Ampel und Union einig: Grundgesetzänderung zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts

Ampel und Union einigen sich auf Grundgesetzänderungen, um das Bundesverfassungsgericht vor politischer Einflussnahme zu schützen. Justizminister Buschmann erhofft sich mehr „Widerstandskraft“. Die AfD vermutet einen anderen Beweggrund.
«Das deutsche Namensrecht ist offen gestanden mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit in diesem Land nicht mehr kompatibel», sagte der federführende Justizminister Marco Buschmann (FDP).
Archiv: Justizminister Buschmann betonte heute bei der Pressekonferenz die „Gemeinsame Verantwortung als seriöse Demokraten“.Foto: Britta Pedersen/dpa
Von 23. Juli 2024

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Fachpolitiker von SPD, Grüne und FDP hatten monatelang mit Vertretern der CDU und CSU darüber verhandelt, wie man zukünftig das Bundesverfassungsgericht besser vor politischer Einflussnahme schützen kann. Zwischendurch waren die Verhandlungen sogar ins Stocken geraten und wurden ausgesetzt. Heute Mittag konnte Buschmann nun zusammen mit den Vertretern der anderen beteiligten Parteien die gemeinsamen Vorschläge für Grundgesetzänderungen zum besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts präsentieren. „Durch diese soll der Status des Gerichts als Verfassungsorgan deutlicher ausgeformt werden. Zugleich sollen die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Gerichts im Grundgesetz selbst abgesichert werden“, heißt es dazu in einer Pressemitteilung des Justizministeriums.

Konkret möchten die Ampelparteien und die Union die im Moment praktizierte Aufteilung des Gerichts in zwei Senate von je acht Richterinnen und Richtern im Grundgesetz festschreiben. Weiter soll festgelegt werden, dass die Richter höchstens zwölf Jahre und bis zu einer Altersgrenze von 68 Jahren ihr Amt ausüben können. Auch das ist heute schon das praktizierte Vorgehen. 

Bis Herbst 2025 umgesetzt

Allerdings sind diese Regelungen bisher nicht in der Verfassung festgeschrieben. Wenn die Regelungen jetzt aber, wie beabsichtigt, durch die Aufnahme in das Grundgesetz Verfassungsrang erhalten, dann kann zukünftig nur eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat diese Regelungen verändern. Ampel und Union stellen im Moment in Bundestag und Bundesrat diese Mehrheit, die die Ampel allein nicht erreichen würde. Deshalb war eine Verständigung mit der Union zwingend notwendig. Bis Herbst 2025, also noch in der Amtszeit der Ampel, soll jetzt die Gesetzesänderung auf den Weg gebracht werden. 

Bereits im Grundgesetz festgelegt ist, dass die Richterinnen und Richter je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden. Hier wollen die Ampelpolitiker und die Union eine sogenannte Öffnungsklausel einfügen: Wenn Bundestag oder Bundesrat es nicht schafft, eine vakante Richterstelle rechtzeitig neu zu besetzen, soll das jeweils andere Verfassungsorgan das Wahlrecht ausüben können.

Gericht gegen mögliche Angriffe von Verfassungsfeinden absichern

„Wir wollen das Bundesverfassungsgericht besser gegen mögliche Angriffe von Verfassungsfeinden absichern. In Osteuropa konnten wir sehen, wie schnell der Abbau des Rechtsstaates erfolgte, indem die dortigen Verfassungsgerichte lahmgelegt wurden“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Fechner heute Mittag auf der Pressekonferenz. Durch „klare Regelungen des Wahlverfahrens“ vermeide man „Hängepartien“ und sichere so die Arbeitsfähigkeit des Verfassungsgerichts. 

Der Bundestagsabgeordnete und Justiziar der Union Ansgar Heveling sieht mit den angestrebten Änderungen im Grundgesetz das Bundesverfassungsgericht auch „für stürmische politische Zeiten gerüstet.“ Mit den geplanten Änderungen übernehme man nun die „seit Jahrzehnten bewährten Strukturen unserer Verfassungsgerichtsbarkeit ins Grundgesetz“, betonte Heveling. 

