Ein Meisterwerk von 677 Quadratmetern – und eine Maltechnik, die keine Fehler verzeiht
Im Jahr 1753, also vor 270 Jahren vollendete der venezianische Maler Giovanni Battista Tiepolo sein monumentales Meisterwerk: das mit seinen 677 Quadratmetern – auch heute noch – größte durchgängige Deckenfresko der Welt.
Steigt man die Stufen des berühmten Treppenhauses der Würzburger Residenz empor, geht man tatsächlich dem Aufgang der Sonne entgegen. Über der grandiosen Architektur des barocken Baumeisters Balthasar Neumann spannt sich ein lichterfüllter, gemalter Himmel.
Himmel und Erde in luftiger Höhe vereint
Tiepolos grandiose, malerische Inszenierung feiert in luftiger Höhe und hellen Farben den Himmel und sein Zentralgestirn in Gestalt des antiken Sonnengottes Apoll. Der Erdkreis und seine Bewohner zeigen sich am Fuße dieses lichtreichen Himmelsgewölbes selbstbewusst und in kräftigen, erdigen Tönen. Eine Vielzahl genial ersonnener Figuren stehen für die vier damals bekannten Erdteile.
Exotische Accessoires, fremdländische Tiere, bunte Federn, glänzendes Geschmeide, wallende drapierte Stoffe und fantasievolle Gewänder verleihen den Repräsentanten der Erdteile ihr spezifisches Gepräge.
Im Vergleich zu dieser faszinierenden Opulenz verewigte sich Giovanni Battista Tiepolo zusammen mit seinem ältesten Sohn Domenico in einem verborgenen Winkel dieses fulminanten Weltgetümmels bescheiden und zurückhaltend.
Genialer Meister seines Fachs
Der bei der Fertigstellung des Deckengemäldes 57 Jahre alte Venezianer hatte in seiner Heimat mit 14 Jahren eine Lehre begonnen und sich bereits vier Jahre später als Maler selbstständig gemacht.
Mit einem Zyklus von Wandfresken für das erzbischöfliche Palais in Udine wird er 1725 überregional bekannt und sein Ruf als genialer Künstler verbreitet sich in ganz Italien. 1736 versucht sogar der schwedische König, den allseits begehrten Maler für die Ausgestaltung seines Stockholmer Schlosses zu gewinnen. Vergeblich.
Erst der Würzburger Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau kann den Venezianer dazu bewegen, seine italienische Heimat Richtung Norden für die Dauer des Malauftrages zu verlassen.
Noch heute faszinieren die vor Ideen sprühende Bildsprache, der fulminante Bildaufbau und die leuchtende Farbigkeit des Deckengemäldes, das mit unglaublicher Könnerschaft und scheinbarer Leichtigkeit innerhalb von nur zwei Jahren ab 1752 entstand.
Tatsächlich wurde jedoch auf hohen hölzernen Gerüsten sitzend oder gar liegend mit speziell angerührten Farben „al fresco“, also auf frischem, noch nicht durchgebundenen Putz gemalt und so eine unlösbar dauerhafte Verbindung zwischen Farbpigmenten und Kalk erreicht. Eine Maltechnik, die keine Fehler verzeiht, dem Werk aber unvergleichlich zeitlose farbliche Frische schenkt.
Die Pracht gemalter Stoffe
Kein Wunder, dass die Kunstwissenschaft Tiepolos vielschichtiger Kunst und Malweise immer wieder großes Interesse schenkt.
Ein ganz wesentlicher Aspekt seiner Bildkompositionen blieb jedoch bisher erstaunlicherweise weitgehend unberücksichtigt: die Bedeutung der meisterlich gemalten Stoffe, prächtigen Gewänder, exotischen Kopfbedeckungen, glänzenden Schmuckstücke und detailgetreuen Accessoires. Nicht nur im Deckengemälde der Würzburger Residenz spielen sie eine herausragende Rolle. Ihre außerordentliche Präsenz und Schönheit durchziehen Tiepolos gesamtes Werk.
