Fachärztin: Behörden wollen Gefahren von Infraschall durch Windkraft „nicht wahrhaben“
Windkraftanlagen erzeugen Infraschall. Dieser hat eine Frequenz von unter 20 Hertz, weshalb der Mensch ihn in der Regel nicht hören kann. Diese tieffrequenten Schwingungen entstehen auch durch natürliche Quellen. Allerdings sind sie nicht vergleichbar mit denen einer großen Windkraftanlage, die sehr tiefe Infraschallanteile in einer pulsierenden und chronischen Einwirkung enthält.
Deswegen stellt der Infraschall durch Windkraftanlagen aus Sicht der Fachärztin Dr. med. Ursula Bellut-Staeck eine besondere Gefahr für alle Organismen dar.
Die Wissenschaftsautorin mit den Schwerpunkten Mikrozirkulation und Stressmedizin hat kürzlich einen Beitrag in dem neuen Buch mit dem Titel „Medical Research and Its Applications Vol. 8“ (Medizinische Forschung und ihre Anwendungen) von Prof. Dr. Begum Rokeya von der Universität für Gesundheitswissenschaften in Bangladesch veröffentlicht. Darin geht sie der Vermutung nach, inwiefern chronische Infraschallbelastung zu weitreichenden Störungen der Gefäßregulation in allen Organismen führt.
Frau Bellut-Staeck, können Sie uns etwas über Ihre neue Ausarbeitung erzählen? Wie kam es dazu?
Seit Veröffentlichung meiner ersten Peer-Review-Publikation im Juni 2023 bekomme ich häufig Anfragen wissenschaftlicher Journale und Herausgeber, das Thema Infraschall auch bei ihnen zu publizieren.
Im Fall des Herausgebers der zweiten Publikation bestand die Möglichkeit, die Fachprüfer sowie ihren akademischen Hintergrund öffentlich nachzulesen (sogenannte open-review politics). Das war mitentscheidend für die Wahl dieses Herausgebers.
Was wollen Sie mit dieser neuen Ausarbeitung erreichen?
Meine erste Publikation behandelt die Neubewertung von Infraschall und Vibration aufgrund aktueller Forschungsergebnisse. Die zweite Veröffentlichung hat diese erste zur Grundlage. Sie erweitert zusätzliche wichtige Aspekte zu den Folgen irregulärer Information auf der Endothelzellebene.
Eine öffentliche wissenschaftliche Begutachtung der zweiten schließt somit auch die erste Publikation ein. Beide wurden somit wissenschaftlich, auf guten Quellen basierend und für die wissenschaftliche Gemeinschaft als wertvoll beurteilt.
Welche Aspekte sind neu in Ihrer Arbeit?
Ich gehe darin gezielt auf folgende Punkte ein:
- Die möglichen Auswirkungen auf den NO-Stoffwechsel [NO = Stickstoffmonoxid] mit starkem Anstieg von oxidativem und oszillatorischem Stress, also ein Zustand des Stoffwechsels, in dem ein Übermaß an freien Sauerstoffradikalen vorhanden ist, und einem Fließbild, das man am besten als „verwirbelt“ bezeichnet, wie es zum Beispiel auch an größeren Gefäßverzweigungen der Fall ist.
- Das Endothelium als zentrales Organ für die entzündliche Entwicklung beispielsweise einer Arteriosklerose oder auch einer Bluthochdruckerkrankung.
- Die herausragende Bedeutung von PIEZO-Kanälen für zahlreiche Funktionen von Organismen.
- Die damit verbundene Gefährdung aller lebenden Organismen im Sinne einer Bedrohung der gesamten Biodiversität zu Lande und im Wasser.
Gab es auch schon kritische Stimmen, die den Inhalten Ihrer Ausarbeitung nicht zustimmen?
Ja, von Behördenseite. So haben wir als Reaktion auf den Schriftwechsel der Deutschen Schutz-Gemeinschaft Schall für Mensch und Tier (DSGS e.V.) mit den Landesumweltämtern unter anderem einen Link zu einer Informationsschrift der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) erhalten. Unter Punkt 23 geht diese auf mein erstes Peer-Review-Papier ein.
