Negative Gedanken schaden dem Gehirn mehr, als man denkt

Das menschliche Gehirn ist auf negative Informationen fokussiert – das kann manchmal in Depressionen ausarten. Doch dem kann man bewusst gegensteuern.
Es ist leicht, in die Negativität zu verfallen. Das hat Folgen für das Gehirn und den gesamten Körper.
Es ist leicht, in die Negativität zu verfallen. Das hat Folgen für das Gehirn und den gesamten Körper.Foto: iStock
Von 5. Dezember 2022

Ärger, Groll und Streit. In der heutigen Zeit gibt es allerlei Konfliktpotenzial. Wer seinem Gegenüber Grenzen setzen will, tut dies mit einem entschlossenen „Nein!“ – ein Wort mit einer enormen Sprengkraft.

Nur wenige Sekunden nach dem Aussprechen dieser vier Buchstaben erlebt der Körper des Sprechers und des Zuhörers eine Stresssituation. Das Gehirn schüttet Stresshormone und Neurotransmitter aus, die sofort die normale Gehirnfunktion stören und Logik, Verstand, Sprachverarbeitung und Kommunikation beeinträchtigen, so die Erkenntnis des Neurowissenschaftlers Andrew Newberg, ehemaliger Direktor der Einrichtung „Center for Spirituality and the Mind“ an der Universität von Pennsylvania, und Mark Waldman. Darüber schrieben die beiden einen Artikel in der Fachzeitschrift „Psychology Today“.

Das Wort „NEIN“ ist jedoch nicht für alles verantwortlich. Je länger negative Gedanken oder Gespräche anhalten, desto schwieriger ist es, sie zu stoppen. Das Gehirn reagiert auf negative Gedanken wie Armut, Krankheit und Tod so, als wären sie eine reale Bedrohung, auch wenn sie nie in Erscheinung getreten sind.

Auf positive Informationen hingegen spricht das Gehirn weniger stark an als auf negative; und wütende Gesichtsausdrücke haben eine größere Wirkung. [1] Das erleben wir oft im Alltag, wenn es um enge Beziehungen, soziale Netzwerke und Lernprozesse geht. 

Es fällt leichter, negativ zu denken, und schlechte Ereignisse verbreiten sich schneller und weiter als gute. [2]

Ein solches Stereotyp im Gehirn hat weitreichende Folgen: Bei manchen Menschen führt dies dazu, dass sie in ihrem Leben immer Entscheidungen treffen, die sie im Nachhinein als ungünstig oder schlecht empfinden.

Negatives Denken und Depressionen gehen Hand in Hand

Der Psychologe Jiun-Min Ko arbeitet an einer geschlossenen Drogenentzugsklinik der Strafvollzugsbehörde des Justizministeriums in Kaohsiung, Taiwan. Zu seinen Patienten gehören auch Professoren, Ärzte und Unternehmer. Sie haben eines gemeinsam: Sie denken ständig über negative Informationen oder Nebensächlichkeiten nach, ignorieren aber positives Feedback und halten sogar neutrale oder positive Kommentare für negativ.

Einer von Kos Patienten war Dozent an einer Hochschule – ein Perfektionist, der seinen eigenen Ansprüchen nicht genügte. Er litt an Depressionen und unterzog sich wegen des Konsums illegaler Drogen einer Drogentherapie im Zentrum.

Obwohl dieser Mann einmal Dritter bei einem landesweiten Aufsatzwettbewerb geworden war, betrachtete er sich als Verlierer, da er nicht den ersten Preis gewonnen hatte. In seinen Augen waren die Glückwünsche seiner Kollegen „unaufrichtige Komplimente, und ich würde an ihrer Stelle dasselbe tun“. Er ging sogar so weit zu vermuten, dass seine Kollegen ihn hinter seinem Rücken auslachten.

Negative Gedanken spukten in seinem Kopf herum und setzten ihn enorm unter Druck. Schließlich stieß er auf Social-Media-Plattformen auf Leute, die ihn dazu animierten, Drogen zu nehmen, um die Langeweile zu vertreiben.

