Cannabislegalisierung: Zwiegespaltenes Thema bei Studenten
In dem Treppenhaus des Altbaus lässt sich leise erahnen, was in der Studenten-WG abgeht. Ein intensiv-süßlicher und einnehmender Geruch kündigt die eindeutige Haltung für Legalisierung an. Vor der Wohnungstür sind allmählich Musik und Stimmen zu hören. Als ich komme, gehen die ersten gemächlich und scherzend die Treppe hinab. Ihr Ziel ist das Gerüst vor dem Haus, um über den Dächern Berlins mit Blick auf den Fernsehturm einen Joint zu rauchen.
Ich hingegen gehe in Richtung des Raumes, wo die Musik herkommt – in das WG-Zimmer meines Kommilitonen Marc.
Zwei Personen tanzen, die Meisten sitzen eng auf Sofa und Bett und warten auf den „Vulcano“, ein Ballon, der mittels Vaporizer mit „Grasdampf“ aufgefüllt wird. Der Grasdampf soll inhaliert – nicht geraucht – werden, um „high“ zu sein. Auf den ersten Blick ist es bei vielen gar nicht so eindeutig zu erkennen, dass es funktioniert. Das Kiffen ist schon so etabliert, dass es mehr als nur ein paar Züge braucht, um es an den Augen zu erkennen.
Bei der Methode des Verdampfens von Cannabis seien – hingegen zum Rauchen – keine schädlichen Stoffe mehr enthalten. Daher gilt das Verdampfen von Gras als „gesunde Methode“, Cannabis zu konsumieren. Zudem gelten Vaporiser unter Gras-Konsumenten als besonders wirksam, denn der Dampf besteht zu über 90 Prozent aus Cannabinoiden. Bei einem gerauchten Joint sind in dem Rauch nur 20 Prozent Cannabinoide enthalten.
Cannabis ist besonders durch seine berauschende Wirkung bekannt und gerade deshalb bei jungen Menschen beliebt. In Deutschland haben bei den 18- bis 24-Jährigen in den letzten 12 Monaten 23 Prozent Cannabis konsumiert. Von der Gesamtbevölkerung konsumierten 9 Prozent in den letzten 12 Monaten Cannabis.
Warum konsumieren?
Die Musik bei Marcs WG-Party ist gerade leise genug, um sich noch unterhalten zu können. So nutze ich die Gelegenheit und frage, warum er eigentlich Cannabis konsumiert. Er antwortet recht ausführlich: Seinen ersten Joint hat er mit Freunden auf der Skater-Bahn geraucht. „Früher habe ich es eher aus ‚Rebellion‘ gemacht“, er wollte sich gegen das Klischee des „nutzlosen und faulen Kiffers“ stellen. Später merkte er, dass es für ihn angenehmer sei, „auf einer Party high zu sein, statt sich durch den Alkohol am nächsten Tag an nichts mehr erinnern zu können“.
Wenige Tage nach der Party frage ich zusammen mit meinem Kollegen auch Studenten an der Humboldt Universität zu Berlin, warum sie Cannabis konsumieren würden.
Der 20-Jährige Gustav konsumierte eine Zeit lang täglich Cannabis. „Er ist genau der richtige für das Thema!“, scherzen seine Freunde.
Gustav scheint beim Sprechen abwesend, sein Blick ist matt und die Augen sehen leicht müde aus. „Jetzt ist es nicht mehr täglich, aber auch noch ziemlich viel“, erzählt er. Vor allem raucht er Joints, um abzuschalten und zu entspannen. Dabei zieht er das Kiffen dem Trinken vor. Mit einem Joint sei der Rausch leichter zu erreichen und besser zu kontrollieren, als mit Alkohol. „Wenn ich einen geraucht habe, bin ich zwei Stunden bekifft, aber danach auch nicht mehr.“
Es gibt in der Universität jedoch auch Studenten, die sich von dem Cannabiskonsum distanzieren. Schon vom äußeren Erscheinungsbild glaube ich, dass Livia, 22 Jahre, und Luka, 20 Jahre, eher weniger Gras konsumieren. Sie sehen wach aus, fahren mit dem Fahrrad zur Uni und sind gleich offen, mit mir über das Thema zu sprechen. Das Kiffen haben sie in ihrem Leben schon mal ausprobiert. Sie bestätigen allerdings meine Vorahnung: Livia und Luka sagen beide, dass sie sehr selten rauchen. Livia muss für ihr Studium viel lernen. „Wenn ich einen geraucht habe, merke ich, dass ich weniger produktiv bin. Am nächsten Tag bekomme ich nichts auf die Reihe.“
Heilung oder Erkrankung?