In dieser Entgegnung widerspricht die Landesanstalt unwissenschaftlich in einer reinen „Abschätzung“ meiner Aussage. In einer der aufgeführten Argumente heißt es wörtlich: „Nach Auskunft des Umweltbundesamtes sind in wissenschaftlichen Datenbanken keine anderen Publikationen vorhanden, die die Hypothese der Autorin stützen würden oder ähnliche Zusammenhänge dargelegt hätten.“
Nun, dazu muss ich sagen, dass einmal immer das erste Mal ist. Übrigens muss jede wissenschaftliche Arbeit neue Erkenntnisse beinhalten. Hierzu gibt es viele historische Beispiele, wie dasjenige, durchzusetzen, dass die Erde um die Sonne kreist oder die Erde keine Scheibe ist und vieles mehr.
Darauffolgend schreibt die LUBW, Sie hätten nicht erklärt, ob die Wirkung durch Infraschall mechanisch möglich ist. Auch, dass für die Aktivierung eines sogenannten PIEZO1-Ionenkanals wesentlich stärkere Kräfte nötig sind, als der Infraschall von WKA sie hat. Wie reagieren Sie darauf?
Zwei der Autoren der Studie, auf die hingewiesen wird, nämlich Philip A. Gottlieb und Frederick Sachs, gehören in eine Gruppe der in der PIEZO-Forschung aktivsten Forscher.
Zusammen mit Amanda H. Lewis und Hailin Liu in mehreren Publikationen zur Sensitivität von PIEZO-Kanälen geht eine ganze Gruppe von Forschern von einer Sensitivität des PIEZO1-Kanals von etwa 0,0014 Pascal aus. Pascal ist eine Druckeinheit. Gleichzeitig wird betont, dass die Ergebnisse unter anderem von Vorspannung, aber auch Messmethoden abhängen.
PIEZO1-Ionenkanäle vermitteln die Umwandlung mechanischer Kräfte in elektrische Signale und sind für die Berührungsempfindlichkeit von Vielzellern von entscheidender Bedeutung.
Wir haben festgestellt, dass PIEZO1 im Vergleich zu anderen mechanisch aktivierten Kanälen mit äußerster Empfindlichkeit auf laterale Membranspannung reagiert und dass die Ruhespannung die Inaktivierung des Kanals vorantreiben kann, wodurch die mechanische Gesamtsensitivität von PIEZO1 eingestellt wird. Unsere Ergebnisse erklären, wie PIEZO1 als Sensor für mechanische Stimulation in verschiedenen zellulären Kontexten effizient und mit anpassungsfähiger Empfindlichkeit funktionieren kann.
Dann argumentiert die Landesanstalt noch, dass der menschliche Puls einen viel höheren Druck auf die Zellen verursacht als Infraschall.
Würde der Blutdruck PIEZO1-Kanal-Wahrnehmungen überlagern, könnten alle Organismen mit einem solchen Herz-Kreislaufsystem keine physikalischen Kräfte wahrnehmen. Zudem hätten PIEZO1-Kanäle auch in der Embryologie keine Bedeutung. Das widerspricht jedem Wissensstand. Bedenken Sie bitte auch, dass die entscheidenden Lebensfunktionen im Niederdrucksystem des Kapillarnetzes stattfinden.
Warum Schalldrücke im Frequenzbereich unter 10 Hz und tiefer potenziell starke Reize für biologische Systeme darstellen, vermittelt die Ausarbeitung von Michael A. Persinger zum Thema. Information und Aussagekraft spielt hier die übergeordnete Rolle. Weitere erklärende Arbeiten sind:
- „Xerocytosis is caused by mutations that alter the kinetics of the mechanosensitive channel PIEZO1“ von Chilman Bae et al.
- „Piezo1 Channels as Force Sensors in Mechanical Force-Related Chronic Inflammation“ von Hailin Liu et al.
- „Piezo1: properties of a cation selective mechanical channel“ von Philip A. Gottlieb und Frederick Sachs.
Es ist mühsam, die Argumente auseinanderzupflücken, nur weil man die Wahrheit nicht wahrhaben will und den Stand der Wissenschaft anzweifelt, weil es so besser ins Konzept passt.
Das Umweltbundesamt (UBA) hält weiterhin daran fest, dass ein möglicher schädlicher Einfluss von Infraschall durch Windkraftanlagen wissenschaftlich nicht belegt ist. Haben Sie der Behörde Ihre Arbeit schon vorgelegt?