Wie Ko betont, gehen viele ähnliche Fälle mit Depressionen einher. Frühere Studien legen nahe, dass negative Reize und Erinnerungen Depressionen begünstigen. [3]

Ein positiver Kreislauf aus Belohnung und Anerkennung

Warum ist das so? Positive Informationen stellen für den menschlichen Körper keine Bedrohung dar; man muss nicht unverzüglich auf sie reagieren. Daher lenkt das Gehirn seine Aufmerksamkeit auf negative Informationen. [4]

Dafür ist die Amygdala – der als Mandelkern bezeichnete Teil im Gehirn – verantwortlich. Dieser Teil analysiert die Umgebung auf mögliche Gefahren, bleibt in gefährlichen Situationen aktiv und reagiert auf neue Reize. Studien zufolge gibt es eine ähnliche Reaktion, wenn Menschen negative Bilder betrachten und danach neutrale Gesichter sehen. Dadurch nimmt die positive Stimmung am Tag ab und die negative zu. [5]

Eine im Juli in der Fachzeitschrift „Nature“ [6] veröffentlichte Studie zeigt die Auswirkungen einer süßen Leckerei und eines Elektroschocks auf das Gehirn – vergleichbar mit einem Verhalten nach Belohnung und Bestrafung. Wenn man Mäusen Süßigkeiten gibt, schüttet ihr Gehirn Neurotensin aus, wodurch ein Zyklus von guten Erinnerungen verstärkt wird, erklärte Joan Zeng, Forscherin am Albert Einstein Medical Institute in New York. Ähnliches geschehe, wenn man Talente fördere. Auch der Mensch brauche Belohnung und Anerkennung, um einen positiven Kreislauf zu erschaffen und zu festigen.

Neuronen, die negative Wahrnehmungen und Erinnerungen verarbeiten, sind laut Forschungen so lange aktiv, bis der Botenstoff Neurotensin freigesetzt wird.

Da das Gehirn auf positive Informationen reagiert, können Menschen bewusst eine positive Stimmung erzeugen; sogar Pessimisten oder Menschen mit leichten oder mittelschweren Depressionen können davon profitieren. [7]

Gute und schlechte Emotionen – beides ist förderlich für den Menschen

Unabhängig davon, ob die Gemütsstimmung einer Person gut oder schlecht ist, kann sich beides positiv auswirken. So regen negative Emotionen den Menschen dazu an, seine Aufmerksamkeit und seine Wahrnehmung zu fokussieren. Dabei passt sich der Körper physiologisch an, um unmittelbare Bedrohungen oder Herausforderungen zu bewältigen. 

Im Gegensatz dazu tragen positive Emotionen dazu bei, die psychologische Belastbarkeit, die sogenannte Resilienz, zu stärken. Darunter versteht man die Fähigkeit eines Menschen, sich an eine sich ständig verändernde Umgebung anzupassen. Menschen mit einer hohen Resilienz können sich besser von Widrigkeiten und Stress erholen, Depressionen abwehren und sich angesichts ebenso schwerer negativer Emotionen weiter entwickeln.

Joan Zeng weist darauf hin, dass starke negative Emotionen sich selbst aufrechterhalten können. Dabei wird Groll – die häufigste negative Emotion – mit Brustkrebs in Verbindung gebracht. 

Die Forscherin kritisiert, dass einige Medien schlechte Nachrichten aufbauschen, um mehr Seitenaufrufe zu bekommen. Das rufe sofort negative Reaktionen der Leser hervor und wecke ihre Aufmerksamkeit, so Zeng. Für die Gesellschaft ist dies alles andere als von Vorteil.

Es gibt jedoch Möglichkeiten, die durch negative Nachrichten hervorgerufenen schlechten Emotionen zu beseitigen.

Drei positive für jeden negativen Gedanken

Um einen negativen Gedanken, eine Vorstellung oder ein Vorurteil zu beseitigen, kann man an gute Ereignisse oder die positiven Seiten seines Gegenüber denken. Laut Forschungsergebnissen heißt das konkret, dass man mindestens drei positive Gedanken oder Vorstellungen formulieren muss. [8]

Ehepaare brauchen sogar fünf positive Botschaften, um eine einzige negative Äußerung auszugleichen, damit eine feste Bindung zwischen ihnen bestehen bleibt.

Mit aufrichtigen Gedanken meditieren

Auch wenn man versucht, negative Botschaften zu ignorieren, gelingt das in den seltensten Fällen. Um den inneren „Widerstand“ zu stärken und positive Emotionen und aufrichtige seelische Kräfte zu fördern, empfiehlt Ko täglich etwa 20 Minuten lang mit aufrichtigen Gedanken zu meditieren. Das führt zu wesentlichen Veränderungen, was sich vorteilhaft auf Zufriedenheit, Gesundheit, Beziehungen und Widerstandsfähigkeit auswirkt.