Der Wirkung von Cannabis werden auch positive Effekte in der medizinischen Behandlung zugesprochen. Die richtige Anwendung von Cannabis kann wohl gegen Schlaflosigkeit und Schmerzen helfen. Zudem könne die Heilung von Krankheiten wie Neurodermitis oder sogar Krebs unterstützt werden. Das CBD helfe, den Tumor zu reduzieren.
CBD ist ein nicht psychoaktives Cannabinoid. THC ist ebenfalls in Hanf enthaltendes Cannabinoid und hat im Gegensatz zu CBD eine berauschende Wirkung. Dr. med. Franjo Grotenhermen ist Allgemeinmediziner und Leiter des Zentrums für Cannabismedizin in Steinheim, NRW, und betont ebenfalls die positive Wirkung von CBD: „Die Zahl der pharmakologischen Wirkungen ist erstaunlich umfangreich. CBD hat angstlösende, antidepressive, entzündungshemmende, antibakterielle, antipsychotische und antiepileptische Eigenschaften, um die wichtigsten zu nennen.“
So wird CBD zum Beispiel bei der Behandlung von Multiple Sklerose (MS) eingesetzt. Eine Studie über das therapeutische Potential von Cannabis und Cannabinoiden kommt auf die Schlussfolgerung: „Es gilt heute als erwiesen, dass Cannabinode bei verschiedenen Erkrankungen einen therapeutischen Nutzen besitzen.“
Dennoch wird CBD vom Bundesgerichtshof (BGH) als Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes eingestuft. Im Januar diesen Jahres und im Oktober vergangenen Jahres urteilte der BGH in zwei Fällen.
Zwiegespaltene Erfahrung: positiv und negativ zugleich
Auch Dennis, 22 Jahre, ist offen mit mir ein Gespräch zu führen und erzählt mir von Vor- und Nachteilen seiner Cannabis-Erfahrungen. Mit 14 Jahren hat er angefangen, Cannabis zu konsumieren. „Das hat mich in der Schule verbessert. Ich habe Interesse an den Naturwissenschaften entwickelt.“ Er leide an ADHS – Cannabis könne die Symptome davon lindern.
In dem frühen Konsum sieht er allerdings auch einige Nachteile. Mit der Zeit habe er Psychosen bekommen. Er beobachtet außerdem, dass sein Gehirn unter dem frühen und langjährigen Konsum gelitten hat.
„Vor allem der Konsum vor dem 17. Lebensjahr geht mit bleibenden kognitiven Konsequenzen einher“, erzählt er. „Und ich muss ehrlich sagen, dass ich mich im Vergleich mit meinen Kommilitonen, was die Lernfähigkeit, die Konzentrationsfähigkeit und die Aufmerksamkeitsspanne betrifft, auf jeden Fall eher im unteren Spektrum sehe. Alle, die mit mir im Alter von 14 Jahren anfingen, haben das gleiche Problem. Teilweise haben sie die akademische Laufbahn nicht geschafft.“ Den Grund dafür sieht Dennis in dem hohen THC-Gehalt.
