81 Minuten für den berüchtigtsten Kunstraub der Geschichte
„Christus im Sturm auf dem See Genezareth“ ist ein fesselndes biblisches Gemälde des legendären Künstlers Rembrandt van Rijn. Dieses Bild mit seiner turbulenten und kraftvollen Szenerie entstand zu Beginn seiner Karriere und ist höchstwahrscheinlich das einzige Seestück, das er jemals gemalt hat.
Noch heute gilt das Werk als eines der bedeutendsten Exemplare des Künstlers, das Teil des Isabella Stewart Gardner Museums in Bosten (USA) ist. Das Gemälde kann jedoch nicht mehr besichtigt werden, da es 1990 zusammen mit zwölf anderen Kunstwerken bei einem Raubüberfall aus dem Museum gestohlen wurde und bis heute nicht wiedergefunden werden konnte.
Gönnerin der Künste
Das Bostoner Museum ist nach der Kunstmäzenin Isabella Stewart Gardner benannt, die 1896 den Bau des rosafarbenen Museums im Stil eines venezianischen Palastes veranlasste. Entsprechend ihrer eigenwilligen Vision als Kuratorin waren hier die Meisterwerke von Künstlern wie Tizian, Botticelli, John Singer Sargent und Rembrandt zu sehen.
Isabella Stewart Gardner war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der sogenannten „Gilded Age“ (zu Deutsch: „vergoldetes Zeitalter“) und förderte maßgeblich mit ihrem Vermögen die Künste. Sie wurde in New York als wohlhabende Frau geboren und heiratete ein Mitglied einer alten Bostoner Familie. Das Paar wurde zu leidenschaftlichen Kunstsammlern, geleitet durch Isabellas Geschmack.
Gemeinsam erwarben sie bedeutende Gemälde, Skulpturen, Möbel, seltene Bücher, Wandteppiche und dekorative Objekte aus aller Welt, die zeitlich von der Antike bis ins 19. Jahrhundert reichten.
Nach dem Tod ihres Mannes beaufsichtigte Isabella Stewart Gardner die Einrichtung eines Museums, das ihren Traum von einer dauerhaften Ausstellung ihrer Sammlung „zur Bildung und zum Vergnügen der Öffentlichkeit für immer“ erfüllen sollte.
Ein Selbstporträt des jungen Rembrandts ist immer noch ausgestellt, während drei andere wertvolle Kunstwerke des niederländischen Malers nicht mehr zu sehen sind. So wurden zwei Gemälde und eine Radierung vor 34 Jahren bei einem Diebstahl entwendet.
Der große Raub
Der Bostoner Kunstraub, der größte in der modernen Geschichte, fand in den frühen Morgenstunden des 18. März 1990 statt. Zwei als Polizisten verkleidete Einbrecher brachten die beiden diensthabenden Wachmänner dazu, ihnen Zutritt zum Museum zu gewähren.
Danach fesselten die Diebe die Wachmänner mit Klebeband und machten sich an die Arbeit, indem sie das Schutzglas der Rembrandt-Gemälde zerschlugen und die Leinwände aus den Rahmen schnitten.
Darüber hinaus nahmen sie ein seltenes Vermeer-Gemälde, fünf Degas-Gemälde auf Papier, ein Manet-Gemälde, eine Landschaft eines Rembrandt-Schülers, einen alten chinesischen Bronzebecher und einen napoleonischen Bronzeadler mit.
Nach 81 Minuten war der Raub beendet und wurde erst bemerkt, als die Wachablöse gegen 8:15 Uhr im Museum eintraf. Die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen des Museums und die Wahrscheinlichkeit, dass die Diebe aus dem Museum intern Hilfe bekommen hatten, sorgten weiterhin für Kontroversen.
Das einzige Seestück von Rembrandt
Rembrandt (1606–1669) gilt als der bedeutendste Künstler des Goldenen Zeitalters der Niederlande. Er kam in der Stadt Leiden zur Welt und zog um 1631 in die geschäftige Hafenstadt Amsterdam, die einem jungen und ehrgeizigen Künstler mehr Möglichkeiten bot.
Schließlich wurde er für seine Historiengemälde, Porträts und Selbstporträts bekannt, die sich durch einen dramatischen Einsatz von Licht und Schatten, plastischen Texturen und – in seinen späteren Werken – breiten Pinselstrichen auszeichnen.
Ein ganz besonderes Werk malte Rembrandt 1633: das Seestück „Christus im Sturm auf dem See Genezareth“. Mit seinen leuchtenden Farben, der Liebe zum Detail, ausgefeilter Pinselführung und einer Gruppe von Figuren mit unterschiedlichen Gesichtszügen ist das Gemälde ein typisches Beispiel für Rembrandts frühe Malperiode.