Das UBA würde auch nie bestätigen, dass es eine Evidenz für die Nichtschädlichkeit von Infraschall gibt. Auf Dringlichkeitsanträge der DSGS vom 02.08.2024 steht die Antwort noch aus.
Das ist umso bedenklicher, da täglich bundesweit neue Pläne zum Aufstellen großer Windkraftanlagen gemacht werden und Behörden Entscheidungen auf einem ungültigen Wissenschaftsstand wie der akustischen Wahrnehmungsschwelle treffen. So ist wohl auch das Fundament der größten Anlage der Welt in der Lausitz gerade erstellt worden, einer Windkraftanlage mit 365 Metern Höhe.
Meine zwei erwähnten Publikationen sind von bestätigter hoher Evidenz. Das bedeutet, dass die Schutzbehörden eben nicht warten können, bis der experimentelle wissenschaftliche Beweis da ist, weil Gefahr im Verzug ist.
Gleichzeitig sind geeignete Vorsorgemaßnahmen beispielsweise ein Moratorium für große Windkraftanlagen bis zur abschließenden wissenschaftlichen Klärung notwendig, um weiteren Schaden zu verhindern. Das ist auch die aktuelle Forderung der DSGS an das UBA und die Landesumweltämter.
Sie sind gelegentlich im Schwarzwald. Dort sollen auf den Gebirgszügen nahe Ortschaften nun auch immer mehr Windkraftanlagen entstehen. Ein Video zeigt, wie diese Anlagen künftig das Landschaftsbild prägen könnten. Inwiefern sind Sie dort aktiv?
Ich bekomme Hilferufe aus dem gesamten Land, im Augenblick hauptsächlich aus Baden-Württemberg, wo Zusammenschlüsse wie der Verein „Mensch und Natur“ intensive und gute Aufklärungsarbeit leisten.
Unbeschädigte Naturlandschaften wie der windschwache Schwarzwald mit seinen Tälern, beispielsweise Seebach mit dem Acherntal, Bühlertal, Lautertal, der Kaiserstuhl, Freiburg, die windschwache Bodenseeregion mit der Halbinsel Höri, der größte oberschwäbische Wald, der Altdorfer Wald, der Schönbuch und viele andere Landschaften mit Wäldern, Quellgebieten, Menschen, Tieren, Arten und Natur sind in konkreten Planungsverfahren für die Aufstellung von Windkraftanlagen. Und das ohne eine Neubewertung von Tieffrequenzen, geschweige denn Folgeabschätzungen der ungeheuerlichen Naturzerstörungen und des Artenverlustes.
Die Folgen der Entnahme von Windenergie im Lee [der windabgewandten Seite] von Windkraftanlagen sind ein weiterer Punkt. Der Vergleich der Wälder hier in Berlin/Brandenburg mit den Wäldern beispielsweise des Hochschwarzwaldes lässt klar erkennen: Die Abschwächung der atlantischen Westwind-Wetterlagen nach Entnahme des Windes durch rund 10.000 Windkraftanlagen in westlicher und nordwestlicher Richtung hat die hier befindlichen Ökosysteme Wald, Heide, Äcker, Wiesen, Moore, Pfuhle sichtbar geschädigt und anfällig gemacht, so etwa für Schädlinge wie den Borkenkäfer in den Wäldern.
Es spricht sehr viel dafür, dass die Maßnahmen des sogenannten technischen Klimaschutzes die Situation nicht verbessern, sondern zusätzlich verschlechtern. Wälder werden zusätzlich zu dem Feuchtigkeitsverlust im Lee von Windkraftanlagen durch chronische Vibration direkt in ihrem Wurzelwerk und Pilzfadengeflecht (Mykorrhiza) geschädigt, wodurch die Grundlagen für einen gesunden Wald zerstört werden.
Wir müssen daher dringlich fordern, alle Maßnahmen zum technischen Klimaschutz neu abzuwägen, einschließlich einer Neubewertung von Infraschallfrequenzen auf Organismen sowie den Auswirkungen großräumiger Zerstörungen von Naturlandschaften und Wildnissen, die eine Lebensgrundlage aller darstellt.
Ich verlange nichts Ungewöhnliches, sondern die Überprüfung einer stringenten Hypothese, die auf aktuellem Wissensstand beruht sowie ein verantwortliches Verhalten im Sinne des Auftrages von Schutzbehörden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Maurice Forgeng.
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