Trotz der negativen Erfahrung von Dennis, ist er für eine Legalisierung von Cannabis. Er bezeichnet es aber als „sehr zwiegespaltenes Thema“. Eine Legalisierung müsse erstens mit „extrem viel Aufwand in Jugendschutz und Aufklärung“ einhergehen. Zweitens dürfte der THC-Gehalt nicht so hoch sein. Dann sieht er den positiven Effekt vor allem darin, dass Produkte weniger verunreinigt wären. Dadurch glaubt er, dass die Gesundheit von Konsumenten besser geschützt wird. „Die Jugendlichen konsumieren jetzt auch – und jetzt konsumieren sie in schlechter Qualität.“
Debatte um Legalisierung
Aus der Ferne nehme ich Maximilian durch seine bunten Haare und den ausgefallenen Kleidungsstil direkt wahr. In seinen Ohren trägt er Ohrringe, die Fingernägel sind Lackiert. Er ist 21 Jahre, befürwortet ebenfalls die Legalisierung von Cannabis und betont, dass gleichzeitig der Jugendschutz gestärkt werden müsse.
„Gerade in Berlin ist der Straßenverkauf schlimm. Man kann ja praktisch an keine Ecke gehen, wo es nicht nach Gras riecht und Cannabis verkauft wird.“ Mit der Legalisierung könne zum einen der Handel kontrolliert werden. Zum anderen würden die Qualität erhöht und die Wirtschaft angekurbelt werden – durch die Steuereinnahmen durch inländischen Anbau und Verkauf.
Ein häufiges Argument ist zudem die Entkriminalisierung. Auch Gustav glaubt, dass der Schwarzmarkt mit der Legalisierung geschwächt wird. Kritiker meinen jedoch, dass dies nicht der Fall sein werde. Arndt Sinn, Professor für Strafrecht, bezweifelt, dass die Legalisierung von Cannabis den Schwarzmarkt nachhaltig schwächt. Er geht davon aus, dass das legal zu erwerbende Gras teurer sein wird und dadurch einige Konsumenten wieder auf den günstigeren Schwarzmarkt zurückgreifen. Außerdem glaubt er, dass das Straßengras in der Qualität zunehme, was das legale Gras zusätzlich unattraktiv mache.
Auch Benjamin Jendro, Pressesprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), betont gegenüber Epoch Times, dass mit der Legalisierung von Cannabis weder ein Rückgang der Kriminalität noch eine Entlastung der Polizei und Staatsanwaltschaft zu erwarten seien. Im Gegenteil glaubt er, dass man sogar noch mehr zu tun bekommen könnte.
Eigene Entscheidung
Auf der Haus-Party von Mark ist die Legalisierung ebenfalls Thema. Ich frage ihn, ob er nicht glaubt, dass Konsumenten wieder auf den Schwarzmarkt ausweichen. Wenn davon auszugehen ist, dass legales Gras weniger THC enthält, wie es sich Dennis wünscht, könnte sich die Toleranz von Konsumenten anpassen. Dadurch würden sie auf das stark wirkende Gras vom Dealer zurückgreifen. Ausschließen möchte Marc das nicht.
Letztendlich ist er allerdings ebenfalls für eine Legalisierung und fragt „Warum nicht? Jeder Mensch sollte die Freiheit besitzen, selber zu entscheiden, was und wie häufig er es konsumiert. Sei es Essen, Trinken, social Media oder eben berauschende Substanzen.“
So geht Mark zu dem Vulcano, inhaliert den Grasdampf, setzt sich zwischen seine Freunde auf das Sofa und unterhält sich. Seine Freunde, die den Joint mit Blick über Berlin rauchten, sind inzwischen wieder da und bewegen sich leicht zu der Musik. So wie Mark sich gegen das Kiffer-Klischee stellen wollte, passen auch sie nicht in das Bild. Eine ist bunt gekleidet, andere tragen weiße Sneaker und sehen lässig-sportlich aus. Manche tragen Springerstiefel und könnten direkt in einen Berliner Club weiterziehen.
Die typischen „Hänger“ gibt es auf der Party kaum. Im Gegenteil unterhalten sich alle angeregt und mit der Zeit tanzen immer mehr zu der Musik. Es gibt viel Bewegung und es herrscht ein stetiges Kommen und Gehen. So dauert es nicht lange, bis Mark wieder aufsteht, weil jemand etwas von ihm möchte. Obwohl er schon mehrfach Gras inhaliert hat, scheint er momentan noch klar zu sein. Aber der Abend ist auch noch jung – und er an den Konsum gewöhnt.
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