Der schwedische Diplomat und Kunstsammler Carl Gustaf Graf Tessin beschrieb die augenscheinliche Vorliebe Tiepolos für schöne Stoffe, Materialien und ihre Darstellung schon 1736 mit den Worten: „Alles in diesen Gemälden ist reich gekleidet, selbst die Bettler […].“
„Tiepolo und das Kostüm“
Dieses Zitat steht der Einleitung zum aktuell erschienen Buch „Tiepolo und das Kostüm“ voran.
Detailliert geht der Kunsthistoriker Torsten Korte darin der spannenden Fragestellung nach, wie Tiepolo in seinen Werken Gewänder als Vehikel für Informationen nutzt. Als prächtige Attribute der dargestellten Figuren bereiten sie dem Betrachter in ihrer wirkungsvollen Schönheit Freude, fungieren aber gleichzeitig auch als raffinierte Bilder im Bild, sind visuelle Hinweise auf gesellschaftliche Ränge, ordnen das Geschehen für den Betrachter historisch ein und machen für ihn die Unterscheidung von Kulturkreisen klar erkenntlich.
Hier geht „Tiepolo und das Kostüm“ speziell der Mode des Orientalismus im 18. Jahrhundert nach, die sich nicht zuletzt aufgrund historischer Geschehnisse entwickelt hatte.
Nach einer langen Periode kriegerischer Auseinandersetzungen war der Stadtstaat Venedig für das Osmanische Reich zu einem herausragenden Handelsplatz von Seiden, Brokaten, Edelsteinen und Perlen aus dem Nahen und Fernen Osten geworden.
Diese Handelsbeziehungen beflügelten wiederum das venezianische Textil- und Kunsthandwerk und somit auch die bildende Kunst nachhaltig. Nicht von ungefähr sind Tiepolos gemalte Gewänder von erstaunlicher Materialkenntnis, Stofflichkeit und faszinierender Detailverliebtheit geprägt. Doch die Faltenwürfe, Spitzen, Federn, Schärpen, Borten, Ornamente, Applikationen und Stickereien malerisch aus dem Gedächtnis oder der Fantasie zu erschaffen, ist selbst für einen Meister wie Tiepolo geradezu unmöglich.
Ein Abschnitt des Buches „Tiepolo und das Kostüm“ widmet sich gar dem sichtbaren Unterschied von gefüttertem und ungefüttertem Stoff, den Tiepolo in seiner malerischen Könnerschaft für Kenner von seidenen Faltenwürfen erlebbar macht. Ein Geniestreich, den sogar Tiepolo wahrscheinlich nur mit realen textilen Vorlagen erzielen konnte.
Was bleibt, sind die Werke
Zu Beginn der 1750er-Jahre bezog Tiepolo eine Fünf-Zimmer-Wohnung, die ihm der Fürstbischof ganz in der Nähe der Würzburger Residenz zur freien Verfügung stellte. Hat er dort Stoffe, Gewänder und Objekte gelagert, drapiert und arrangiert, um so die Entwurfszeichnungen für das Deckengemälde in ihrer überzeugenden Vollkommenheit anfertigen zu können? Die Vermutung liegt nahe.
Trotz der Fülle spannender Fragen und Erkenntnisse, die „Tiepolo und das Kostüm“ dem Leser bietet, werden viele Hintergründe vielleicht für immer im Ungewissen bleiben. Was letztendlich für einen großen Künstler spricht, das sind die sichtbaren Werke, die er der Nachwelt zur Freude und Inspiration hinterlässt.
332 S. m. 113 Farb- u. 1 SW-Abb., 14 × 21 cm, Hardcover
Auch als E-Book erhältlich (ISBN 978-3-7861-7516-2)
79,00 Euro
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion