Sozialismus in neuem Gewand: Lieferkettengesetz und Planwirtschaft
An der Herstellung eines Bleistifts oder von Metall für einen Backofen sind Tausende Menschen beteiligt – geht es nach der „Lieferkettenidee“ könnte nahezu jeder jeden verklagen. Eine Analyse.
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Auf einem Terminal in der inneren Mongolei werden Container verladen.
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In diesem Artikel soll es nicht um die Details des deutschen Lieferkettengesetzes oder jene des aktuellen Vorschlags von EU-Justizkommissar Didier Reynders gehen, sondern um das planwirtschaftliche Denken, das hinter solchen Interventionen steht.
Die Ziele, welche hinter den Vorhaben stehen, sind aller Ehren wert. Die Vermeidung von Kinderarbeit oder die Reduzierung von Umweltschäden bei der Förderung von Rohstoffen dürften überwiegend auf Zustimmung stoßen. Dabei klammern wir an dieser Stelle einmal aus, dass es selbst beim erstgenannten Thema durchaus abweichende Positionen gibt.
Da die Ziele weitgehend akzeptiert werden, setzt anzutreffende Kritik am derzeitigen nationalen oder geplanten EU-weiten Lieferkettengesetz an anderen Punkten an. Häufig wird kritisiert, dass ein hoher bürokratische Aufwand damit verbunden ist oder dass ein Rückzug aus ärmeren Ländern mit negativen Folgen für deren Entwicklung droht.
Zweifelsohne gibt es guten Grund für diese Befürchtungen. Die weitaus größere Gefahr lauert jedoch versteckt in den Annahmen und Einstellungen, welche den Vorhaben zugrunde liegen. Um diese Einschätzung verständlicher zu machen, hilft es, marktwirtschaftliche Prozesse aus der Vogelperspektive zu betrachten.
Unternehmer haben Netze, keine „Ketten“
Aus der Vogelperspektive betrachtet stellt sich der marktwirtschaftliche Prozess als ein raum- und zeitübergreifendes Netz von Tauschbeziehungen dar, das von menschlichen Bedürfnissen, Bewertungen und Handlungen ausgeht. Preise liefern die nötigen Signale für die Beteiligten. Einzelheiten wie z.B. die Funktion des Profits, die Bedeutung der Innovation und Ähnliches können wir aus der Vogelperspektive nicht erkennen.
Diese Details sind aber auch nicht erforderlich, um deutlich zu machen, dass die geplanten und bereits gültigen Lieferkettengesetze auf schädlichem – nämlich planwirtschaftlichem – Denken basieren. Schon der Name des Gesetzes bzw. Vorhabens verrät, dass nicht von einem dynamischen und in seiner Gesamtheit unüberschaubaren Netz, sondern von einer stabilen, überschaubaren Kette ausgegangen wird.
Unternehmen kennen ihre unmittelbaren Zulieferer. Mit diesen haben sie vertragliche Beziehungen, dort wurden Güter oder Dienstleistungen bestellt. Doch schon über diese erste Stufe hinaus wird es schwierig, den Weg, die Zutaten und die Beteiligten selbst für alltägliche Gegenstände zu überblicken.
In „I, Pencil“ von Leonard E. Read wird dieser Umstand am Beispiel eines Bleistiftes verdeutlicht. Es zeigt sich, dass es bereits bei diesem einfachen Alltagsgegenstand unmöglich ist, das weltumspannende und zeitübergreifende Netz der Beziehungen und Abhängigkeiten komplett zu überblicken oder gar zentral planen und lenken zu können.
Irrige Grundgedanken
Wird dieser Umstand zur Kenntnis genommen, wäre es naheliegend, auf solche Versuche von vornherein zu verzichten. Der Sozialismus ist theoretisch widerlegt und praktisch immer und immer wieder gescheitert. Es empfiehlt sich daher nicht, eine Regelung in die Welt zu setzen, die auf dessen irrigen Grundgedanken aufbaut.
Obwohl der geschilderte Sachverhalt allein bereits ausreichen sollte, um von einem Lieferkettengesetz abzusehen, gibt es weitere Argumente gegen solche Regelungen. Diese setzen beim Thema Haftung und Verantwortung an.