Als Inspiration für dieses Gemälde dienten das Markus- und das Matthäus-Evangelium. Hierin erzählen die Evangelisten die Geschichte von Jesus Christus, der einen auf dem See Genezareth aufkommenden Sturm stillt (Matthäus 8,24-27). Dieser See befindet sich im heutigen Nordisrael und ist der Schauplatz einer Reihe wichtiger biblischer Ereignisse.
Eine Woge der Gefühle
Das große, vertikale Kunstwerk zieht den Betrachter durch die ausdrucksstarke Darstellung der sich brechenden Wellen, die unaufhörliche Bewegung des Wassers und den bedrohlich geschwärzten Himmel in die dramatische Szene hinein.
Um die Komposition anschaulicher zu machen, hat Rembrandt die Szene in Bezug auf die Kleidung und das Fischerboot in seine Zeit versetzt. Der Kunsthistoriker Michael Zell schreibt dazu in seinem Buch: „Dann werden wir von den erschrockenen Reaktionen der Jünger gefangen genommen, die jeweils sorgfältig charakterisiert sind, um ein langes, einfühlsames Betrachten zu fördern und zu erhalten.“
Die in Panik geratene Mannschaft kämpft gegen die aufgewühlte See an, um zu verhindern, dass das Schiff am Felsen im linken Vordergrund zerschellt. Das zerrissene Segel in der Mitte des Bildes verstärkt das Gefühl der Vorahnung. Weiter unten auf dieser Achse beugt sich ein rot gekleideter Jünger über die Bordwand des Schiffes.
Links von ihm ist die einzige Figur zu sehen, die den Betrachter direkt anschaut. Mit einer Hand hält er sich an einem Seil fest, um sich zu stützen, mit der anderen hält er seine Mütze fest. Seine Gesichtszüge erinnern an ein Selbstporträt des Künstlers.
Die einzige der insgesamt dreizehn Figuren, die in der Komposition ruhig bleibt, ist Christus. Umrahmt von seinen Begleitern sitzt Jesus im Heck des Bootes. Licht umstrahlt seinen Kopf, während er versucht, den Sturm zu bändigen und einen tragischen Schiffbruch zu verhindern.
Rembrandt in aller Hände
Rembrandts innovative und emotionale Kunstwerke wurden zu einer entscheidenden Inspiration für jüngere Künstler seiner Zeit. Sie werfen bis in die Gegenwart hinein einen langen Schatten und sind bei Sammlern begehrt.
„Christus im Sturm auf dem See Genezareth“ befand sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts unter verschiedenen Eigentümern in Amsterdam, unter anderem auch im Besitz der berüchtigten Bankiersfamilie Hope. Mehrere Generationen später gelangte das Rembrandt-Gemälde schließlich nach England.
Es verließ das Königreich im Jahr 1898 und wurde über einen US-amerikanischen Kunsthistoriker an Isabella Stewart Gardner verkauft. Der Preis des Bildes betrug damals 6.000 Pfund – heute etwa 1,2 Millionen Euro.
Der Wert des Gemäldes ist seit dem späten 19. Jahrhundert nur noch gestiegen. Derzeit wird der Wert aller 1990 gestohlenen Kunstwerke auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt. Jeder Hinweis, der zur erfolgreichen Wiederbeschaffung der Werke führt, wird deshalb mit zehn Millionen Euro belohnt.
Im Jahr 2013 gab das FBI bekannt, die beiden möglichen Räuber identifiziert zu haben – beides Komplizen eines Bostoner Mafiosos, der den Raub in Auftrag gegeben haben soll. Allerdings sind die Einbrecher bereits innerhalb eines Jahres nach dem Raub verstorben – und auch der Auftraggeber ist inzwischen tot. Der letzte verbleibende mutmaßliche Mafioso von Interesse starb ebenfalls 2021.
Die Ermittler vermuten, dass die geraubten Kunstwerke zunächst nach Connecticut und dann teilweise nach Philadelphia gelangt sind. Ab dann gibt es keine weiteren gesicherten Spuren.
Ein Rembrandt wartet auf das Wunder Jesu
Isabella Stewart Gardner verfügte testamentarisch, dass nach ihrem Tod – im Jahr 1924 – nichts in ihren Galerien verändert werden darf. Sollte dennoch eine dauerhafte Veränderung geschehen, müssten alle Werke nach Paris verschifft und dort versteigert werden. Der Erlös ginge hierbei an die Universität Harvard.
Aus diesem Grund hängen im Museum weiterhin die leeren Rahmen der gestohlenen Kunstwerke an der Wand und bieten einen beklemmenden Anblick.
So wie das Bild „Christus im Sturm auf dem See Genezareth“ zeigt, bedarf es vielleicht auch in unserer heutigen Zeit eines Wunders, damit dieser Rembrandt sowie die anderen zwölf Werke wieder an ihre rechtmäßigen Plätze zurückkehren können.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „Rembrandt’s Sole Seascape and the Great Heist“ (redaktionelle Bearbeitung kms)
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