Auch Zeng empfiehlt, sich in eine Art meditativen Zustand zu begeben, wodurch negative Botschaften unterbrochen werden, die das Gehirn beeinträchtigen. Durch Meditation wird die Aktivität von Gamma-Wellen verstärkt – diese Gehirnwelle stärken die Stressresistenz und verhindern, dass Menschen in extreme Stimmungslagen wie Angst oder Verzweiflung getrieben werden. [9]

Laut Zeng, die täglich im Sitzen meditiert, verbessert regelmäßige Meditation ihre Fähigkeit, emotional im Gleichgewicht zu bleiben. Daher ist sie weniger anfällig für negative Nachrichten und erzielt in der Regel bei allem, was sie tut, positive Ergebnisse.

Bislang wurde nachgewiesen, dass Meditation, wiederholte Gebete, Yoga, Tai Chi, Atemübungen, Tiefenmuskelentpannung und Qigong einen Entspannungsimpuls. Dieser ist eine Intervention von Körper und Geist, die stressbedingten, negativen Folgen entgegenwirkt. [10]

Dadurch werden Blutdruck, die Herz- sowie die Atemfrequenz gesenkt und Veränderungen in der Großhirnrinde und in den subkortikalen Strukturen hervorgerufen. Diese sind für Sinneswahrnehmung, Sprache, Emotionen beziehungsweise emotionale Verarbeitung und Gedächtnis des Menschen verantwortlich.

Die vorgenannten Studien legen laut Zeng nahe, dass Neurotensin zur Entwicklung neuer Medikamente eingesetzt werden kann, um das Gehirn neu zu justieren. Gleichzeitig funktionieren Freundlichkeit und Komplimente genauso wie Neurotensin, haben aber zusätzlich den Vorteil, dass bei der anderen Person auch positive Reaktionen ausgelöst werden und sie eine positive Rückmeldung gibt.

Anderen helfen und sich bei anderen bedanken

Zahlreiche Studien deuten laut Ko darauf hin, dass man glücklicher ist, wenn man anderen hilft. Sich bei anderen zu bedanken, „erzeugt“ ebenfalls positive Emotionen. Gleiche Effekte erzielt man mit regelmäßigem Sport, dem Wiedererleben schöner Erinnerungen und dem Führen eines Tagebuchs.

Wer ein Tagebuch schreibt, kann sich Hoffnungen und Träumen hingeben. Er kann sich vorstellen, wie seine Zukunft aussehen würde, wenn alle seine Ziele erreicht wären. Diese positiven Gedanken können, selbst wenn sie irrational sind, das Glücksempfinden und die persönliche Zufriedenheit fördern. [11]

Vier Schritte für ein emotionales Gleichgewicht

Wer bereits schlechte Laune hat, kann laut Ko die folgenden vier Schritte befolgen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen:

  1. Innehalten. Hören Sie mit dem auf, was Sie gerade tun und verlassen Sie den Raum, um sich zu beruhigen.
  2. Atmen. Atmen Sie wiederholt tief ein, um Ihre Muskeln zu entspannen.
  3. Nach innen schauen. Beruhigen Sie sich und schauen Sie sich die Situation genau an. Sind Ihre Gedanken überhaupt realistisch?
  4. Emotionen hinterfragen. Fragen Sie sich selbst: Hilft meine Reaktion in der aktuellen Situation? Werde ich mich dadurch besser oder weniger gestresst fühlen? Hilft meine Reaktion wirklich – mir selbst oder anderen? Erst dann treffen Sie eine Entscheidung, wie Sie mit der Situation umgehen.

Die vier oben genannten Schritte können eine Person davor bewahren, weiter in eine Krise hineingezogen zu werden. Und sie helfen, die eigene Mitte zu finden.

Literatur und Quellen

[1] Kisley et al. (2007); doi.org/10.1111/j.1467-9280.2007.01988.x

[2] Baumeister et al. (2001); doi.org/10.1037/1089-2680.5.4.32

[3] Zhang et al. (2019); doi.org/10.1523/JNEUROSCI.1958-18.2019

[4] Smith et al. (2003); doi.org/10.1016/S0028-3932(02)00147-1

[5] Puccetti et al. (2021); doi.org/10.1523/JNEUROSCI.1637-20.2021

[6] Li et al. (2022); doi.org/10.1038/s41586-022-04964-y

[7] Cohn et al. (2009); doi.org/10.1037/a0015952

[8] Fredrickson, Losada (2005); doi.org/10.1037/0003-066X.60.7.678

[9] Braboszcz et al. (2017); doi.org/10.1371/journal.pone.0170647

[10] Dusek et al. (2008); doi.org/10.1371/journal.pone.0002576

[11] Spörrle et al. (2010); psicothema.com/pdf/3764.pdf

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „Negativity Might Harm Your Brain More Than You Think, 3 Tips to Help“ (redaktionelle Bearbeitung as)



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