Logischerweise trägt der einzelne handelnde Mensch die Verantwortung für seine eigenen Handlungen. Doch wo genau verläuft nun die Grenze dieser Verantwortung für die eigene Handlung? Verdeutlichen wir dies an einem Beispiel: Ein Unternehmer kauft bei einem anderen Unternehmer eine Maschine zur Produktion von Lebensmitteln (z.B. einen Backofen).
Die beiden Vertragspartner einigen sich darauf, wie der Backofen beschaffen sein bzw. was er leisten können soll und welche Geldzahlung im Gegenzug dafür gegeben wird.
Beide Vertragspartner tragen jedoch die Verantwortung dafür, das Vereinbarte zu tun – also den Backofen entsprechend den vereinbarten Kriterien zu liefern und den Geldbetrag zu zahlen. Was passiert jetzt, wenn der Einkäufer durch das Lieferkettengesetz für das Tun des Zulieferers, dessen Zulieferer, dessen Zulieferer, dessen Zulieferer usw. haftbar gemacht wird?
Unterstellen wir, dass das Metall einige Jahre zuvor in Afrika abgebaut wurde und der Minenbetreiber dabei einen benachbarten Kakaobauern schädigte. Das unter diesen Umständen gewonnene Metall steckt mittlerweile im europäischen Backofen – aber auch in chinesischen Werkzeugen, amerikanischen Gebäuden oder australischen Zügen.
In einem marktwirtschaftlichen Rechtsstaat (ohne Lieferkettengesetze) würde der geschädigte Kakaobauer zunächst auf den Minenbetreiber zugehen und ihn auffordern, seinen Schaden auszugleichen. Gelingt das nicht, kann der Rechtsweg eingeschlagen werden. Vor Gericht wäre der Zusammenhang zu belegen und die Schadenshöhe nachzuweisen.
Jeder könnte theoretisch jeden verklagen
Existierten Lieferkettengesetze, bestünde (wenn man deren Idee zu Ende denkt) die Möglichkeit, den Schaden rund um den Globus bei vermutlich Tausenden Beteiligten geltend zu machen. Jeder, der irgendwann, irgendwo für irgendetwas einen Teil des gewonnenen Metalls eingesetzt hat, könnte theoretisch für die Handlung des afrikanischen Mienenbetreibers in Anspruch genommen werden.
Da diese „Verantwortlichen“ in verschiedenen Ländern anzutreffen sind und der Schadensersatz zu unterschiedlichen Zeitpunkten geltend gemacht werden könnte (ohne, dass dies transparent wäre), hätte der Geschädigte die Chance, ein Vielfaches des tatsächlichen Schadens geltend zu machen. Der Anreiz, den tatsächlichen Verursacher direkt vor Ort in Haftung zu nehmen, würde drastisch sinken.
Der Einkäufer des Backofens – sein Lieferant und diverse weitere Beteiligte – könnten mit Forderungen konfrontiert werden, die losgelöst von der eigenen Handlung (dem Kauf oder Verkauf) sind. Die direkte Verbindung zwischen Handlung und Haftung würde gekappt und durch eine fiktive indirekte bzw. mittelbare – und unkalkulierbare – Verantwortlichkeit ersetzt.
Doch damit nicht genug, wer der Lieferkettenidee anhängt, müsste – konsequent zu Ende gedacht – nicht den Hersteller des Konsumgutes, sondern dessen Endkunden als Letztverantwortlichen in die Pflicht nehmen. Jeder Einzelne von uns würde beim Kauf eines Bleistiftes oder eines Brötchens mit dem Risiko konfrontiert, später einen Brief vom Anwalt des afrikanischen Kakaobauers im Kasten zu finden.
Sozialismus und Planwirtschaft tauchen immer wieder in neuem Gewand auf – das deutsche Lieferkettengesetz und der noch weitergehende aktuelle Vorschlag von EU-Justizkommissar Didier Reynders sind solche neuen Erscheinungsformen des Sozialismus.
Rainer Fassnacht ist ausgebildeter Kaufmann und studierter Diplom-Ökonom. Er lebt in Berlin und ist Autor des Buchs „Unglaubliche Welt: Etatismus und individuelle Freiheit im Dialog“. Auch in seinen sonstigen, unter anderem vom Austrian Economics Center in Wien veröffentlichten, Texten setzt er sich für die Bewahrung der individuellen Freiheit ein.
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.