Wieso Menschen mit psychischen Erkrankungen stricken sollten
Das Interesse am Stricken ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Trend nachlässt. Während hierzulande das Stricken oft mit Großmüttern und Socken in Verbindung gebracht wird, wurden in Schweden erstmals 2022 handgestrickte Kleidungsstücke zum Weihnachtsgeschenk des Jahres gekürt.
Forscher der – schwedischen – Universität Göteborg haben sich eingehend mit dem trendigen Hobby beschäftigt. So bestätigten sie erneut, dass Stricken Gesundheit und Lebensqualität verbessern kann.
Stricken, eine Kunst …
Stricken gehört zusammen mit Weben und Häkeln zu den ältesten Handwerken der Welt und ist besonders in nordeuropäischen Ländern ein fester Bestandteil der einheimischen Tradition.
Wie weit diese Tradition der Handarbeit in Deutschland zurückreicht, ist nicht bekannt. Sicher ist nur, dass mit den Nürnberger Hosen- und Strumpfstrickern aus dem Jahr 1600 erstmals eine Gilde hierzulande schriftlich überliefert ist. Dabei war diese Handarbeit alles andere als eine Freizeitbeschäftigung für Rentner.
„Im 16. Jahrhundert war Stricken Männersache. […] Ein professioneller Stricker musste sechs Jahre lernen, drei Jahre davon auf Wanderschaft. Danach mussten innerhalb von drei Monaten drei Meisterstücke angefertigt werden: Ein Hemd, verzierte Strümpfe und ein Teppich“, schreibt der deutsche Schriftsteller Roland Gööck in seinem „Handarbeitsbuch“.
… und eine Art, das Leben zu meistern
Im Zeitalter der industriellen Großfertigung und des Onlineshoppings ist diese Tradition heute stark verblasst. Dabei zeigen die schwedischen Forscher mit ihrer Studie, dass sich der Griff zu Wolle und Nadel noch immer lohnt – besonders für Menschen mit seelischen Erkrankungen.
„Es ist nicht nur eine kreative Freizeitbeschäftigung, sondern hilft auch den Strickern, das Leben zu bewältigen und so ihre psychische Gesundheit zu verbessern. Ich bin davon überzeugt, dass dies einer der Gründe ist, warum heutzutage so viele Menschen mit dem Stricken anfangen“, sagt Joanna Nordstrand, Erstautorin der Studie. Die gelernte Ergotherapeutin greift selbst in ihrer Freizeit regelmäßig zu den Nadeln.
In ihrer Studie untersuchte Nordstrand die Erlebnisse und Empfindungen von Menschen mit psychischen Problemen, die gerne stricken. Insgesamt sammelte die Forscherin etwa 600 Beiträge aus dem internationalen Onlinefaserkunstforum „Ravelry“, in dem Kreative ihr Hobby mit anderen Strickern diskutieren.
Gelassenheit, Klarheit, Halt und Struktur
Die Auswertung der Beiträge ergab, dass es drei klare Wege gibt, wie Stricken die Gesundheit fördert. Zum einen hilft das Stricken den Betroffenen, sich zu entspannen, und zum anderen bietet es ihnen einen seelischen Halt, indem sie eine Identität als Strickerin oder Stricker und ein stabiles soziales Umfeld besitzen. Außerdem bringt das Stricken auch Struktur in das Leben der Menschen, was ihre psychische Gesundheit verbessert.
Im Allgemeinen empfanden die untersuchten Stricker ihr Hobby als eine hochgeschätzte Beschäftigung, die ihre kurz- und langfristige Gesundheit verbessert. Einige von ihnen stellten zudem eine Veränderung ihrer mentalen Prozesse fest: Sie sagten, dass sie beim Stricken klarer denken und leichter mit Dingen umgehen können.
„Das Ziel der Ergotherapeuten ist es, das Leben der Menschen zum Laufen zu bringen. In Nadeln und Garn steckt ein Potenzial, das das Gesundheitssystem nicht ignorieren sollte“, so die Forscher abschließend.
Die Studie erschien am 25. Januar 2024 in der Fachzeitschrift „Journal of Occupational Science“.
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