrgrupp/
https://corona-schwede.de/aktuelle-statistik/uebersterblichkeit-2020.html
https://ourworldindata.org/coronavirus-data-explorer
https://www.dn.se/insandare/chockerande-att-kritiker-mot-coronastrategin-utmalas-som-folkfiender/
https://www.nordfront.se/sveriges-radio-angriper-grupp-som-inte-vill-ha-samma-coronastrategi-som-regeringen.smr
http://tt.omni.se/rekordlagt-fortroende-for-folkhalsomyndigheten/a/86PdJW
https://www.cicero.de/innenpolitik/corona-lockdown-studie-stanford-john-ioannidis
https://twitter.com/KeithMEWAS
Über den Autor
Sören Padel lebt in Schweden und hat an der Hochschule auf Gotland (heute Universität Uppsala, Campus Gotland) Humangeographie (Abschluss als M.A.) sowie Geschichte (Abschluss als K.A.) an der Mittuniversität (Sundsvall und Härnösand) studiert. Mit drei abgeschlossenen Berufsausbildungen arbeitete er unter anderem in der öffentlichen Verwaltung und als Lehrer (Grundschule und Gymnasium). Darüber war/ist er als Tourismusunternehmer und Projektentwickler sowie als Übersetzer und Fachbuchautor tätig. Auf seinem Blog „Corona-Schwede“ berichtet er regelmäßig über die Situation in Schweden.
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