Justizminister Buschmann betonte, dass die Weimarer Republik gezeigt habe, dass „das Mehrheitsprinzip allein nicht sicherstellen kann, dass jede Mehrheit unter allen Umständen immer die Verfassung wahrt und insbesondere auch die Grundrechte der Menschen respektiert“.

Buschmann hob die Rolle des Bundesverfassungsgerichts nach dem Zweiten Weltkrieg als „Bollwerk der liberalen Demokratie“ hervor. Es sei die Aufgabe des Gerichts, die Verfassung zu schützen und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen.

„Das Bundesverfassungsgericht ist Schutzschild der Grundrechte, aber sein eigener Schutzschild braucht noch mehr Widerstandskraft“, sagte Buschmann weiter. Es gehe „um unsere gemeinsame Verantwortung als seriöse Demokraten. Und genau dieser Verantwortung haben wir uns gestellt.“

AfD nicht erwähnt, aber Auslöser

Im heute gemeinsam vorgelegten Papier wird die AfD nicht erwähnt. Lediglich wird Bezug auf osteuropäische Staaten genommen. 

Die in Polen inzwischen abgewählte PiS-Regierung hatte gleich nach dem Amtsantritt 2015 damit begonnen, das Justizwesen im Land umzubauen. Der erste Schritt galt damals dem Verfassungsgericht. Die PiS-Regierung erkannte drei zuvor ernannte Verfassungsrichter nicht an und besetzte die Posten mit eigenen Kandidaten. Auch in Ungarn hatte Ministerpräsident Viktor Orbán das oberste Gericht weitgehend entmachtet.

Eine 2013 in Kraft gesetzte Novelle schrieb dem Verfassungsgericht vor, dass sich dieses nicht mehr auf seine Spruchpraxis aus der Zeit vor Inkrafttreten der neuen Verfassung im Jahr 2013 stützen darf. In der Vergangenheit hatte sich das Gericht bis dahin mehrmals auf frühere Grundrechte-Interpretation berufen, wenn es Gesetze des Parlaments außer Kraft setzte, weil es diese demokratiepolitisch für bedenklich hielt.

Darüber hinaus darf das Verfassungsgericht seit den vom Parlament beschlossenen Änderungen der Verfassung nur noch in verfahrensrechtlicher Hinsicht, nicht aber inhaltlich prüfen.

Diese Vorgehensweise diente den Parteien, die die Grundgesetzänderung auf den Weg bringen wollen, als Warnung. Sie fürchten, dass es etwa bei einer Mehrheit der AfD im Bundestag zu ähnlichen Angriffen auf das Karlsruher Gericht kommen könnte.

Schutz der „politischen Macht der Altparteien“

Der staats- und verfassungsrechtliche Sprecher der AfD-Fraktion, Christian Wirth, reagierte inzwischen in einer Pressemitteilung auf die Änderungspläne der Ampel und der Union. „Die Vorlage der Parteien CDU/CSU, SPD, die Grünen und der FDP sowie des Justizministeriums zur Resilienz des Bundesverfassungsgerichts schützt nicht die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts, sondern die politische Macht der Altparteien durch die Einflussnahme in der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts“, sagte Wirth. 

Die anderen Parteien liefen bei der AfD „offene Türen“ ein, wenn es darum geht, das Bundesverfassungsgericht vor politischer Einflussnahme zu schützen. Die AfD-Bundestagsfraktion habe deshalb einen im Grundgesetz verankerten Richterwahlausschuss vorgeschlagen. Nur dadurch wäre eine politische Unabhängigkeit der Gerichte gewährleistet, sagt Wirth weiter. 

Wesentlicher Inhalt des Entwurfs sei die „Beseitigung der Wahl der Bundesverfassungsrichter, der Richter der obersten Gerichte des Bundes sowie der Richter der Obergerichte der Länder einschließlich der jeweiligen Präsidenten und Vizepräsidenten durch Politiker“ gewesen. Die Wahl sollte, nach Vorstellungen der AfD, aus den Reihen der Justiz selbst erfolgen. Dieser Vorschlag sei aber damals im Bundestag abgelehnt worden. 



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